Der Todesengel mit den roten Haaren. Bernd Kaufholz

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Название Der Todesengel mit den roten Haaren
Автор произведения Bernd Kaufholz
Жанр Юриспруденция, право
Серия
Издательство Юриспруденция, право
Год выпуска 0
isbn 9783954626830



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Freundschaft.“ Mitleid habe er gehabt, „als sie so da lag“.

      Martina Dom, Mutter des Opfers, die wie ihr Ehemann als Nebenkläger das Verfahren verfolgt, sagte während einer Verhandlungspause: „Eine gerechte Strafe für die Täter kann es doch nicht geben.“

      Steffis Eltern denken während der Verhandlung oft an den Tag zurück, da ihre Angst schreckliche Gewissheit wurde.

      Ein Blick zurück: Martina und Werner Dom saßen in der Küche ihres Hauses. Freunde aus der Nachbarschaft versuchten, ihnen Mut zuzusprechen. Doch ihr Schmerz war unendlich stärker. Wenige Minuten zuvor hatten sie erfahren, dass ihre einzige Tochter ermordet wurde.

      „Befürchtet hatte ich es schon die ganze Nacht“, sagt Martina Dom unter Tränen. „Aber ein Rest Hoffnung bleibt ja immer.“ – „Wenn ich den Burschen in die Finger kriege“, droht Werner Dom. Dabei macht er eine bezeichnende Handbewegung.

      Am Dienstagabend gegen 21.30 Uhr hatte Familie Dom Stefanie als vermisst gemeldet. Um 20 Uhr sollte das Mädchen wieder zu Hause sein. „Wir sind erst zur Polizeistation. Aber da war keiner. Dann zum Revier Genthin“, sagte der Vater.

      Die 14-Jährige war nachmittags mit dem Fahrrad nach Parey gefahren. Dort wohnt ihr Freund Sven, seitdem er von Güsen weggezogen war. Um 19 Uhr, so die Ermittlungen, hatte sich die Schülerin wieder auf den Heimweg nach Güsen gemacht. „Normalerweise“, erzählt Werner Dom, „nimmt sie den direkten Weg über die Landstraße. Warum sie Dienstagabend in den schlecht beleuchteten Weg am Umspannwerk einbog …?“

      Nach 22 Uhr begann die Suche. Das Fahrrad wurde in einem Gebüsch am Umspannwerk gefunden. Ein Fährtenhund nahm von dort die Spur auf. Sie endete jedes Mal vor Stefanies Haustür in Güsen. Ein Hubschrauber mit Wärmebildkamera suchte die Gegend zwischen dem Dreieck Güsen-Zerben-Parey ab. Erfolglos.

      Mittwochmorgen ging die Suche weiter. Bewohner der umliegenden Orte halfen mit. Einer von ihnen macht im Zerbener Wald – knapp 1 000 Meter vom Fundort des Fahrrades entfernt – einen grausigen Fund. Das Waldgebiet nahe dem neuen Klärwerk wurde weiträumig gesperrt. Kriminalisten aus Genthin, die Mordkommission aus Stendal und die Tatortgruppe des Landeskriminalamts nahmen ihre Arbeit auf.

      Die spärlichen Angaben zur Tat ließen vermuten, dass die Ermittler eine heiße Spur hatten. Am späten Vormittag traf Rechtsmediziner Rüdiger Schöning von der Uniklinik Magdeburg ein, um die Leichenschau vorzunehmen.

      Kurze Zeit später wurde bestätigt, dass es sich bei dem Opfer um Stefanie Dom handelt. Außerdem räumte die Polizei zu diesem Zeitpunkt ein, dass Unfall und Selbstmord auszuschließen sind. „Die Ermittlungen gehen in Richtung Verbrechen“, sagte der Stendaler Polizeisprecher. Wenig später bestätigte der Stendaler Oberstaatsanwalt Gerhard Freise: „Verbrechen.“

      Gegen 14 Uhr wurde der Leichnam der Ermordeten von einem Bestattungsunternehmen ins Rechtsmedizinische Institut der Uniklinik Magdeburg gebracht. Die Obduktion sollte näheren Aufschluss über die Todesursache bringen.

      Die Kripo hatte im Genthiner Polizeirevier ihr Quartier bezogen. Von dort aus führte das Team um den Chef der Stendaler Mordkommission, Lutz Hirning, seinen Kampf gegen die Zeit. Die Spur, die sich bereits Stunden zuvor abgezeichnet hatte, wurde immer heißer. Kurz vorm Dunkelwerden begaben sich Kriminalisten und Staatsanwältin zum Lokaltermin an den Fundort. Dabei war auch ein Tatverdächtiger. Rund 300 Meter jenseits der weiß-roten Polizeiabsperrung redete er.

      „Ich weiß gar nicht, wie ich das Weihnachtsfest überstehen soll“, schluchzte Martina Dom „Ach was – Fest“, winkte ihr Ehemann sarkastisch ab. „Was soll denn nun werden?“, fragte Stefanies Mutter, „ob der Kleine (Stefanies jüngerer Bruder, B. K.) überhaupt schon versteht, dass Stefanie nicht wieder kommt?“

      „Es ist einfach unfassbar“, sagte auch Stefanies Direktorin an der Sekundarschule Parey. „Der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien wird wohl der schwerste werden, den ich je hatte“, so Anita Krüger. Die Weihnachtsfeier, die geplant war, wurde abgesagt. Stattdessen sprachen die Lehrer mit ihren Schülern über den grauenhaften Vorfall.

