Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen. Gerd vom Steinbach

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Название Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen
Автор произведения Gerd vom Steinbach
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783969405161



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und die Steuerrechnung aufeinanderträfen?“

      Der alte Leinenhändler blickt pfiffig auf die beiden Freunde. „Geschickt stellt ihr beiden es an, andere für eure Ziele einzuspannen. War das von vornherein so geplant oder hat sich dieses Geplänkel tatsächlich so ergeben? Aber wie dem auch sei, die Idee scheint mir von Vorteil für die Stadt und ich werde sie sofort dem Herrn Bürgermeister vortragen, zumal ich ohnehin auf dem Weg zu ihm bin. Gänzlich ungeeignet erscheint mir der Prescher-Junge nicht. Mit Worten weiß er umzugehen und als Schreiber hat er das Interesse der Stadt in fremden Mauern zu vertreten. Ich will es also vortragen, nur versprechen will und kann ich nichts.“

      Überschwänglich ist Ruprecht versucht, dem Alten zu danken, doch der winkt energisch ab und wendet sich betont eilig der Gasse „Im kleinen Sessel“ zu, die ihn zum Holzmarkt führt und dann weiter zum Markt mit dem Rathaus.

      Mathis schmunzelt seinen Freund an. „So haben sich dein Vater und dein künftiger Schwiegervater den Werdegang vermutlich nicht vorgestellt. Nun ist denen gewissermaßen das Zepter des Handelns aus der Hand genommen. Der Hans von Pirne ist der verkörperte Tatendrang. Oh, die langen Gesichter der beiden hätte ich gern gesehen.“

      Ruprecht knufft ihn in die Seite. „Als Schmied bist du gut, als Hufschmied noch besser, aber am besten verstehst du dich offenbar auf das Ränkeschmieden. Wenn ich nun lieber im Kontor des Kupferschmiedehammers vor der Stadt arbeiten würde?“

      „Erzähle doch nichts! Schon auf dem Weg dahin würdest du dir in der Klostergasse das Bein brechen, so ein Pechvogel wie du einer bist. Genug davon, komm mit zu mir in meine Schmiede. Ich bin gerade beim Umbau und könnte dein kluges Köpfchen gebrauchen. Außerdem wartet dort ein Krug kühlen Bieres auf uns, den du sicher nicht verschmähen wirst.“

      Die Glocke von Sankt Jacobi dröhnt vom Markt herüber und der Klang sagt den Leuten in der Gasse, die da „Im Sessel nach dem Rossmarkt“ genannt wird, dass die Mittagsstunde gekommen ist. Eilig verabschiedet sich Ruprecht vom Hufschmied und bedankt sich artig bei dessen Weib für das Bier. Schnellen Schrittes quert er den Rossmarkt und nimmt bei Jocuff Hillebrands Anwesen den Durchgang zur Langgasse, die direkt zum elterlichen Haus führt.

      Schon von Weitem gewahrt er den Auflauf im hinteren Teil der Häuserreihe. Die Nachbarn haben sich vor dem Prescherchen Anwesen eingefunden und bemerken in ihrer eifrigen Debatte nicht, dass er sich nähert. Verwunderung klingt aus ihren Worten, wenn nicht vielleicht Unverständnis.

      „Darf ich bitte vorbei?“ Fast bleibt Ruprechts Wunsch ungehört, da wird die Roselerin seiner gewahr. Gleich einer Fanfare tönt ihre Stimme über die Vielzahl eifriger Wortmeldungen der Anwohnerinnen und natürlich auch einiger Männer aus der Nachbarschaft, deren Inhalt und Sinn sich Ruprecht nicht erschließen.

      „Da ist er ja endlich, der Ruprecht! Junge, was hast du angestellt? Schon zweimal war der Bote vom Rat hier, um dich zum Bürgermeister zu holen! Zweimal! Es scheint also wirklich von Wichtigkeit zu sein und ausgerechnet da bist du nicht zu Hause! Sag schon, was dir passiert ist, du Unglücksrabe? Du weißt, was mein Mann mit dir vorhatte! Hoffentlich hast du es nicht verdorben!“

      „Wie werde ich denn?“, versucht Ruprecht das erregte Weib zu beruhigen. „Ich war in der Stadt unterwegs und habe mit ein paar Leuten gesprochen, die mir wohlgesonnen sind. Das kann keinen Schaden verursacht haben, Mutter Roselerin.“

      Eben noch von atemloser Neugier zum Schweigen getrieben, verfällt die Menschentraube in ein empörtes Gewisper. Man hatte auf desaströse Antwort gehofft, die dem grauen Alltag eine pikante Würze verliehen hätte und so gibt man mit einem gewissen Widerwillen den Weg frei.

      Ruprecht bemerkt sehr wohl die Enttäuschung der Nachbarn. Mit einem überlegenen Lächeln auf den Lippen erwidert er den verkniffenen Blick der Meierin von gegenüber, als er sich den Weg zur Haustür bahnt.

      Weder der Vater noch die Mutter, nicht einmal die neugierigen Schwestern scheinen den Auflauf in der Gasse bemerkt zu haben. Abweisend zeigt sich die verschlossene Tür und der junge Mann stößt mit einem lauten Klacken den Riegel zurück. „Hallo, ich bin wieder allhier! Ist keiner zu Hause?“, gibt er sein Eintreffen bekannt und drückt hinter sich die Tür zu.

