Название | Seine schönsten Erzählungen und Biografien |
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Автор произведения | Stefan Zweig |
Жанр | Историческая литература |
Серия | |
Издательство | Историческая литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783958555112 |
Im ganzen bedeutet die holländische Episode in der Geschichte Brasiliens einen Glücksfall. Sie hat lange genug gedauert, um durch vorbildliche Verwaltung darzutun, was in diesem Lande bei guter, zivilisierter Organisation geleistet werden kann, und dauert doch anderseits nicht lange genug, um die Einheit der portugiesischen Sprache und der portugiesischen Sitte zu brechen; im Gegenteil: gerade die Bedrohung durch eine Fremdherrschaft erschafft und fördert erst das brasilianische Nationalgefühl. Von Norden bis Süden empfindet sich jetzt diese Kolonie als ein zusammengehöriges Land, das einhellig entschlossen ist, jede gewaltsame Einwirkung auf sein nationales Leben ebenso gewaltsam aus seinem Organismus auszuscheiden: alles Fremde muß sich von nun ab dem Brasilianischen amalgamieren, wenn es sich behaupten will. Scheinbar ist mit diesem Kriege Brasilien für Portugal zurückgewonnen, in Wirklichkeit aber schon sich selbst.
Denn zum erstenmal in diesem Kriege zwischen Portugiesen und Holländern ist dieses neue, in seinen Kräften und Eigenheiten noch unbekannte Element in Erscheinung getreten: der Brasilianer.
Langsam hat sich dieser Typus zu formen begonnen und zunächst in ziemlich gegensätzlicher Art. Die Küste und das Innere des Landes zeigen ein durchaus verschiedenes Bild. In den Küstenstädten strömt ständig neues Blut ein, Zuwanderer, Händler, Matrosen und Sklaven, in den aldeias des Binnenlands wiederum erhält sich dasselbe Blut durch ständige Vermischung. Die Menschen der Küste sind Händler oder primitive Industrielle, ihre wahre Heimat ist das Meer, unwillkürlich blicken sie mit ihren Produkten und Plänen ständig nach Europa hinüber. Für die Kolonisten dagegen ist die Heimat die Erde, und nur Erde erzeugt das volle Gefühl der Verbundenheit.
Die stärkere Energie ist bei den Männern des Hinterlandes. Sie wohnen im Ungesicherten und, gewöhnt an die Gefahr, haben sie begonnen, sie zu lieben. Vor allem in São Paulo beginnt ein merkwürdiger Typus sich zu bilden: der Paulista. Als Portugiesen oder Söhne von Portugiesen einerseits die nomadische Lust der alten Indios, anderseits die Abenteurerfreude der europäischen Ahnen im Blut liebt dies neue Geschlecht es nicht, die Erde selbst zu bestellen, die es besitzt. Längst besorgen diese grobe Arbeit für sie ihre Sklaven, und die langsame Art, Reichtum zu erwerben, widerstrebt ihrem unruhigen Blut. Mit Ackerbau und Viehzucht wird man nicht reich, solange man sie nicht mit hundert Sklaven in großem Stile betreibt, und sie wollen reich werden auf Conquistadorenart – reich, mit einem Schlag und wenn auch mit Einsatz ihres Lebens. So schließen sich die Ansiedler von São Paulo mehrmals im Jahr zu größeren Gruppen zusammen, um als Bandeirantes, die Fahne voran, zu Pferd und mit einem Troß von Dienern und Sklaven wie einst die Raubritter ins Land zu ziehen, nicht aber ohne vorher ihre Fahne feierlich in der Kirche segnen zu lassen. Manchmal vereinigen sich bis zweitausend Menschen zu solchen entradas, und für ein paar Monate bleiben dann die Stadt und die Siedlungen leer von Männern. Was sie suchen, wüßten sie selbst nicht zu sagen; halb ist es das Abenteuer, halb die Hoffnung auf irgendeinen unvermuteten Fund in diesem grenzenlos weiten und unerforschten Land. Seit den Tagen, da die Schätze Perus und die Silberminen Potosis entdeckt wurden, wollen die Gerüchte von einem sagenhaften Eldorado nicht verstummen. Warum sollte es nicht in Brasilien verborgen sein? So ziehen die Paulistas die Flußläufe entlang, die Berge auf und nieder, auf immer anderen ungebahnten Wegen, in welcher Richtung gerade der Wind die vorangetragene bandeira treibt, immer erregt von der Hoffnung, irgendwo auf die sagenhaften Minen zu stoßen. Und solange sich das kostbare Erz nicht finden läßt, solange nicht der »Hercules vom Sertão«, Fernão Dias, wenigstens die Smaragde entdeckt, bringen sie wenigstens eine andere Beute mit: lebendige Menschen. In den ersten Jahrzehnten sind diese entradas nichts anderes als eine wüste, grausam rücksichtslose Sklavenjagd. Den Paulisten scheint es einfacher und zugleich spannender, statt am Markt in Bahia sich Neger zu kaufen, die Eingeborenen mit Hunden und Pferden in scharfer, die Sinne erregender Jagd wie Hasen einzufangen; aber am bequemsten finden sie es schließlich, statt mit den Bluthunden den Verängstigten bis tief in den Urwald nachzujagen, sich diese Sklaven einfach von den Kolonien zu holen, wo sie die Jesuiten so schön ordentlich angesiedelt und schon im voraus zur Arbeit erzogen haben.
