Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis. Meinhard-Wilhelm Schulz

Читать онлайн.
Название Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis
Автор произведения Meinhard-Wilhelm Schulz
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783745212631



Скачать книгу

hatte so auffällig schöne Lippen. Deine sind fast herzförmig und breiter, als man das sonst gewohnt ist. Darf ich fragen, ob du einen Afrikaner unter deinen Vorfahren hast?«

      »Ja, ja«, sagte sie, heftig errötend, »einer meiner vier Urgroßväter heiratete ein halbafrikanisches Mädchen. Er soll ganz verrückt auf die Hübsche gewesen sein. Meine Lippen, auf die ich stolz bin, könnten Erbe dieser kinderreichen Ehe sein.«

      »Danke, vielen Dank«, sagte Volpe, »etwas Ähnliches hatte ich mir gedacht; nun zurück zum Thema:

      Der, äh, Mörder wollte ganz Venedig glauben machen, dass der inhaftierte Graf unschuldig sei, das steht fest. Eine solche Tat konnte aber nur jemand begehen, der den wahren Mörder abgöttisch liebte, nicht wahr? Oder war es nur, um einer gewissen Person, die den Conte ebenfalls über die Maßen liebte, zu zeigen, wer hier der bevorzugte Herr des eigentlichen Mörders wäre?«

      Maria und Cornelia erstarrten bei diesen Worten und sahen einander, die Fäuste geballt, über den Tisch hinweg hasserfüllt an. Volpe blickte von einer zur anderen und schien fürs Erste mit der Wirkung seiner Rede zufrieden zu sein. Nach kurzer Pause sagte er dann:

      »Graf Raimondo war einmal ein Kind wie jedes andere, denke ich, zumindest äußerlich, und der Sohn eines Fleischers. Nicht wahr, Maria, du hast dich geschämt, auch vor deinem Sohn geschämt, Gattin eines Metzgermeisters zu sein?«

      Sie gab keine Antwort und stierte zu Boden. Auch ohne die erforderliche Antwort war sonnenklar, dass Volpe recht hatte. Er fuhr gnadenlos fort:

      »Weil du es nicht ertragen konntest, hast du deinem Mann eines Tages das Leben genommen, es ihm nehmen müssen und hast ihn vergiftet. Willst du das leugnen?«

      »Nein, jetzt nicht mehr. Das ist inzwischen gleichgültig und unbedeutend«, keuchte Maria, »denn ich wollte nicht, dass mein kleiner Prinz in einer stinkenden Metzgerei aufwächst. Der Gedanke war mir unerträglich.«

      »Woher hattest du das Gift?«

      »Aus der Drogerie; Insektenvernichtungsmittel.«

      »Gut! Du warst also eine von diesen Müttern, die aus ihrem Sohn, wie man so sagt, etwas Besseres machen wollen. Deinen Sohn als den eines Metzgers am Hackklotz stehen zu sehen, muss für dich entsetzlich gewesen sein. Im Album, das ich einsehen durfte, waren jede Menge Bilder von dir und Raimondo, aber keines von deinem Mann. Das sagt schon alles. Du hast dich seiner geschämt und deinen Sohn dazu gebracht, den Vater ebenso leidenschaftlich zu verabscheuen wie dich zu lieben, das ist die Wahrheit. Gib es zu!«

      Wieder schwieg Maria Augusta verbissen.

      »Warum sich aber der Sohn, den du umhegtest wie ein zartes Pflänzchen, das ständiger Pflege bedarf, nicht gegen dich aufgelehnt hat, wie das andere junge Männer an seiner Stelle getan hätten, ist leicht zu erklären: Er ist, äh, war ein elender Schwächling und Feigling, dazu ein Schwuler, nicht wahr?«

      Maria warf Volpe einen Blick zu, der töten sollte.

      »Ja, das war bequem. Was immer ihm zustoßen mochte, die Mama war ja da. So konnte sich Raimondo so gut wie alles erlauben, aber das hatte seinen Preis: hündische Ergebenheit und Unterwürfigkeit gegenüber der Mutter! Es war ihm nicht und nie vergönnt, ein Mann zu werden.

      Und um dies endgültig zu verhindern, liebe Maria, hast du ihn als Neunzehnjährigen verheiratet. Die erwählte Frau entsprach, wie es schien, deinen Vorstellungen: eine alternde Jungfer, weit über zehn Jahre älter als dein Sohn, halb Mann, halb Frau; eine Androgyne. Mit dieser dachte du nach Belieben schalten und walten zu könne. Du hast gestern gelogen, als du sagtest, Raimondo und dir sei es völlig unbekannt gewesen, dass Cornelia den Oberkörper eines Mannes besaß. Gib es doch endlich zu! Sag‘ endlich, woher du wusstest, wie sie ohne Hemd und Hose aussah!