      Tatsächlich befindet sich niemand in der Stube, was Ruprecht dann doch verwundert, denn es ist Essenszeit und er hatte geglaubt, die Mutter am Herd vorzufinden. Über dem Feuer köchelt zwar die Suppe im Kessel, aber niemand zeigt sich, ihn zu begrüßen. So wendet er sich der Werkstatt zu, wo dann tatsächlich auch alle beisammensitzen. Offensichtlich steht auch hier seine Person im Brennpunkt des Gesprächs, denn bei seinem Eintritt tritt vorerst augenblicklich ein verlegenes Schweigen ein, welches der Vater jedoch schnell zu beenden weiß. „Es wird Zeit, dass du heimkehrst, Großer. Du scheinst eine gefragte Person in der Stadt zu sein. Bereits zweimal schickte der Bürgermeister nach dir. Hast du auch nur eine entfernteste Ahnung, worum es geht? Die Nachbarn wetzen schon ihre ungewaschenen Mäuler und ich befürchte, dass Michael Roselers Plan scheitert, bevor er den ersten Schritt für dessen Umsetzung in die Wege leiten konnte. Nun lass dir nicht die Würmer aus der Nase ziehen: was will der Bürgermeister von dir, Junge?“

      Erwartungsvoll blicken ihn die anderen an und die Mutter ist versucht, frohen Mut in ihren bangen Blick zu legen. „Sag schon, müssen wir mit Unheil rechnen? Ich fände es besser, einem Lindwurm sehenden Auges gegenüber zu stehen, als von hinten gefressen zu werden.“

      Erstaunt mustert Ruprecht die Seinen. „Wie kommt ihr auf dergleichen? Wenn ich schon Schaden verursache, dann doch wohl nur an mir selbst. Noch nie hatte mein Ungeschick anderer Leute Schaden im Gedinge. Möge es auf ewig so bleiben.“

      Der alte Tischler mustert wenig zufrieden seinen Ältesten. „Soll das ein Trost sein? Mit deinen zwei linken Händen treibst du deine Mutter in die Verzweiflung und mich in den Wahnsinn. Nun sag endlich, warum schickt der Bürgermeister nach dir? Womit muss ich nun wieder rechnen?“

      Endlich erzählt Ruprecht von seinem Zusammentreffen mit Hans von Pirne, dessen Überraschung und schließlich dessen Gang zum Rathaus. Immer sorgenfreier wird das Mienenspiel der Eltern je länger er berichtet und die kummergezeichnete Stirn der Mutter wird vom Kranz der Lachfalten um den vor Glück glänzenden Augen überstrahlt. „Wenn das kein Grund zur Freude ist“, meint sie zu ihrem Mann, „trifft er ausgerechnet auf den alten Pirne! Der ist der erste Mann im Rat. Es ist jetzt schon der vierte Bürgermeister, den er aus dem Hintergrund lenkt: den Syptenheyn, den Springer, den Beyer und jetzt der Stobener. Und allemal hat es der Stadt gutgetan.“

      „Der Große ist nur mit den Händen ungeschickt, nicht mit dem Kopf!“, entgegnet der Vater. „Dieses Gespräch wird den Werdegang über die Maßen beschleunigt haben. Der Hans von Pirne ist schon ein rechtes Schlitzohr. Wie es heißt, soll er anno dreiundzwanzig dem Kurfürsten die Hohe und Niedere Gerichtsbarkeit sowie den Zoll abgerungen haben, als der gerade knapp bei Kasse war.“

      „Da kann er kaum älter gewesen sein als der Ruprecht heute“, wirft Paul ein, der es sich auf der Hobelbank bequem gemacht hat.

      „Die von Pirnes waren schon immer recht vermögend und eben auch nicht auf den Kopf gefallen“, erklärt der Meister. „Aus dieser Lage ist es leicht möglich, Einfluss zu nehmen. Da hören mitunter sogar die Fürsten auf einen, wenn man es ein bisschen geschickt anstellt. So konnte der Ratsherr von Pirne auch sechsundzwanzig Jahre später die Gerichtsbarkeit auf den hiesigen Landstraßen ergattern – für die Stadt natürlich.“

      „Und warum treibt er seinen eigenen Handel nicht mehr so gut voran?“, wirft Ruprecht mit einem verständnislosen Kopfschütteln ein.

      „Weil ihm das Geschäft zu viel wird, zu anstrengend ist. Er hat nicht einen ungeschickten ältesten Sohn zum eigentlichen Nachfolger so wie ich, sondern gar keinen. Deshalb bringt er seinen Handel langsam zum Erliegen und sorgt gerade noch so für seinen Lebensunterhalt im leichten Wohlstand.“ Damit beendet der Vater den Disput und bedeutet der Mutter, dass es an der Zeit sei, das Mittagsmahl zu sich zu nehmen. Anschließend würde Ruprecht immer noch rechtzeitig im Rathaus erscheinen, denn der Herr Bürgermeister wird kaum über Mittag hungern.

      Als Ruprecht endlich das Haus verlässt, haben sich die Nachbarn lange verlaufen,