Название | Das Meer und das Leben |
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Автор произведения | Gerald Schneider |
Жанр | Журналы |
Серия | |
Издательство | Журналы |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347049383 |
Diese allumfassende Stille wurde selbst in der kurzen Zeit am Stadthügel von Avdat für mich so körperlich, dass sie mich mehr belastete als die Welt der Geräusche und des Lärms. Ich ging meinen aufkeimenden, leicht versponnenen Gedanken nach und war dabei, mich in einer Geisterwelt zu verlieren, als plötzlich, wie das Fingerschnippen des Hypnotiseurs, ein Esel irgendwo in der Nähe unter der Glut der Mittagssonne laut und vernehmlich mehrere Male durch die Wüste brüllte und mich in die Realität zurückholte.
Diese Erinnerung an den Esel brachte mich auch auf der „Meteor“ aus meinen Gedanken und ich schaute wieder aufmerksamer in meine Umgebung. Aber es hatte sich nichts geändert. Der trübe Ausblick war geblieben und die große Stille lastete immer noch über Schiff und See. Der Staub rieselte unmerkbar, aber beständig aus der Luft. Ich sammelte die Menge von ein oder zwei Teelöffel vom Deck und verstaute den rötlichen Staub in ein mitgebrachtes Glasgefäß. Als „Souvenir“.
Dann überließ ich mich wieder meinen Fantasien, die in dieser Situation reichlicher flossen als gewöhnlich. Wie wird wohl die erste Begegnung europäischer Seefahrer mit derartigen Staubwalzen ausgefallen sein? Portugiesen müssten diejenigen gewesen sein, die das erste Mal damit zu tun bekamen, damals vor rund 500 Jahren, als sie sich daran machten, im Laufe von Jahrzehnten den Seeweg um Afrika und nach Indien zu erkunden.
Was haben die Männer gedacht als von einem Tag auf den anderen die Frische des Meeres verschwand und sich die Welt in braunen Nebel hüllte, der Sand sich auf der Karavelle abzulagern begann, die Segel schlaff herunterhingen und keine Fahrt mehr im Schiff war. Keine anderen Geräusche drangen an das Ohr der verängstigten und verunsicherten Menschen als das Knarren der Planken, Blöcke und des Tauwerks des durch leichte Meeresströmungen bewegten Schiffes. Es wird gebetet. Naht das Ende des Ozeans, der Welt, kippt das Schiff über den Rand der Erdscheibe und fällt in das Nichts? In das Nichts ohne Wiederkehr? Die Nerven liegen blank, wie man so sagt. Bei allen, vom Schiffsjungen bis zum Kapitän.
Dann – in meinem Kopf treibe ich die Dramatik genüsslich auf die Spitze – springt in unmittelbarer Nähe ein großer Wal, hebt seinen Körper in die Luft, kippt zur Seite und klatscht unter ohrenbetäubendem Lärm auf die See, dass die heranrollenden Wellen die Karavelle ins Schlingern bringen. Ein Aufschrei der Verzweiflung gellt über das Meer. Vielleicht war dieser Aufschrei das letzte, was von dem Schiff Zeugnis gegeben hätte. Aber der Schrei hat die Staubwalze nicht verlassen und es war niemand da, ihn zu hören.
Wenn man unsere Situation auf sich wirken lässt, bekommt man eine Ahnung, wie die Ungeheuer des ausgehenden Mittelalters auf die Karten und Portolane kamen und wird nachsichtig mit unseren Vorfahren. Es waren nur verängstigte Menschlein, die der Fremdheit dieser Natur nicht gewachsen waren und sich nicht anders zu helfen wussten, als ihre Ängste in fantastischen Ungeheuern bildlich wiedererstehen zu lassen und so zu „verarbeiten“.
Das Schweigen der Wüste und der See. See und Wüste, wie eng sie doch miteinander verwandt sind. Wir sprechen einerseits von einem Sandmeer, andererseits von einer Wasserwüste. Das Kamel ist das „Wüstenschiff“ und südlich der Sahara zieht sich quer durch den Kontinent die Landschaftsbezeichnung „Sahel“. Der aus dem Arabischen stammende Begriff heißt nichts anderes als „Im Uferbereich liegend“ oder „Rettendes Ufer“ oder schlicht „Küste“. Das sagt alles.
Hier auf See denke ich also an die Wüste, als ich damals am Hügel von Avdat saß, dachte ich jedoch an das Meer. Welche kompromisslose Wüste stellt die See dar. Ständig veränderbar, unstetig, lebensfeindlich für den Menschen, denn er vermag sich in ihr noch nicht einmal dauerhaft zu bewegen. Und die See unterbindet jede Erinnerung an Tragödien.
Verunglückt jemand in der Sahara, so findet man seinen Jeep, vielleicht die ausgetrocknete, mumifizierte Leiche, Skelette, unter Umständen eine letzte Botschaft. In einen Felsen geritzt oder wie auch immer mitgeteilt. Risse uns hier ein Sturm, eine Monsterwelle oder ein irgendwie anders geartetes Unglück in die Tiefe, die See würde sich ruhig über uns schließen und nichts, aber auch gar nichts würde von dem Drama Zeugnis geben. So wie bei den vielen Schiffen, die ohne Botschaft nicht mehr wiederkamen. Das Meer, die tiefdunkelblaue See würde wie seit 5000 Jahren unter einem heiteren Himmel über die Gräber rollen. Die Erinnerung wäre im System verloren gegangen.