      Gewiss hat sie Raimondo beim Baden am Lido beobachtet und dir davon berichtet. Wie ich herausfand, flanierte sie dort nur in Badeshorts der Männer und sonst nichts am Leib. Niemand konnte damals mit letzter Gewissheit sagen, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte. Du hörtest das mit Behagen und plantest, ihn mit dieser, äh, Frau zu verheiraten, die dir vor lauter Glück, endlich noch unter die Haube gekommen zu sein, aus der Hand fressen würde, nicht wahr?«

      »Nein«, sagte Maria, »er hat Cornelia zuerst bei den Amateurboxerinnen gesehen, als es um die Meisterschaft im Veneto ging. In der dritten Runde wurde sie k.o. geschlagen. Sie hatte sich ein sieben Zentimeter breites gesmoktes, mit Gummifäden durchzogenes Band um die Brust geschlungen, auf das sie gut und gerne hätte verzichten können. Raimondo ging nach dem Kampf in ihre Kabine, um sie zu trösten. Von da an trafen sie sich immer mal wieder am Lido. Erst als ich davon erfuhr, schaltete ich mich ein und brachte die Ehe der beiden zustande.«

      Volpe schlug sich vor die Stirne und murmelte:

      »Und ich habe mich schon die gesamte Zeit über gefragt, woher ich sie denn kenne; natürlich! Gelegentlich habe ich mir so einen Boxkampf angesehen, vor vielen Jahren, als es einen Mordfall in der Boxschule gab. Der Trainer war umgebracht worden.«

      »Du hast in der ersten Reihe gesessen«, entgegnete Cornelia süffisant lächelnd, »und ich war in dich verliebt. Du warst ein hübscher Jüngling. Wer kann so rote Haare wie die deinigen vergessen? Wer kann ihnen widerstehen? Wir Boxerinnen liebten dich samt und sonders, auch Laura, die damals den Trainer ermordet hatte, wie du ja weißt. Ohne deinen Verstand wäre die Tat nicht aufgeklärt worden.«

      Volpe errötete. So nüchtern er sonst auch ist, bricht dennoch gelegentlich ein Anflug von Eitelkeit aus ihm hervor. Er sagte:

      »Vielen Dank für die netten Worte, Cornelia.«

      »Es wäre besser gewesen, Volpe, du hättest Cornelia seit damals nie wieder gesehen. Ohne deine Einmischung lebte mein Sohn noch«, keifte Maria und warf ihm einen mörderischen Blick zu.

      »…aber dein reizendes Söhnchen murkste dann weiterhin eine Frau nach der anderen ab«, ergänzte ich grimmig.

      »Falls er der Mörder war. Meiner Meinung nach ist nichts bewiesen«, sagte Maria kalt. Volpe nahm jetzt wieder das Wort und fand den Weg zur Sachlichkeit zurück:

      »Zunächst einmal, so meine Ermittlungen, gabst du dem Pärchen die freie Wohnung über der verpachteten Metzgerei, naturgemäß, um den Sohn nicht aus den Krallen zu lassen. Aber Cornelia, dieses vermeintlich fügsame Gänslein, entwickelte einen unerwarteten Besitzerstolz und bugsierte den Ehemann in eben die Behausung, wo sie bis zuletzt zusammen lebten, als Graf und Gräfin. Sie hatte das dazu erforderliche Vermögen eingebracht.

      So brach denn zwischen Raimondos Mutter und Raimondos Gattin ein unerbittliches Ringen um seine Seele aus, in dem er bald zur einen, bald zur anderen, bald zu keiner, insgeheim aber stets zu sich selbst hielt, denn dieser Feigling wagte es genauso wenig, sich gegen die Ehefrau wie die Mutter aufzulehnen.

      Im Grunde war ihm seine für einen Mann erniedrigende Lage recht. Er hatte nun einmal keinen Mut zum Widerstand. Die Natur hat es ihm versagt, und er schwelgte in der doppelten ihm entgegen gebrachten Fürsorge, Nachsicht und Bewunderung seiner beiden Frauen, ohne zu bemerken, wie sehr er sich selber dadurch demütigte, nicht wahr, cara Cornelia?«

      Volpe blickte herausfordernd zu ihr hinüber. Sie hatte sich jetzt aufgerichtet, die Beine im Schneidersitz angewinkelt, die Hände um die Knie geschlungen. Auf diese Weise hinter den Schenkeln wie einer doppeltürmigen Festung verschanzt, erwiderte sie den stechenden Blick meines Freundes mit frech und trotzig ihm entgegen gewölbten, leicht geöffneten üppigen Lippen.

      Volpe erhob sich, wischte sich die roten Haare aus den Augen und ging ans Fenster, um frische Luft zu schnappen. Mit einer weißen Serviette wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Sein Gesicht hatte den gespannten Ausdruck eines Mannes angenommen, der auf die Entscheidung aus ist und sich kurz vor dem Ziel sieht. Dann ließ er sich in den Korbsessel fallen, schlürfte einen ganzen Humpen leer, seufzte und sagte:

      »In dieser Lage, meine Damen, war also ihr Goldstück und wusste um seine Laschheit, wusste um das jämmerliche Dasein, zu dem ihn seine beiden Frauen, oder soll ich etwa sagen: Ehefrauen? verdammt