Selbstverständlich ist dieses Raubrittertum gegen jedes Gesetz, denn ausdrücklich hat der König die Freiheit der Eingeborenen bestätigt, und Anchieta erhebt verzweifelte Klage: Para êste género de gente não há melhor prègação que espada e vara de ferro. Aus bloßer Gewinngier zerstören die Rotten ihr in Jahren und Jahren mühsam aufgebautes Ansiedlungswerk; sie entvölkern ihre Kolonien, sie tragen den Terror tief in befriedetes Land hinein, sie knechten und rauben nicht nur wehrlose, sondern auch schon kultivierte und dem Christentum gewonnene Menschen. Aber schon sind die Paulisten dank der rapiden Vermehrung durch Mischlinge zu stark, als daß sie Gebot und Gesetz noch einschüchtern könnte; selbst die päpstlichen Bullen gegen diese entradas und bandeiras haben mitten im sertão, im Urwald, keine Gewalt. Immer wilder und zugleich weiter geht die Menschenräuberei ins Land hinein, und noch aus dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts finden wir in Debrets »Voyage pittoresque au Brésil« eines der grausigen Bilder, wie nackte Männer, Frauen und Kinder an langen Stangen zusammengekoppelt wie Vieh von diesen brutalen Sklavenjägern verschleppt werden.
Dennoch haben diese wilden Gesellen in der Geschichte des Landes wider Willen ein großes Verdienst. Immer war die an sich verächtliche Gier nach raschem Gewinn eine der stärksten Kräfte, die den Menschen ins Weite getrieben; sie führte die phönizischen Schiffe über das Meer, sie lockte die Conquistadoren in die unbekannten Erdteile, sie peitschte, obwohl der schlimmste Trieb, die Menschheit vorwärts von Stillstand und bequemem Behagen. So ergänzen paradoxerweise die Bandeirantes, die nur raffen und rauben wollen, das zivilisatorische Werk des Aufbaus Brasiliens, denn durch ihr wildes, zielloses Vordringen fördern sie die geographische Entdeckung des Landes. Von Bahia aus den São Francisco empor, von São Paulo den Paraná hinab und den Paraguay, nach Minas Gerais die Serra empor nach Mato Grosso und Goiaz, quer durch den Urwald vordringend, schaffen und erforschen sie erste Wege in das unbekannte Territorium, und während sie entvölkern, besiedeln sie zugleich. Denn an manchen Stellen bleiben ein paar von ihnen zurück; damit entstehen neue Zellen der Besiedlung, neuen Zentren, von denen neue Nerven und Adern sich weiterbilden ins Unbetretene; in bitterster Feindschaft dem geduldigen Siedlungsplan der Jesuiten entgegenwirkend, haben sie anderseits gerade durch ihr ungeduldiges Vordringen ins Unbekannte das Werk der Durchdringung beschleunigt, nach Goethes Wort »ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft«. Auch sie haben an der Schaffung Brasiliens ihr gutes Teil.
Paulisten sind es auch, die auf einer ihrer entradas in die völlig unbewohnten Bergtäler von Minas Gerais eindringen und dort im Rio das Velhas das erste Gold finden. Einer der Bandeirantes bringt die Nachricht nach Bahia, ein anderer nach Rio de Janeiro, und sofort setzt von beiden Städten und allen möglichen Orten eine ganze Völkerwanderung in diese unwirtlichen Gebiete ein. Die Plantagenbesitzer treiben ihre Sklaven mit sich, die Zuckerwerke werden verlassen, Soldaten desertieren; in ein paar Jahren entsteht im Goldbezirk ein kleiner Ring von Städten, Vila Rica, Vila Real, Vila Albuquerque mit hunderttausend Einwohnern. Dazu kommt bald darauf die Entdeckung der Diamanten. Mit einemmal ist Brasilien die reichste Goldquelle der Welt und der kostbarste Besitz der portugiesischen Krone geworden, die sich von vornherein den Fünftteil an allem gefundenen Gold und jeden Diamanten über zweiundzwanzig Karat gesichert hat.
Die neue Provinz bietet zunächst das Bild eines vollkommenen Chaos. Wie in den ersten Zeiten der Kolonisation fühlen sich in diesen abgelegenen Gebirgstälern, weil noch ohne staatliche Kontrolle, die Eindringlinge jenseits von Recht und Pflicht, und der eingesetzte Gouverneur stößt ebenso wie seinerzeit die Jesuiten – auf entschlossenen Widerstand, sobald er Ordnung und Zucht einführen will. Die »Paulisten« wehren sich gegen die emboabas, die Eindringlinge von der Küste, und es kommt zu verzweifelten Kämpfen, in denen schließlich die königliche Autorität die Oberhand behält. An und für sich ist es nur Habgier, welche die ersten Goldgräber, die den unerwarteten Reichtum mit niemand anderem teilen wollen, zusammenrottet. Aber hinter ihrem eigenmächtigen Widerstand wirkt als höherer Wille schon unbewußt ein nationales Empfinden. Die Paulisten stellen mit diesen ersten Revolten gegen die portugiesische Autorität rein instinktiv die Forderung auf, allerdings noch ohne sie zu formulieren, daß jeder Reichtum der brasilianischen