Darum in die Ferne schweifen. Werner Stilz

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Название Darum in die Ferne schweifen
Автор произведения Werner Stilz
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783947694099



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ich mich über die rückständige Organisation bei den staatlichen Einrichtungen: Leitzordner waren wohl noch unbekannt, Schriftstücke wurden in Bündeln durch Schnüre zusammengehalten und füllten ganze Regalwände. Die Sachbearbeiter hatten unter ihren einfachen Schreibtischen kleine Klingeln, mit denen sie ihre Untergebenen riefen, ganz gleich, ob Tee aufgesetzt oder ein Schriftstück vom einen zum anderen Büro weitergereicht werden sollte. Einem dieser Sachbearbeiter war ein Brillenglas gesprungen, doch damit hatte er offenbar wenig Probleme. Ein kleiner Streifen Tesafilm hielt das Glas notdürftig zusammen.

      Auf einer Landfahrt fuhren wir ein Stück an einem Fluss entlang. Bei einer Rast am Ufer sah ich, wie Männer in Wickeltüchern an langen Seilen Frachtschiffe zogen, die gegen die Strömung unterwegs waren. Mir war zumute, als würde das vorindustrielle Zeitalter wieder lebendig. Auch in Deutschland hatte es einst »Treidelpfade« entlang der Flussufer gegeben.

      Aufmerksam betrachtete ich bei anderer Gelegenheit das Straßenbild von Rangun. Einst beeindruckten die Häuser aus der britischen Kolonialzeit durch ihre Größe und Pracht, jetzt eher durch ihr morbides Aussehen. Für einen Farbanstrich fehlte offenbar das Geld. Die wenigen Autos waren, wie schon erwähnt, uralt und klapprig, die Busse trotzdem alle überfüllt. Bei einem Spaziergang durch die Stadt konnte ich einen Bauern beobachten, der mit etwa sechs Ziegen und einer großen Schelle durch die Straßen zog. Kaum war die Schelle im Einsatz, kamen Leute mit Kannen aus den Häusern. Milch gelangte vom Euter direkt zum Kunden.

      Doch ich durfte auch ein Gebäude von atemberaubender Schönheit bewundern: Die Schwedagon-Pagode mit der vergoldeten Stupa ist nah an der Vollkommenheit. Sie steht mitten in der Stadt auf einer kleinen Anhöhe und ist wegen ihrer ausgewogenen Formen und beachtlichen Größe eine große Touristen-Attraktion. Doch auch die Birmanen sieht man dort in großer Zahl. Sie beten, meditieren und opfern oder drapieren neues Blattgold auf die bereits vorhandenen Schichten. Auch die vielen anderen Pagoden mit ihren stehenden oder liegenden Buddhas sind eine Reise in dieses Land wert.

      Inmitten dieser eigenartigen Mischung aus Armut, Zerfall und zeitlos schöner Architektur zog vereinzelt die Moderne ein: Zufällig bekam ich mit, wie die erste Rolltreppe Burmas in einem dreistöckigen Warenhaus mit viel Trara und Prominenz in schönen Uniformen eingeweiht wurde.

      In einem abgeschotteten Land wie Burma, das inzwischen längst Myanmar heißt, und erst recht in seiner Hauptstadt Rangun, das in Yangon umgetauft wurde, sprach es sich schnell herum, wenn der Vertreter einer ausländischen Firma zu Besuch war. Auch die deutsche Botschaft war über meine Anwesenheit informiert. Ich erhielt einen Termin beim Wirtschaftsattaché, einem noch recht jungen Diplomaten. Er gab mir brauchbare Ratschläge und Informationen über die Wirtschaft und Politik Burmas und lud mich zum Grillfest im Garten der Botschaft ein, das aus Anlass eines deutschen Feiertags gegeben wurde. Welcher Feiertag zelebriert werden sollte, weiß ich nicht mehr. Small Talk mit dem Botschafter, dessen Name ich ebenfalls vergessen habe, und den anderen Gästen, feine Steaks vom Grill, eine angenehme Temperatur und jede Menge Becks Bier, welches zur Kühlung in einer großen Zinnbadewanne mit viel Eiswürfeln aufbewahrt war. Das sind meine Erinnerungen an diesen Tag.

      Wieder daheim im Büro, gab ich die technischen Anfragen an unsere versierten Spezialisten in der Serviceabteilung oder an den Produktmanager weiter. Ihre Antworten leitete ich nach Burma weiter. Mit den burmesischen Bahnbehörden hatte ich vereinbart, dass sie ihren Bedarf an Ersatzteilen an uns melden sollten. Ich veranlasste, dass Pro-forma-Rechnungen erstellt und verschickt wurden. Nach internationalen Gepflogenheiten besorgt sich der Kunde daraufhin über sein Kreditinstitut ein Akkreditiv, eine Zusicherung zur Zahlung des Rechnungsbetrags, sofern vom Lieferanten die entsprechenden Verschiffungsdokumente vorgelegt werden. Nicht unerwartet für uns kam es dazu allerdings nicht. Der Devisenmangel verhinderte den Handel. Daher blieb es dabei, dass sich Zuellig, nunmehr verstärkt, auch um den Markt Myanmar kümmern sollte, der von seiner Niederlassung in Bangkok aus deutlich effizienter operieren konnte.

