Es werde dunkel - Ein Spaziergang durch die Geschichte der Filmbearbeitung. Günter Sack

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geklebt wurden. Dazu gehörten: die Rohfilmkleberei in der bei völliger Dunkelheit die zu verarbeitenden Filmlängen konfektioniert wurden, die Negativmontage, die Filmnegative kopierfertig einrichten musste, und die Positivkleberei als letzte Station vor der Auslieferung durch die Expedition an den Filmverleih. Außerdem gab es Werkstätten für alle Maschinen, ein Elektronik-Labor, einen Fuhrpark und ein Verwaltungsgebäude mit einem separaten großen Kinosaal, der sogenannten Kundenvorführung.“

      „Was ist denn dein Spezialgebiet, wenn man das so sagen darf?“, fragte Kalli. „Es ist, wie du dir denken kannst, die Lichtbestimmung“, sagte ich. „Durch die ständigen Kontakte mit Kameraleuten, konnte ich einiges über Kameras und Kameratechnik erfahren. An all den anderen Geräten, die bei der Filmbearbeitung zum Einsatz kamen, habe ich während der Lehrausbildung selbst kurze Zeit gearbeitet.

      Aber ich möchte dich jetzt nicht mit meinen persönlichen Erinnerungen langweilen, Kalli!“

      „Im Gegenteil“, sagte mein alter Schulfreund. „Ich war zwar mal kurze Zeit in der Technik-Redaktion, hatte aber nie die Gelegenheit, mich mit dem Kino näher zu beschäftigen. Du wirst also in mir einen interessierten Zuhörer haben.“ „Wenn es so ist, dann will ich dir gerne einiges erzählen. Ich glaube allerdings, unsere Zeit wird heute nicht ausreichen.

      Nach dem Krieg hatte sich in der damaligen DDR, der Industriezweig Filmbearbeitung mit der Ausbildung zum Filmkopierfacharbeiter etabliert. Bei euch im Westteil nannte man ihn anfangs Filmkopienfertiger, später dann Film- und Videolaborant. Während der Lehrzeit lernte man alle Maschinen kennen und bedienen, um sich später dann für einen geeigneten Arbeitsplatz zu entscheiden. Auch eine fotografische Grundausbildung gehörte dazu. Fotografieren mit großformatigen Plattenkameras, bei denen man anstelle eines Verschlusses den Objektivdeckel kreisend abnehmen und nach einigen Sekunden wieder aufstecken musste, über die Mittelformat-Fotografie mit einer Meister Korelle, bis zur Fotografie mit der Kleinbildkamera Praktica gehörte dazu, ebenso das eigenständige Ansetzen der Chemikalien, die Filmentwicklung und das Vergrößern der selbst aufgenommenen Bilder in der Dunkelkammer. Aber, bevor wir den Weg des Films vom Drehort bis zum Kino verfolgen, lass uns von den notwendigen Maschinen sprechen“, schlug ich vor.

       Wie alles begann

      Das Licht der Welt erblickte das Kino, wie konnte es anders sein, in Jahrmarktsbuden und Zirkuszelten. Mit ihrer sicheren Menschenkenntnis ahnten die Schaubudenbesitzer, welche Wirkung das „lebende Bild“ auf den Besucher haben würde. Man brauchte keine teuren und oft streitlustigen Artisten einzustellen, einzig die Anschaffung der notwendigen Geräte war ein Problem. So begann in den Jahren 1896/97 unter den Schaustellern eine fieberhafte Jagd nach Aufnahme- und Vorführapparaten. Das Bioscop der Gebrüder Skladanowsky kostete seinerzeit 7500 Mark und war für eine Serienfertigung ungeeignet. Oskar Messter, der Erfinder des Malteserkreuzgetriebes, begann erst im Juli 1896 mit dem Verkauf seiner Projektoren und konnte sich bald vor Nachfragen nicht retten. Ähnlich ging es auch Robert W. Paul in London. Lumière in Paris hielten ihren Cinematograph zunächst überhaupt geheim und verkauften kein Stück.

      Die zur Jahrhundertwende erhältlichen Vorführgeräte kosteten zusammen mit ein paar Filmstreifen 1500 bis 2000 Mark. Hergestellt wurden sie in Frankreich von Lumière, Pathé, Frères, Léon, Gaumont und Demeny. Aus England kamen die Geräte von: Robert W. Paul, Cricks, Sharp, Birt Acres sowie Urban Trading & Co. Deutschland war vertreten durch: Oskar Messter, Duskes, Buderus, Ed. Liesegang, Nitschke und Bartling. Ich versuche mir vorzustellen, wie meine Urgroßeltern ihren ersten Kinobesuch schildern würden.