      Am 29. Dezember wurde Stefanie Dom beigesetzt. Eltern, die beiden Brüder, Mitschüler, Lehrer und viele Bekannte der 14-Jährigen gaben dem Mädchen im Sarg mit den cremefarbenen Rosen das letzte Geleit. Ein Meer von Blumen und Kränzen drückte die Anteilnahme der Trauernden aus.

      Stefanies Leben sei „auf erschreckende Weise beendet worden“, sagte Pastor Hartmut Gentzsch in der Friedhofskapelle. „Wie lässt sich ein solches Schicksal ertragen?“ Neben der Trauer herrsche Wut und Verzweiflung. Es gebe „Fragen über Fragen“, die keiner beantworten könne.

      Der Vorsitzende Richter Hilmar Rettkowski legt zu Beginn des nächsten Verhandlungstages am 20. Juni 2000 ein fachärztliches Attest vor. Darin wird bescheinigt, dass sich Corinna Vasal, die von den Angeklagten der Beihilfe beschuldigt wird, in einer neurologisch-psychiatrischen Klinik in stationärer Behandlung befindet.

      Für Oberstaatsanwältin Ramona Schlüter ist die Bescheinigung jedoch kein Grund dafür, die Tante Sandros nicht zu laden. Das Gericht hat für die Aussage nun den 28. Juni vorgesehen. Dass sie dann etwas über die Tat enthüllen werde, damit sei jedoch kaum zu rechnen. Denn gegen Corinna Vasal läuft inzwischen in selber Sache ein Verfahren. und sie kann deshalb die Aussage verweigern.

      Die ersten Zeugen, die zu Wort kommen, sind Kriminalisten des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt und der Stendaler Polizeidirektion. Anhand von Tatortfotos schildern sie, wie die teilweise verbrannte Stefanie am 22. Dezember 1999 im Wald zwischen Parey und Güsen entdeckt wurde, wie sie den Tatort vorfanden und wie die Ermittlungen verliefen.

      Bestätigt wird die Aussage des Angeklagten Daniel, dass die mutmaßliche Mitwisserin Corinna Vasal nach der Vergewaltigung und Ermordung Stefanies Bekleidungsstücke der beiden Täter in ihrer Wohnung versteckt habe. Ein Kriminalist sagt, dass er bei der Durchsuchung der Wohnung von Corinna Vasal unter einem Tisch versteckt einen Beutel sichergestellt hat. Darin befanden sich die zwei Wollmützen mit Sehschlitz und ein paar Handschuhe, die bei der Tat getragen wurden.

      Einen völlig gebrochenen Eindruck macht Sandros Großvater. Mit brüchiger Stimme nennt er seinen Enkel einen „guten Kerl“ und einen „hilfsbereiten jungen Menschen, der alles getan hat“. Der 63-Jährige hatte sich am Morgen des 22. Dezembers mit dem Fahrrad auf die Suche nach der vermissten Stefanie gemacht und von weitem hinter der Holzhütte „so etwas wie eine dicke Astgabel“ gesehen. „Ich habe vermutet, dass es das Mädchen war.“ Dem Kameramann eines TV-Senders in der Nähe teilte der entsetzte Mann seinen Fund mit. Der rief die Polizei.

      Eine Rolle spielt erneut der rote Benzinkanister, den die Täter an der Pareyer Tankstelle kauften, um mit dem Inhalt die tote Stefanie „zu beseitigen“. Die Tankstellenangestellte erkennt beide Angeklagte im Gerichtssaal 218 wieder.

      Ungläubiges Kopfschütteln rufen Passagen der Aussage der 13-jährigen Jessica hervor. Sie war „Probeperson“ für die Angeklagten gewesen.

      Richter: „Wann war das?“

      Jessica: „Ein, zwei Wochen vor der Tat, nachmittags.“ Richter: „Wo passierte das mit dir?

      Jessica: In Parey, in der Wohnung von Sandro Penn.“ Richter: „Wie lief das ab?“

      Jessica: „Die haben Handschellen rausgeholt und mich gefesselt.“ Richter: „Haben sie gesagt, warum?“

      Jessica: „Die wollten jemanden in Berlin entführen. Das wollten sie an mir ausprobieren.“

      Richter: „Was genau haben die Angeklagten getan?“ Jessica: „Erst meine Hände auf den Rücken gebunden, dann die Beine gefesselt – mit Handschellen. Dann ein Seil genommen und damit meine Hände und Füße gebunden. Dann haben sie mir einen blau karierten Lappen in den Mund gesteckt und einen Bayernschal drüber. Dann haben sie mir breites, braunes Paketklebeband ein paar Mal über die Augen um den Kopf gewickelt. Die beiden haben die Zeit gestoppt.“

      Noch zweimal wiederholten Sandro Penn und Daniel Katz. an jenem Tag die „Übung“ mit Jessica. Aus Angst habe sie nicht darüber gesprochen, sagt das Mädchen aus.