Arlo Finch (3). Im Königreich der Schatten. John August

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Название Arlo Finch (3). Im Königreich der Schatten
Автор произведения John August
Жанр Детские приключения
Серия Arlo Finch
Издательство Детские приключения
Год выпуска 0
isbn 9783401809021



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und fand die Liste mit den Inhaltsstoffen. Einer der betrunkenen Kämpfer knallte gegen die Jukebox. Sie zersplitterte und sprühte Funken. Die Musik hörte zu spielen auf. Jetzt schien der Frau der Geduldsfaden zu reißen.

      »Genug!«, schrie sie. Dann wirbelte sie mit einem ausgestreckten Finger über ihrem Kopf herum. Mit einem Mal kam ein gewaltiger Wind in der Kneipe auf und hob alle Unruhestifter vom Boden. Die Tür öffnete sich und ein Raufbold nach dem anderen flog auf die Straße hinaus. Als der letzte aus der Tür war, ließ die Frau ihre Hand sinken. Der Wind flaute ab. In der Kneipe herrschte plötzlich eine gespenstische Stille.

      Die Frau warf dem kleinen Mädchen, das auf der anderen Seite des Raumes gewartet hatte, den Energieriegel zu. Sie sagte etwas auf Chinesisch zu ihr. Arlo riet, es könnte eine Hälfte jetzt, eine nach dem Abendessen heißen.

      Die Frau begutachtete den in der Kneipe angerichteten Schaden. Neben der zerstörten Jukebox waren Tische und Stühle umgestürzt, überall lagen zertrümmerte Bierkrüge.

      »Sollen wir Ihnen beim Aufräumen helfen?«, fragte Arlo, der hoffte, sich so vielleicht beliebt machen zu können.

      »Nein«, sagte sie abweisend. »Das passiert ständig.« Die Frau klopfte dreimal auf den Tresen. Arlo sah, wie die Tische und Stühle in Bewegung gerieten und sich selbst wieder aufzustellen begannen wie Tiere, die sich nach einem Sturz wieder erhoben. Unsichtbare Hände kehrten die Scherben der zerbrochenen Bierkrüge zusammen und die setzten sich mitten in der Luft einfach wieder zusammen. Dann schwebten die wiederhergestellten Krüge in ein Regal hinter dem Tresen und stellten sich ordentlich in einer Reihe auf. In weniger als dreißig Sekunden sah die Kneipe im Großen und Ganzen wieder aus wie zuvor.

      Selbst Jaycee war beeindruckt von dieser Vorstellung praktischer Magie. »Kannst du das?«, fragte sie Arlo.

      Arlo konnte es nicht, war sich aber ziemlich sicher, dass er wusste, was dahintersteckte. »Ist an alles ein Geist gebunden?«

      »Nicht an alles«, antwortete die Frau und deutete auf die Jukebox. »Das wird ein ganz schöner Aufwand, das zu reparieren. Vielleicht muss ich sie ersetzen.« Dann sah sie Arlo neugierig an. »Ich bin Zhang. Wie heißt du?«

      Vom ersten Planungsstadium an war im Trupp darüber diskutiert worden, ob Arlo seinen richtigen Namen verwenden sollte. Gut möglich, dass Hadryn und andere ihn erwähnt hatten. Du weißt nicht, wem du trauen kannst, hatte Indra gewarnt.

      »Daniel«, sagte Arlo also. (Tatsächlich war Daniel sein zweiter Vorname.)

      »Was bist du für einer, Daniel?«, fragte Zhang. »Du bist ein Tooble, aber eindeutig kein Longborn.«

      »Woher wissen Sie das?«

      »Weil dich Dinge verwundern, die du sonst schon dein ganzes Leben kennen würdest. Ihr seid ganz offensichtlich Touristen.«

      Jaycee verlor die Geduld. »Wir suchen einen Atlas.«

      Zhang gab vor, überrascht zu sein. »Und warum glaubt ihr, dass hier ein Atlas ist?«

      »Ein Freund hat gesagt, dass Sie einen haben«, sagte Wu.

      »Hat euer Freund auch gesagt, wie teuer es ist, den Atlas zu benutzen? Die Gebühr für Neulinge beträgt fünfzigtausend Dollar in bar.«

      »Wir haben kein Geld«, sagte Arlo.

      »Dann haben wir nichts weiter zu besprechen.« Zhang hakte einen Lappen von ihrem Gürtel und begann, die Tische zu wischen.

      »Wir haben etwas, das besser ist als Geld«, sagte Wu.

