Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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Wurm im Staub winden. Doch ist dir schon einmal in den Sinn gekommen, dass es auch Männer gibt, die nicht gleich demütig auf die Knie sinken, sobald ein Mönch Gott oder Herr ruft? Was glaubst du, welche Art von Mann gerade vor dir steht?“

      Ivo unterdrückte die Antwort, die ihm ohne Zweifel auf der Zunge lag. Der Recke schien zufrieden. „Genau! Du scheinst verstanden zu haben, Mönchlein.“

      Er hob die Klinge mit dem Apfel von Ivos Kinn und biss dann mit seinen faulen Zähnen ein großes Stück von der Frucht. Der Saft troff beim langsamen Kauen aus dem halb offenen Mund und fiel vom unrasierten Kinn vor Ivos Füßen auf den Boden. Nachdem der Krieger den Brocken hinabgewürgt hatte, grinste er dem Cellerar ins Gesicht.

      „Glück gehabt, scheint in Ordnung zu sein.“

      Beide Krieger stimmten ein schallendes Gelächter an, ließen Mönch und Novizen stehen, und zogen kauend weiter. Mitfühlende Blicke der benachbarten Händler ruhten auf den Geschädigten. Sie wussten, sie könnten bald die Nächsten sein. Bruder Ivo kochte vor Zorn. Sobald die beiden Markthüter verschwunden waren, begann er wutentbrannt den Klosterwagen zu packen.

      Mit der Zeit beruhigte sich der Cellerar etwas und er begann mit brodelndem Unterton zu sprechen: „Diese Unverfrorenheit, diese lästerliche Dreistigkeit! Meist lassen sie mich in Ruhe, denn in der Regel haben sie großen Respekt vor einem Diener des Herrn. Diese beiden habe ich allerdings noch nie gesehen. Sie sind neu hier. Gnade uns Gott, wenn sie uns häufiger aufsuchen.“

      „Ist es nicht die Aufgabe der Markthüter, solche Übergriffe zu verhindern?“, fragte Faolán, der heute mehrfach ähnliches Verhalten beobachtet hatte.

      „Natürlich ist es das! Doch sie scheren sich nicht darum. Stattdessen nutzen sie ihre Macht schamlos aus. Manche von ihnen mehr, manche weniger. Doch ganz gleich was und wie viel sie nehmen, es ist Diebstahl. Die meisten der Händler haben sich mit dieser Tatsache inzwischen abgefunden, und auch mir sind die Hände gebunden.“

      „Warum hindert der Graf seine Männer nicht daran, solche Übergriffen zu begehen?“

      „Offensichtlich hat er andere Interessen. Ich bin mir sicher, dass er über die Vorkommnisse sehr wohl Bescheid weiß. Da er aber nichts dagegen unternimmt, wird er sie wohl billigen.“

      „Weshalb tut er das?“

      „Es entspricht seinem Charakter. Er ist rau und grob, und mit Männern seines Schlages hält er den Markt in starkem Griff. So weiß jeder Händler und Marktgänger, wer hier das Sagen hat. Der gesamte Handel wird auf diese Weise von Rurik kontrolliert, oder sagen wir besser unterjocht.“

      Verbittert über seine eigene Ohnmacht wuchtete der Kellermeister einen Sack Rüben auf den Wagen und fuhr fort: „Lieber lasse ich mich von dem Rotschopf beklauen als von diesen Schurken. Auch wenn er nicht mehr die kindliche Unschuld besitzt, hat der Kleine es sicherlich nötiger. Diese beiden Recken hingegen leiden gewiss keine Not. Sie sollten lieber den Herrn wegen des Diebstahls und ihrer Blasphemie um Gnade anflehen.“

      Als der Mönch das rothaarige Mädchen erwähnte, zuckte Faolán zusammen. Bruder Ivo hielt den Dieb nach wie vor für einen Jungen. Instinktiv verheimlichte Faolán, dass der Cellerar sich irrte. Er wunderte sich zwar selbst darüber, faltete jedoch unbeirrt das große Leintuch zusammen.

      So endete Faoláns erster Markttag. Langsam fuhr der Klosterwagen wieder durch die Straßen, passierte beide Wehranlagen und steuerte auf den Wald zu. Der Novize war überrascht, wie wohltuend die Ruhe des Waldes war. Auch der Cellerar war ungewöhnlich schweigsam. In Gedanken haderte er noch immer mit Ruriks Männern. Erst gegen Ende der Rückfahrt begann der Mönch ein Gespräch.

