Taunusgier. Osvin Nöller

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Название Taunusgier
Автор произведения Osvin Nöller
Жанр Триллеры
Серия Melanie-Gramberg-Reihe
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783749704873



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einen Vorschlag.“ Er legte eine Visitenkarte auf den Tisch. „Denken Sie darüber nach und rufen Sie mich bis morgen Abend an. Ich möchte betonen, dass ich Sie unbedingt engagieren will! Wolfgang Schuldt hat gesagt, dass Sie die Beste für diesen Job sind!“ Er stand auf.

      Ein erneuter Schauer überlief sie. Ausgerechnet Schuldt! „Woher kennen Sie ihn?“

      „Er ist der Lebensgefährte meiner Mutter.“ An der Bürotür blieb er stehen. „Ich erwarte Ihren Anruf. Einen schönen Tag noch!“

      Mit schnellen Schritten verließ Pascal Wolter das Büro.

      Ein Jahr zuvor

      „Vergiss es! Ich nehme die Kündigung nicht an!“ Polizeidirektor Wolfgang Schuldt schob den Brief, den ­Melanie auf den Tisch gelegt hatte, zurück. Er deutete auf das Holster mit der Walther PPK, den Polizeiausweis und die Metallmarke, die daneben lagen.

      „Nimm deinen Kram und geh zum Team. Sie erwarten ihre Leiterin bereits sehnsüchtig!“

      Sie wunderte sich, wie beherrscht sie blieb, obwohl es in ihr brodelte wie in einem Topf mit kochendem Wasser. „Wolfgang, du verstehst mich anscheinend nicht! Das hier ist kein Jux! Es ist vorbei! Ich kann das nicht mehr. Nicht nachdem, was passiert ist! Mir stehen zweiundvierzig Tage Urlaub und der Ausgleich unzähliger Überstunden zu. Heute ist mein letzter Tag!“ Sie gab sich Mühe, ihn anzufunkeln.

      Die Blitze schienen anzukommen. „Mel, mir ist klar, dass du eine schwere Zeit hinter dir hast. Mir liegt aber eine blitzsaubere Dienstfähigkeitsbescheinigung vor, ausdrücklich für die Verwendung beim mobilen Einsatzkommando sowie als Führungskraft. Ich habe mir den Bericht zigmal durchgelesen. Er ist absolut perfekt! Nicht der kleinste Makel. Dr. Randke schwärmt geradezu von dir!“ Er machte eine kurze Pause. „Wir brauchen dich!“

      „Danke, das ehrt mich! Ist in der Realität dummerweise nicht so, wie es aussieht. Ich hab immerhin den Tod des Mannes verursacht, mit dem ich ein gemeinsames Leben verbringen wollte. Zudem hätte ich beinahe ein Kind totgefahren, weil ich unachtsam war. Ich habe die Regeln verletzt und dafür die schreckliche Quittung bekommen. Außerdem leide ich nach wie vor unter Albträumen.“ Sie holte Luft. „Okay, nicht mehr jede Nacht, sondern, wenn ich Glück hab, nur ein- bis zweimal im Monat. Was für ein Wahnsinnserfolg! Wolfgang, der Dienst im MEK ist keine Option! Ich wäre eine unberechenbare Gefahr für sämtliche Kollegen, die Vertrauen zu mir haben! Ein anderer Job kommt auch nicht in Frage. Da würde ich unglücklich werden. Versteh das doch.“ Sie erhob sich. „So, genug der Rede, akzeptiere die Kündigung. Ich geh zur Mannschaft und informiere sie.“ Es war, als sei eine unerträgliche Last von ihr abgefallen.

      In Schuldts Miene spiegelte sich mit einem Mal Entsetzen. „Es ist dir tatsächlich ernst damit. Ist das dein letztes Wort?“ Er sprang auf. „Du bist die Beste, die wir haben! Gehst immer voraus, zögerst nie. Warum gibst du auf? Das kann ich nicht glauben! Das Disziplinarverfahren wurde niedergeschlagen und die Klage von Eriks Eltern gegen dich abgewiesen. Du bist erst vierunddreißig und hast eine blendende Karriere vor dir. Weshalb willst du das alles wegschmeißen?“

      „Das nennt man Vernunft, Wolfgang. Ich habe die Pflicht, euch, genauso wie mich, zu schützen.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen. „Es würde mir viel bedeuten, wenn du bei meinem Abschiedsumtrunk dabei wärst!“

      15. April

      „Er hat deinen Namen von Schuldt?“ Fred Spiegel massierte den schwarzen Flaum auf seinem fast kahlen Schädel.

      „Behauptete er. Wird schon stimmen. Warum sollte er das erfinden?“ ­Melanie sah sich um und atmete tief ein. Sie trank zwar keinen Alkohol, mochte aber den malzigen Geruch, der durch den Gastraum waberte.

