Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek. Peter Schrenk

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Название Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek
Автор произведения Peter Schrenk
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783745212532



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      Die Leiche hatte auf der rechten Seite gelegen. Der Kopf bildete einen unnatürlichen Winkel zur rechten Schulter, so als hätte die Frau versucht, das aus der Halsschlagader pulsierende Blut mit dem Schulterknochen zu stoppen.

      Die Halswunde war in dieser Stellung nicht zu sehen, aber der Mantel war in Schulterhöhe von Blutflecken verklebt und verkrustet. Der beigefarbene Regenmantel der Frau wies auf dem Rücken, etwa in Höhe des linken Schulterblattes und zwei Fingerbreit seitlich davon, mehrere Risslöcher auf.

      Es musste ein Leichtes für den Täter gewesen sein, im Gedränge der nach Hause schiebenden Menschenmassen unbemerkt den Tatort zu verlassen. Er hatte nicht mal ihre Geldbörse mit immerhin dreihundertsechzig Mark und mit ihrem Personalausweis an sich genommen.

      So konnte die Sonderkommission sofort die Identität des Opfers feststellen: Brigitte Craatz, 32 Jahre, mit Wohnsitz im Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim.

      Noch am Abend wurde die Zweizimmerwohnung auf der Heyestraße von Beamten der SOKO durchsucht. Ein Hinweis auf ein Motiv für den gewaltsamen Tod der Craatz fand sich bei dieser ersten Inaugenscheinnahme nicht.

      Als Hauptkommissar Benedict am späten Abend des Sonntags in seine von Lore wieder aufgeräumte Oberkasseler Wohnung zurückkehrte, konnte er sein müdes Haupt in dem Bewusstsein auf die Kissen betten, dass die SOKO schon sehr viel wusste.

      Am Montag lagen dann die Ergebnisse des Labors vor, und alles schien darauf hinzudeuten, dass diesmal eines der zufälligen Opfer des >Spritzers< genau die Konstellation verursacht hatte, auf die Dr. Lenzfried noch am Samstagabend warnend hingewiesen hatte.

      Routinemäßig forschte die SOKO dennoch im Umfeld der toten nach möglichen anderen Motiven, und die Kommissarin Leiden-Oster konnte ermitteln, dass die tote Brigitte Craatz bis vor sechs Monaten noch den Familiennamen Helbig getragen hatte, bis zur Scheidung von Herrn Helbig. Kommissarin Leiden-Oster schickte also am Montagnachmittag den Kriminalhauptmeister Dunklenbroich zum Wohnsitz des geschiedenen Mannes von Brigitte Craatz, um eine routinemäßige Befragung durchzuführen.

      Das Ergebnis dieser Befragung landete dann heute Morgen auf Benedicts Schreibtisch: Michael Helbig wohnt bei seiner Mutter in Gerresheim und ist arbeitssuchend. Ehemaliger Programmierer bei Siemens. Am Ende noch ein handschriftlicher Nachsatz: Unterstrichen! »M. H. unbedingt nochmals persönlich einvernehmen! Mutter?« KHM Dunklenbroich konnte selbst von Benedict nicht mehr befragt werden, da er schon von der Mittwoch-Einsatzleitung für eine Sonderaufgabe angefordert und abgestellt worden war. Anweisung von oben. Benedict hatte den Vorgang daraufhin auf Doemges’ Schreibtisch zur Weiterbearbeitung gelegt. Routine. Wie gesagt, die Ermittlungen im Mordfall Craatz nehmen ihren routinemäßigen Fortgang. Alles läuft ganz normal. Dennoch hat Benedict in seinem Dienstzimmer den Eindruck, dass im Augenblick das gesamte Präsidium nur mit dem Ablauf des morgigen Tages beschäftigt ist. Kaum ein Beamter, der nicht zu irgendwelchen Zusatzdiensten eingeteilt ist. Auch seine Leute vom 1. K und der SOKO tragen auf zwei Schultern.

      Hauptkommissar Benedict runzelt die Stirn und schüttelt nachdenklich den Kopf.

      Ab Donnerstag würden sie endlich wieder normal arbeiten können.

      Vitus H. Benedict sitzt vor dem Fernseher und schwankt seit einiger Zeit zwischen Abschalten, Umschalten und Weiterglotzen hin und her.

      Der Besuch des Herrn aus Ost-Berlin, den er selbst noch in Blauhemd und kurzer Hose erlebt hatte, war bei Kaiserwetter und ohne größere Probleme über die Düsseldorfer Bühne gegangen. Während im ZDF das Fußballspiel Deutschland-England läuft, bemüht sich das Erste Deutsche Fernsehen, den tagsüber vermiedenen Krampf komprimiert nachzuholen. Die Live-Interviews mit Bürgern aus Ost und West aus Anlass des großen Ereignisses verursachen Benedict Magenschmerzen, und an manchen Stellen steigt ihm sogar die Schamröte ins Gesicht, wenn da offensichtlich vorbereitete und instruierte Deutschmenschen-Ost und auf der anderen Seite naive, uninformierte Deutschmenschen-West gleichermaßen von ihren Verkrampfungen Zeugnis ablegen.