      „Heute hast du etwas sehr Wichtiges gelernt. Du erinnerst dich doch sicherlich daran, dass dich der Abt vor Versuchungen gewarnt hat. Einige von ihnen konntest du heute in Neustatt kennenlernen, ebenso wie du zahlreiche Menschen beobachten konntest, die ihnen hilflos erlegen waren.“

      „War das heute ein gewöhnlicher Markttag?“

      „Nicht unbedingt. Der Markt hat sich in den letzten Jahren verändert. Zu Beginn waren es nur ansässige Bauern und Handwerker, die ihre Waren anboten. Doch bereits im zweiten Jahr wurde der Markt durch fahrendes Volk größer. Der Gestank des Marktes zog aber auch allerlei Gesindel und Laster an, wie ein Haufen Dung die Fliegen. Es gab mehr und mehr Übergriffe dieser Schmeißfliegen, der Diebe, Beutelschneider oder Totschläger. Sie häuften sich in unerträglichem Maße. Die Schurken hatten nahezu freie Hand in ihrem Treiben.“

      Bruder Ivo machte eine kleine Pause, als versuche er sich daran zu erinnern, dann fuhr er fort: „Heute erscheint mir dies frühere Treiben Teil eines gerissenen Planes zu sein. Rurik billigte es, bis das Volk laut nach dem Schutz des Marktfriedens rief. Erst dann griff er mit seinen Männern hart durch und sorgte schnell für Recht und Ordnung. Allerdings dachte Rurik danach nicht daran, die Zahl seiner Recken wieder zu reduzieren. Stattdessen ließ er die Krieger in Neustatt, und die begannen alsbald damit, ihre Macht auf dem Platz auszunutzen. Die Anwesenheit von Ruriks Männern war wiederum ein Vorwand, die Erhöhung der Abgaben zu rechtfertigen. Raffiniert ausgedacht …“

      „Den Wegezoll?“, unterbrach Faolán den grübelnden Kellermeister.

      „Nicht nur den Wegezoll, der für einen Markt allgemein üblich ist. Um den Marktfrieden zu gewähren, sind nun einmal Wachen notwendig. Ich kenne keinen Händler, der hierfür nicht bereitwillig einen Obolus entrichtet. Doch die Höhe dieses Zolls ist in Neustatt unverschämt hoch. Früher, zur Zeit des Grafen Farold, war selbst der kleinste Bauer in der Lage, diese Abgabe zu entrichten. Doch seit Rurik sich Graf nennen darf, sind die Abgaben stetig gestiegen und grenzen beinahe an Beutelschneiderei. Hinzu kommen noch die Übergriffe und Ungerechtigkeiten durch seine Männer, die so etwas eigentlich verhindern sollen. Zu Beginn hatten sich die Händler noch gegen diese Willkür zu wehren versucht, doch so manchem wurde eine Lehre erteilt, die er zeitlebens nicht vergessen wird.“

      Mit einer Handbewegung deutete der Kellermeister das Abschneiden eines Ohres an und Faoláns Augen weiteten sich bei der Vorstellung solcher Gewalt. „Gibt es denn niemanden, der für Recht und Ordnung sorgen könnte?“

      Bruder Ivo zögerte kurz.

      „Natürlich gibt es jemanden, der dazu in der Lage wäre und wenn du tief genug in deinem Innern nach ihm suchst, wirst du ihn auch finden.“

      Faolán runzelte nachdenklich die Stirn und suchte nach einem Namen. Doch es wollte ihm keiner einfallen. Der Mönch beobachtete seinen Gehilfen eine Weile, dann lenkte er kopfschüttelnd ein: „Ich sehe schon, der Markt hat dich zu sehr beeinflusst und für das Wesentliche im Herzen blind gemacht. Es gibt nur einen, der für die Gerechtigkeit aller sorgen kann und das ist der allmächtige Herr.“

      Faolán war es unangenehm, die Antwort des Cellerars nicht selbst gefunden zu haben und sprach schnell weiter: „Ich meinte aber die weltliche Gerechtigkeit. Gibt es denn niemanden, der dieser Willkür Einhalt gebieten kann?“

      Faolán betrachtete den Kellermeister, der mit einem Mal steif dasaß und überlegte, ehe er vorsichtig weitersprach. „Natürlich gibt es hierfür jemanden, der sich dieses Problems annehmen könnte. Doch nicht immer sind sich die Berufenen ihrer Aufgabe bewusst. Und so muss auch in diesem Falle derjenige erst noch seiner Bestimmung nahegebracht werden, ehe er sich ihr stellen kann.“

      Mit einem seitlichen Blick auf Faoláns Gesicht prüfte Ivo, ob die Anspielung eine Reaktion ausgelöst hatte. Der Junge blieb jedoch regungslos. Er hatte nicht die geringste Ahnung, worauf der Mönch hinaus wollte. In Faoláns Augen konnte es nur ein Adliger oder der in diesem Jahr gekrönte Kaiser Otto selbst sein, der hier eingreifen müsste und er verstand nicht, weshalb sich diese Person ihrer Aufgabe nicht bewusst war. Schließlich war es die Pflicht des Adels, Fürsorge für das Land und ihre Untergebenen zu tragen.

      Bevor Faolán diese Gedanken aussprechen konnte, wurde Bruder Ivo deutlicher: „Vieles liegt noch im Verborgenen. Nur der Herr weiß, wann die Berufung dieser Person ans Tageslicht kommen wird, damit sie für Gerechtigkeit sorgt. Wenn aber dieser Tag kommt, dann wird auch Ruriks Herrschaft enden. Eines Tages wird jemand seinen Platz einnehmen, und mit Sicherheit