      Das Brauhaus Joh. Albrecht füllte sich allmählich, immer mehr Gäste passierten die Brücke über den angrenzenden Fleet und hielten auf den Eingang zu. Sie lächelte ihren Ex-Kollegen an. „Bevor ich es vergesse: Danke, dass du dir spontan Zeit genommen hast.“

      „Wenn eine charmante Frau mich zum Mittagessen einlädt, lehne ich selten ab.“ Zwei dunkle Augen strahlten sie voller Wärme an.

      ­Melanie wurde bewusst, dass er den letzten Kontakt zu ihrem früheren Umfeld darstellte, auch wenn sie sich nur alle paar Monate sahen. Irgendwie wurde es um sie immer einsamer, zumal sie selbst die bestehenden Freundschaften seit dem Unglück kaum pflegte.

      „Passt zu Schuldt“, unterbrach er ihr Grübeln. „Er spricht nach wie vor von dir wie von einer Heiligen und nervt uns mit Lobgesängen über deine Fähigkeiten.“ Fred lachte. „Warum willst du den Auftrag nicht annehmen?“

      ­Melanie zuckte mit den Schultern. „Habe bei dem Ganzen ein Störgefühl. Welcher seriöse Mensch schleppt Unsummen an Geld mit sich herum und bietet einer Privatdetektivin, die er vorher nie gesehen hat, einen derartigen Vorschuss an? Da ist was faul!“ Sie trank einen Schluck von der Kräuterlimonade.

      Der Exkollege schüttelte sich theatralisch. „Gießt du die schreckliche Brühe immer noch literweise in dich rein?“ Unverhohlen musterte er sie. „Mir ist es schleierhaft, wie du dabei diese sensationelle Figur hältst.“

      „Fleißig Sport treiben, mein Lieber. Jeden Tag Schwimmen und dreimal die Woche Krafttraining.“ Sie nippte erneut am Glas und blickte Fred direkt an. „Jetzt lenk nicht ab. Was sagst du zu dem Typ?“

      „Ich gebe zu, das Ganze klingt ein wenig ungewöhnlich. Falls Schuldt ihn tatsächlich schickt, ist er allerdings vermutlich in Ordnung.“ Er zögerte. „Wenn es deine Nerven beruhigt, kann ich ja in den Computer schauen, ob es etwas zu den Brüdern gibt.“ Er schob sich ein Stück Brezel in den Mund.

      ­Melanie formte die Lippen zu einem angedeuteten Kuss. „Danke! Du bist ein Schatz!“ Insgeheim hatte sie gehofft, dass er ihr diesen Gefallen anbieten würde, und zauberte einen Zettel mit den Kontaktdaten aus ihrer Jackentasche.

      Der Polizist nickte. „Schön, dass Madame das endlich bemerken! Ich besitze weit mehr Qualitäten, als du denkst. Du müsstest sie nur kennenlernen wollen.“ Er zwinkerte ihr zu.

      ­Melanie lachte und drohte ihm mit dem Zeigefinger. „Psst!“ Sie trank den Rest ihrer Limonade aus und stellte sich einen Augenblick vor, mit ihm zusammen zu sein. Sie mochte Fred und hätte sich in einem anderen Leben, vor allem unter besseren Umständen, vielleicht in ihn verliebt. Er war allerdings Erik so unglaublich ähnlich. Wäre er nicht eine billige Ersatzlösung?

      Sie verdrängte die Gedanken und wandte sich ihm erneut zu. „Es gibt noch einen Grund“, erklärte sie. „Ich verspüre keinerlei Lust, wer weiß wie lange in einer langweiligen Kurstadt zu verbringen.“

      „Warum? Wird doch prima bezahlt. Wäre eine nette Abwechslung für dich. Du musst das nur mit deinen sonstigen Klienten vereinbaren können.“

      ­Melanie seufzte. „Sind gerade keine am Start. Den letzten Auftrag habe ich gestern abgerechnet.“

      Er breitete seine Hände aus. „Na also, worauf wartest du?“

      Ihr Smartphone klingelte. Nach einem schnellen Blick auf das Display drückte sie den Anruf weg.

      „Nichts Wichtiges?“, erkundigte sich der Freund. „Geh ruhig dran.“

      Sie schüttelte den Kopf. „Meine Schwester. Die kommt wieder.“ Wie auf Kommando läutete ihr Telefon erneut. ­Melanie stieß den Atem aus und nahm das Gespräch an.

      „Anja, es passt im Moment nicht. Ich ruf dich …“

      Die Anruferin unterbrach sie. „Mel, Vater hatte einen Schlaganfall und liegt auf der Intensivstation im Mathilden-Hospital. Sieht übel aus. Ich glaube, du solltest kommen!“

      ***

      Obwohl das Foyer weit und luftig war, waberte ein Geruch aus Krankheit und Desinfektion, durch die Halle. ­Melanie sah sich um und knetete ihre Hände, bis sie in einer Sitzecke Anja entdeckte, die aufsprang. Die kalkweiße Gesichtsfarbe bildete einen scharfen Kontrast zu ihren geröteten Augen.