       Auf der Festwiese in Berlin Schönholz herrscht reges Leben. Es ist ein Sonntag bei strahlendem Sonnenschein und wir sehen um uns herum fröhliches, ausgelassenes Treiben. Männer mit Gehrock und Melone, Frauen mit weiten bodenlangen Röcken und weißen Blusen, dazu riesige Hüte, oder einen Sonnenschirm tragend, Kinder in Matrosenanzügen. Alle haben wir ein Ziel, das Zelt, auf dem an einem hölzernen Vorbau in großen Buchstaben Kinematograph steht. Am Eingang herrscht großes Gedränge. Wir bezahlen 20 Pfennig, treten ein und sollen gleich das Wunder des bewegten Bildes erleben. In der Mitte des Zeltes steht der Projektionsapparat, circa 10 Meter von der Leinwand entfernt auf einem Tisch. Er ist völlig ohne verkleidendes Gehäuse und seine Zahnrollen glänzen messingfarben. Auf der Achse der unteren Zahnrolle steckt eine Handkurbel. Saalbeleuchtung und Projektorlampe werden durch Schläuche mit Gas betrieben, welches aus Gummisäcken kommt, die zwischen zwei Brettern mit Gewichten gepresst werden, um den nötigen Druck zu erzeugen. Dem unmittelbar unter einer der Saallampen, sitzenden Zuschauer kommt die Aufgabe zu, auf den Ruf: „Licht“ des Vorführers, an einer Schnur der Lampe zu ziehen. Alle haben jetzt ihre Plätze eingenommen. Ein Mitarbeiter sprüht mit einer Spritzflasche Wasser auf die Leinwand, es soll dem Bild zu mehr Schärfe verhelfen. Als das Stimmengemurmel langsam abebbt, wendet sich der Schausteller, der bis eben mit den Vorbereitungen beschäftigt war, zu uns, um uns auf das einmalige Ereignis einzustimmen, welches wir jetzt erleben werden. Er ist ein schlanker Mann von circa 40 Jahren mit einem Mittelscheitel im pomadisierten Haar und einem nach oben gezwirbelten Schnauzbart. Fliege und Lederweste runden sein Outfit ab. Während er mit dramatischen Worten die Handlung auf der Leinwand kommentiert, wird unter lautem Rattern ein Filmstreifen durch den Apparat gezogen und unten am Tisch in einem Korb aufgefangen. Wir sehen unter anderem Landschaftsaufnahmen, Löwen in freier Wildbahn, galoppierende Pferde und als krönenden Abschluss eine Lokomotive, die direkt auf uns Zuschauer zurast. Viele springen von ihren Stühlen auf, Frauen kreischen, dann ist es auch schon zu Ende und benommen taumeln wir hinaus in den Sonnenschein, in dem Bewusstsein, soeben etwas noch nie da gewesenes miterlebt zu haben.

      Das industrielle Zeitalter war angebrochen und nun ging es Schlag auf Schlag. Es kamen erklärende Zwischentitel, große Kinoorgeln lösten Klaviere ab und der Edison Phonograph wurde zur musikalischen Untermalung eingesetzt - anfangs mit Schläuchen verbunden, die sich die Zuschauer in die Ohren stecken mussten, später mit großen Schalltrichtern. Elektrisches Licht löste die nicht ungefährliche Gasbeleuchtung ab, die wiederum davor das Petroleumlicht ersetzt hatte. Kinos schossen wie Pilze aus dem Boden und die kleinsten Häuser hatten die pompösesten Namen.

      Nun schien die Zeit reif zu sein für abendfüllende Filme und damit verbunden der Wunsch nach neuen Geräten.

      „Der Eindruck einer fließenden Bewegung entsteht in unserem Gehirn nur durch die Trägheit unseres Auges, habe ich mal gelernt“, sagte Kalli.

      „Richtig! Genau genommen ist es eine Fehlinterpretation unseres Gehirns. Man spricht in diesem Zusammenhang von der sogenannten Verschmelzungsfrequenz, sie liegt bei mindestens 12 Serienbildern, die am Auge pro Sekunde vorbeigeführt werden müssen. Zur Zeit des Stummfilms waren 16 Bilder pro Sekunde die gängige Bildfrequenz. Später, als der Film eine Tonspur bekam, einigte man sich beim 35-mm-Format weltweit auf 24 Bilder pro Sekunde.“

      „Die ersten Filme haben doch noch sehr geflimmert“, meinte Kalli. „Deshalb galt es noch einen anderen Umstand zu berücksichtigen“, sagte ich. „Die Flimmerfrequenzgrenze des Auges liegt bei ca. 48 Lichtwechseln. Es kam nun darauf an, aus den 24 Bildern pro Sekunde 48 Lichtwechsel zu machen. Somit wären wir schon bei der ersten Maschine und dem ersten Namen, der Filmprojektor und Alexander Ernemann.“

      „Wäre es nicht richtiger, mit einer Filmkamera zu beginnen?“, gab mein Freund zu bedenken. „Du hast nicht ganz unrecht“, meinte ich. „Zumal die ersten Geräte oftmals Kamera und Projektor in einem waren.“

      „Und es waren meist edle Holzkisten“, ergänzte Kalli lächelnd.

      „Das war kein Wunder“, sagte ich. „Bevor sich die Filmindustrie entwickelte, kamen die Leute aus allen möglichen Berufen und bis zuletzt gab es in der Branche viele ambitionierte Seiteneinsteiger. Das Wort Kino wurde übrigens erstmals im Zusammenhang mit der Filmkamera Ernemann-Kino verwendet. Aber lass uns ruhig mit dem Filmprojektor beginnen, denn er bringt den Film zum Leben.“

       1. Kapitel Der Filmprojektor