      Anfang 1984 kam ein neuer Kollege in unsere Abteilung, Uwe Glock. Er hatte gerade seine duale Ausbildung bei der Berufsakademie abgeschlossen und begann nun bei Bosch KH/VUB seine Berufslaufbahn. Ich hatte die Aufgabe, ihn einzuarbeiten. Schnell bemerkte ich, dass er ein fleißiger und gescheiter junger Mann war, der es bei Bosch zu etwas bringen kann. Bevor er seine erste Geschäftsreise nach Indien machen sollte, musste er auf Anweisung unseres Geschäftsleiters eine ausführliche Analyse des indischen Marktes erstellen. Nachdem er diese Aufgabe mit meiner Unterstützung gut gelöst hatte, durfte er reisen. Er blieb in unserer Abteilung für etwa ein Jahr, dann wechselte er als Junior-Produktmanager in die Marketingabteilung. Dort war er verantwortlich für den Produktbereich Scheinwerfer. Später wurde er Verkaufsleiter in Singapur, einem unserer Schwerpunktmärkte in Asien. Bei den einheimischen Mitarbeitern war er außerordentlich beliebt. Unter seiner Leitung florierte das KH-Geschäft in Singapur. Nach etlichen weiteren Stationen rückte er in den Vorstand des Geschäftsbereichs Security Systems in München auf und wurde schließlich der Vorsitzende. Wir, seine ehemaligen Kollegen bei KH/VUB, freuten uns mit ihm und hofften insgeheim, dass er irgendwann einmal als der Chef unseres Geschäftsbereichs nach Karlsruhe zurückkehren würde.

       Einmal um die Welt

      Ich jedoch verharrte gern in meiner Position als Länderreferent. Durch eine Umschichtung in der Verantwortung war ich jetzt auch für die Märkte Australien, Neuseeland und Ozeanien zuständig. In Australien war Bosch schon seit langem mit einer Regionalgesellschaft mit Fertigungsstätten für Autoersatzteile vertreten. Im Management von Bosch Australien saßen etliche Bosch-Mitarbeiter, sodass die Zusammenarbeit im Großen und Ganzen problemlos verlief. In Neuseeland war die Situation ganz anders. Dort hatten wir gleich zwei Auslandsvertretungen, eine auf der Nordinsel, die andere auf der Südinsel. Bei meinen Aufenthalten dort gab es neben der Arbeit im Büro und Ortsterminen bei Händlern an Wochenenden auch die Gelegenheit zum Sightseeing.

      Sowohl Australien als auch Neuseeland haben für Reisende viel zu bieten. Einmal wurde ich vom Verkaufsleiter der Südinsel Neuseelands zum Skifahren eingeladen. Es gibt dort wunderschöne Skigebiete. Interessanterweise kamen die meisten Gäste aus dem fernen Japan. Manche Liftanlagen gehörten sogar japanischen Firmen. Auf der gleichen Reise besuchte ich auch die Südsee-Inseln Neukaledonien und Tahiti. Das waren zwar winzige Märkte für uns, doch hatten wir auch dort unsere Auslandsvertretungen, die Anspruch auf einen persönlichen Kontakt erhoben. Französische Fahrzeuge dominierten, denn beide Inseln gehören zum französischen Überseeterritorium und damit auch zur EU. Einfuhren aus Deutschland sind also zollfrei. Bemerkenswerterweise bestand die Taxiflotte ausschließlich aus großen Mercedes 300-Limousinen. Da schon lange kein Bosch-Repräsentant auf den beiden Inseln gewesen war, genoss ich die große Gastfreundschaft unser Geschäftspartner. Man lud mich auch zu einem Helikopter-Flug über die Insel Tahiti ein. Wenn der Pilot bei plötzlich auftretendem dichtem Nebel zwischen steilen Bergspitzen flog, durchstand ich Todesangst. Die Wolken verschwanden meist so schnell wie sie gekommen waren.

      Der Heimflug führte in östlicher Richtung über Los Angeles nach Deutschland. Es war das erste und einzige Mal, dass mich eine Geschäftsreise rund um den Globus führte. Einige Jahre später wurde die Marktverantwortung für ganz Polynesien an unsere Regionalgesellschaft in Australien übertragen.

      Vertretungsweise besuchte ich in dieser Zeit auch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Wiederum entdeckte ich eine ganz andere Welt. Mir erschien sie reich und protzig. In Riad traf ich mich zu Besprechungen mit der dortigen Vertretung Juffali, die auch für Daimler-Benz in Saudi- Arabien geschäftlich aktiv war. Ich kam aus dem Staunen kaum heraus. In der Zentrale dieser Firma herrschte purer Prunk. Beim Höflichkeitsbesuch im Büro des Firmenchefs wurde der Tee von männlichen Bediensteten in weißen Gewändern aus goldglänzenden Kannen serviert. Im ganzen Haus sah ich keine einzige Person weiblichen Geschlechts. Während der Verhandlungen mit unserem zuständigen Verkaufsleiter, einem Manager aus Palästina, und seinen Mitarbeitern passierte es des Öfteren, dass die Gesprächspartner plötzlich verschwanden, um sich zum Gebet auf ihre Gebetsteppiche niederzulassen.

      Alkohol war überall verboten, auch im mondänen 5-Sterne-Hotel. Das störte mich nicht, denn es gab wunderbare frischgepresste Säfte. Auch das Essen – viel Lammfleisch, Reis und einer Vielzahl von Gemüsesorten – war ausgesprochen schmackhaft. Meine Karlsruher Sekretärin Stella,