      Aber das Fußballspiel ist auch nicht gerade eine Augenweide, und in einem Anfall von TV-Masochismus tut sich Benedict nach dem Abpfiff noch >Kennzeichen D live aus Ost-Berlin< an. Er hört sich zum x-ten Male die wohlformulierten Ermahnungen der Experten von hüben und drüben an, doch die Realitäten so zu akzeptieren, wie sie sind, und dass doch überhaupt alles schon viel besser geworden sei. Der Gedanke aber, dass sein Greifswald, sein Anklam oder sein Rostock für ihn Ausland zu sein haben, dieser Gedanke erscheint ihm nicht akzeptabel. Würde man denn einem Iren so etwas zumuten, schießt es ihm durch den Kopf. Aber die haben auch keinen Zweiten Weltkrieg begonnen und ganze Völker niedergetreten. Also Recht auf Kampf und Gefühl verwirkt? Für immer und ewig? Wie lange hat eine Nation mit dem Verlust ihrer eigenen Identität für begangenes Unrecht zu büßen? 50 Jahre, 100 Jahre oder gar 1000? Benedict gießt sich schon den vierten Whisky aus der grünen Flasche ein. Seine Gedanken irren weiter. Verhaspeln sich auf zu langen unsicheren Beinen. Stolpern, fallen und rappeln sich mühsam wieder auf. Nur er und die MLO heute im 1. K. Einen ganzen Tag lang mit der Dame. Weiß der Deibel, auf welchen Straßen sich der Rest der Bagage rumgetrieben hatte. Er hatte versucht, die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen und das gespannte Verhältnis zu seiner neuen Kollegin etwas zu entkrampfen. Hatte von sich aus die Initiative ergriffen und ein bisschen von sich privat gesprochen. Hatte versucht, die Hintergründe manchen Handelns und bestimmter Einstellungen zu erklären, um ihr damit gleichfalls eine Chance zu eröffnen.

      Nein. Sie war nicht darauf eingegangen. Hatte ihn voll auflaufen lassen, erst wortlos zugehört, dann mit dürren, nüchternen Worten schnell klargemacht, dass sie nur an dienstlichen Belangen interessiert sei.

      »Wenn ich im Dienst bin, lasse ich sämtliche privaten Dinge und Probleme außen vor. Hier im Präsidium, auf der Dienststelle bin ich Polizeibeamtin. Das ist meine verbindliche Richtschnur, mit der ich in der Vergangenheit gut gefahren bin. So werde ich auch hier arbeiten, und die Kollegen werden sich daran gewöhnen müssen!«

      Damit war für sie die Sache offensichtlich erledigt, denn sie sprach übergangslos den Fortgang der Craatz-Ermittlungen an. Da werden wir alle noch viel Spaß haben, denkt Benedict, mittlerweile auf dem eisigen Grund des vierten Glases angelangt. Was waren das noch für Zeiten, als der Ganser noch da war. Aber morgen, morgen gehen wir die ganze Sache richtig an. Morgen ...

      Das leere Glas fällt fast lautlos auf den weichen Teppich, und das einsetzende unregelmäßige Schnarchen schafft es nicht, den munter weiterplappernden Fernseher zu übertönen.

      *

      Überraschend war der Abmarsch aus dem Vorbereitungscamp vorverlegt worden. So als hätte ein unvorhergesehenes Ereignis die Änderung eines Planes erforderlich gemacht. Die drei Kämpfer des Spezial-Kommandos hatten sich auf getrennten Wegen zu der angegebenen Schleusenbasis im Dreiländereck Belgien, Holland, Deutschland begeben.

      Seit zwei Tagen warteten sie nun in dem zum Hotel umgebauten Bauernchalet in Robertville und traten als englische Herbsttouristen auf. Ihrer Rolle entsprechend besichtigten sie das Schloss Reinhardstein und machten auch die obligatorische Venn-Wanderung. Dennoch fiel es ihnen schwer, ihre Ungeduld und Spannung voreinander zu verbergen, eine Spannung, die sich zwar erfahrungsgemäß vor jedem Kampfauftrag einstellte, die aber noch nie so groß gewesen war wie in diesem Fall. Aber sie sind gut trainiert und bekämpfen diesen Zustand bewusst mit mentalen Mitteln, sodass für einen Außenstehenden von dieser Art Lampenfieber nichts zu bemerken ist.

      Sie werden weiter warten, die drei Personen mit den Operations-Decknamen Munroe, South und Donahue. Sie warten auf den avisierten Schleusenwärter, der sie über die Grenze nach Deutschland bringen soll.

      Der Aaper Wald ist eines der schönen zum Düsseldorfer Stadtwald gehörenden Forstgebiete. In nördlicher Richtung stößt das Buchenwaldareal an das Gebiet der Nachbargemeinde Ratingen, während es sich südlich hinter der bekannten Galopprennbahn als Grafenberger Wald bis an die nach Mettmann führende Bergische Landstraße erstreckt. Die Düsseldorfer Stadtteile Mörsenbroich und Rath liegen westlich und sind hier die Hauptnutznießer des Aaper Waldes.