Wüste und See. Riesige, menschenfeindliche Gebiete, angefüllt mit geheimnisvollen Kräften, gegen die der Mensch nichts vermag. Beide regiert von dem gleichen Herrscher, dem Himmel. Die Wüste kenne ich nicht so gut, ich habe mehrmals in ihren Vorhöfen gestanden, bin aber nie zu ihrem Herzen durchgedrungen. Daher will ich nicht mehr von ihr reden, aber das Meer und der Himmel sind Teil meines Lebens.
Wer zur See fährt, lernt den Himmel zu achten. Als ich das erste Mal auf ein Peildeck enterte und auf einem richtigen Ozean den Blick über die große Wasserfläche schweifen ließ, erschrak ich fast über die Größe des Himmels. Wie eine riesige Kuppel spannte sich das Himmelszelt über der See und begrenzte sie in jeder Richtung. Verglichen mit diesem riesigen Gewölbe wirkte das Meer klein, unbedeutend, eigentlich nur der untere wässrige Abschluss des Firmaments. Nirgendwo vorher hatte ich einen derartigen Himmel zu Gesicht bekommen, seine Größe schlug mich in seinen Bann und hat mich bis heute nicht losgelassen.
An Land, jedenfalls in den Regionen, in denen wir in der Regel beheimatet sind, ist der Himmel Beigabe, ein Teil der Landschaft. Der Himmel hat auf unser Treiben lediglich einen modulierenden Einfluss und äußert sich häufig nur in trivialen Zusammenhängen wie z. B. der Frage nach der Kleidung. Das Gespräch über das Wetter gilt als das Paradebeispiel des „Small Talk“, das worüber man Kontakte knüpfen kann, was aber letztendlich ohne jede Bedeutung ist. Der Himmel spielt bei unserem Treiben keine besondere Rolle. Nicht so auf See, in der Welt des Ozeans sind Meer und Himmel die bestimmenden Größen.
Deswegen ist der erste morgendliche Blick immer zum Himmel gerichtet, dann auf die See und erst danach folgt alles andere. Das Meer ist ein eigener Kosmos, gebildet von Wasser und Himmel, in dem sich das Schiff seinen Weg bahnt. Niemand kann daher zur See fahren und den Himmel vernachlässigen, denn die See ist nicht der Spiegel des Himmels, sondern seine rechte Hand. Wenn der Himmel zürnt, ist das Meer der Hammer und graue Wellenberge werden über die See wandern und auf Schiffe und Felsenklippen einschlagen, Ländereien überfluten, Menschen ertränken. Wenn dir der Himmel gewogen ist, so ist es das Meer, das dich und deinen schwimmenden Untersatz behutsam an das Ziel trägt.
Aus diesem Grund wurde und wird der Himmel mit Achtung und Respekt betrachtet, dessen Vorzeichen man rechtzeitig erkennen und deuten muss. Aus Erfahrung, Belehrung und heute auch mit Hilfe der Elektronik, der Satellitenbilder und allen modernen Hilfsmitteln, die dem Seemann zur Verfügung stehen. Der Ozean, die nur gemeinsam zu denkende Verbindung von Himmel und Meer, ist scheinbar mal Partner, mal Gegner, wechselt die Rollen, ist nicht berechenbar. Du schimpfst auf ihn, du erfreust dich an ihm, aber du wappnest dich auch gegen ihn und steckst, wenn es sich nicht vermeiden lässt, seine Schläge ein.
Er ist der große König, der huldvoll Gnade gewährt oder ohne Begründung vernichtet. Menschen interessieren ihn nicht, er folgt nur seinem Gutdünken. Wenn dabei ein Schiff auf der Strecke bleibt oder eine Insel untergeht, sollten wir uns nicht einbilden, er hätte es wegen uns getan. Der Mensch ist viel zu belanglos als dass er sein Tun auf ihn ausrichten würde und geht jemand an ihm zu Grunde, so schlicht deshalb, weil er sich in seinen Regierungsbereich gewagt hat. Wer sich ihm nähert, muss ihn achten, respektieren, darf ihn nie aus den Augen lassen und muss seine Vorbereitungen treffen. Das ist der wahre Unterschied zwischen dem Land- und Seeleben.
Selbstverständlich wirkt sich das Antlitz des Himmels auf die Stimmungslage der Männer aus. Heraufziehendes, drohendes Gewölk oder möglicherweise eng beieinander liegende Isobaren auf der Wetterkarte spiegeln sich in ähnlichen Falten auf der Stirn der Verantwortlichen. Der vorfrühlingshafte Hauch über einer frischen, blauen See bringt ein Lächeln in die Gesichter. Aber auf unbestimmte Weise bedrückend wird die Stimmung, wenn sich Himmel und Meer zu dem vereinen, was ich für mich in Ermangelung eines besseren Wortes das „schweigende Kontinuum“ genannt habe, die Vereinigung der beiden Elemente zu einer ununterscheidbaren stillen Masse.
Genau das hatten wir jetzt vor Westafrika. Himmel, Sand und Meer verschwammen zu einer ununterscheidbaren