      »Sag nicht Bitcoin.«

      Arlo nahm seinen Rucksack ab. »Es ist eine Hochschuppe. Eine große.«

      Das weckte ihre Aufmerksamkeit. »Echt? Lass mal sehen.«

      Arlo öffnete den Reißverschluss des Rucksacks und holte umständlich die mit Klebeband umwickelte Bowlingkugel hervor. Obwohl massiv, war sie bemerkenswert leicht, so als würde es sich lediglich um eine Plastikschale handeln. Arlo konnte sie locker mit einer Hand halten, während er das Klebeband abzog und den Rand einer glitzernden goldroten Coatl-Schuppe offenbarte. Sie riss am Klebeband und strebte unerbittlich nach oben.

      Er zog noch ein bisschen mehr ab. Plötzlich stürzte die Kugel jäh zu Boden und verfehlte nur knapp Arlos Füße. Da Arlo immer noch das eine Ende des Klebebandes in der Hand hielt, wurde ihm fast der Arm ausgerissen, als die Schuppe nach oben schoss. Hochschuppen waren wie Heliumballons, nur viel stärker. Ihretwegen konnten Coatls fliegen.

      »Wo habt ihr sie gefunden?«, fragte Zhang.

      Fox hatte Arlo und dem Blauen Trupp die Richtung gewiesen, aber der Beschaffung der Coatl-Schuppe war eine anstrengende Wanderung durch die Long Woods vorausgegangen, bis zu einer Höhle auf halber Höhe eines zerklüfteten Berggipfels. Drinnen hatte es Stunden gebraucht, die Schuppe vom Dach der Höhle zu bergen, wobei Arlo auf eine menschliche Pyramide geklettert war. Nur ein paar Sekunden, bevor die riesige fliegende Schlange zurückgekehrt war, hatten sie das Coatl-Nest verlassen.

      Arlo wollte nicht, dass Zhang davon erfuhr. »In einer Höhle«, sagte er bloß.

      »Also, können wir den Atlas sehen?«, fragte Jaycee.

      Zhang griff nach der Schuppe und bewunderte ihr perlmuttartiges Schillern. Anhand ihrer Reaktion war klar, dass die Hochschuppe mehr als die fünfzigtausend Dollar wert war, die sie gefordert hatte.

      »Wir sind im Geschäft.«

      DER ATLAS

      In der Grundschule von Pine Mountain hatten Arlo und seine Freunde immer wieder Culmans Bestiarium Bemerkenswerter Kreaturen zurate gezogen, ein Buch über übernatürliche Wesen, das die Bibliothekarin in einem verschlossenen Schrank aufbewahrte.

      So ähnlich stellte sich Arlo auch den Atlas vor: ein dicker Wälzer mit festem Einband, der Orte auf der ganzen Welt verzeichnete. Wahrscheinlich wäre er übergroß, vielleicht mit einem geprägten Ledereinband. Die Seiten wären vielleicht in Gold eingefasst.

      Er hätte nicht falscher liegen können.

      Am Ende eines kurzen Gangs öffnete Zhang eine schwere Eisentür. Sie streckte den Arm durch den Spalt, um einen Lichtschalter zu drücken.

      Reihe für Reihe leuchteten staubbedeckte Glühbirnen auf und offenbarten die Riesenhaftigkeit des Raums. Er war größer als die Sporthalle von Arlos Schule. Vielleicht sogar größer als die Schule selbst.

      Regale aus unbehandeltem Holz standen in labyrinthischen Reihen, jeder Fleck war mit einem Buchstaben und einer Zahl beschriftet. Die Beschriftung schien mit dem Objekt zusammenzuhängen, das dort gelagert war: ein verrostetes Fahrrad, eine zerbrochene Flasche, ein Friedhofsengel.

      »Sieht wie die Lagerhalle im Ikea aus«, sagte Wu. »Nur in supergruselig.«

      Arlo ging davon aus, dass dieser riesige Raum trotz allem in die Eule und die Schlange passte. In den Long Woods waren Entfernungen unberechenbar. Auf diese Weise konnten mächtige Zaubersprüche auch zusätzliche Fläche in ein Gebäude quetschen.

      An einem Schrank mit Dutzenden kleiner Schubladen knipste Zhang eine Schreibtischlampe an. »Wohin genau versucht ihr zu kommen?«, fragte sie.

      Arlo drehte sich zu seiner Schwester um. Sie kannte die Details.

      »Es ist ein Park im Norden von Guangzhou«, sagte Jaycee.

      Sie reichte Zhang einige Blätter. Sie hatte eine Karte der Stadt ausgedruckt und den Park mit einem roten Kreis markiert.

      »Und bist du schon mal dort gewesen?«, fragte Zhang. »Ist das ein richtiger Wald? Nicht bloß ein oder zwei Bäume? Es muss ziemlich wild sein.«

      »Ich war vor zwei Monaten dort. Und ja, wenn man vom Hauptweg abgeht, käme man nicht drauf, dass