Название | Ein Sommer in Cassis |
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Автор произведения | Peter Berg |
Жанр | Контркультура |
Серия | Lesen ist das neue Reisen |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347113572 |
Catherine begrüßte noch zwei ihr offenbar bekannte Gäste, die schon an dem Tisch saßen, vor sich ein Anisgetränk. Sie tat es auf jene mir typische Art und Weise der Südländer, bei der man kurz links und rechts Wange an Wange schmiegt, den zugehörigen Kuss in der Luft aber nur kurz gehaucht andeutet. Ein schönes
Freundschaftsritual, das in unserer oft eher feindlichen Alltagswelt kaum einzuführen wäre
„Monsieur Grippa und sein Sekretär Marcel“, stellte sie mir die beiden vor und fügte erklärend hinzu: „Monsieur Grippa führt hier das größte Importgeschäft für Modeschmuck aus Ostasien.“
Dieser lächelte mir zu und sagte in reinem Deutsch: „Wie geht’s? Gefällt es Ihnen hier?“
„Merci, j’aime la France!“ antwortete ich dafür auf Französisch und fügte hinzu: „Woher sprechen sie so gut Deutsch?“
„Berlin drei Jahre“, antwortete der groß gewachsene Mann und wandte sich dem ‚Sekretär‘ wieder zu, mit dem er zuvor schon in angeregter Unterhaltung gewesen war, und es schien mir nun, als sei es eher ein Streitgespräch, von dem ich aber keine Einzelheiten mitbekam, denn meine Aufmerksamkeit wurde ganz von der Frau an meiner Seite beansprucht.
„Die Geschäftsleute gehen nach der Arbeit gern mit ihren Angestellten oder Kollegen auf einen Drink hierher“, erklärte Catherine, „diese Sitte hebt das Klima und die Stimmung!“
Vielleicht sollten wir davon lernen, dachte ich und ich nahm mir vor, ähnliche Rituale einzuführen. In Gedanken an meinen Job fiel mir wieder ein, wie Catherine mich am Nachmittag genannt hatte, Monsieur le Commissaire, und stellte sie nun zur Rede: „Wie haben Sie das gemeint vorhin mit dem Commissaire?“ Sie lachte wieder auf ihre herzliche und sympathische Weise, und das Grübchen war zu sehen.
„Sind Sie es nicht?“
„Leugnen hat wohl bei Ihnen wenig Sinn, denn Sie scheinen das Handwerk einer Detektivin zu verstehen!“ entgegnete ich und fasste sie dabei leicht beim Arm. Zugleich trafen sich unsere Blicke und ich versuchte, meine flüchtige Beobachtung von zuvor noch einmal zu überprüfen: Tatsächlich, beide Pupillen waren eine Spur unterschiedlich in der Farbe.
Sie hielt meinem Blick stand. Sie lächelte. Wir sahen uns, nahe beieinandersitzend und uns zugewandt, vielleicht eine Viertelminute nur schweigend in die Augen. Zu lange, um es bedeutungslos finden zu können. In solchen Augenblicken werden Momente zu Ewigkeiten. Ich könnte sie jetzt küssen? Wie würde sie reagieren? Einen Moment lang dachte ich, es gäbe keine andere Lösung. Doch da erinnerte sie sich wieder an ihr unnachahmliches Lachen, mit dem sie jede Verlegenheit zu überspielen vermochte. Griff zum Weinglas, um mir zuzuprosten: „Das ist ein echter Wein, wie er hier in der Nähe wächst, und hier ist er besonders gut“, bemerkte sie, als wäre dies nun die wichtigste Feststellung der Welt. „Dieser trockene Wein schmeckt nach Myrte und Rosmarin. Die Touristen in den anderen Restaurants bekommen meist das, was minderwertig ist und sogar aus anderen Gebieten importiert. Was glauben Sie, welche Mengen hier in den Sommermonaten konsumiert werden?“
Das gab mir Gelegenheit, auch nach meinem Glas zu greifen, und ich wusste in diesem Moment nicht, ob ich eher die verpasste Gelegenheit bedauern oder mich über die verhinderte Peinlichkeit einer schallenden Ohrfeige erfreuen sollte. Gewiss war sie nicht die Frau, die man einfach unvermittelt in der Öffentlichkeit küsst. Da gibt es doch wohl noch Unterschiede, die mit einem feinen Gefühl von Nähe und Distanz zu tun haben, die gesellschaftlich definiert sind. So hatte ich zum Beispiel beobachtet, wie ein deutsches Paar in unserem Hotel ankam, freundlich begrüßt wurde, weil es bereits, wie stolz erzählt wurde, das achte oder neunte Mal hier Urlaub machte. Man erkannte sich wieder, sprach sich mit Vornamen an, doch umarmte man sich nicht. Distanz war trotz Bekanntheit vorhanden. Zwei andere, französische Paare, die in Lederkluft mit Motorrädern reisend Zwischenstation machten, wurden ganz anders empfangen. Catherine war hinter ihrem Tresen hervorgekommen, hatte sie alle umarmt und in der beschriebenen Weise mit Luftküssen begrüßt. Man gehört eben dazu oder nicht.
Nein, so einfach küssen durfte ich sie nicht! Und schon gar nicht auf den Mund. Das hätte alles verderben können. Erst wenn man bei der Begrüßung umarmt wird, verstand ich jetzt, ist man aufgenommen in den inneren Zirkel der wirklichen Freunde.
„Monsieur le Commissaire, Sie haben sicher bemerkt, dass hier, wie sagt man, - etwas stinkt?“ sie kam ohne Umschweife zum Thema. „Sie haben die letzten Tage schon sehr genau die Menschen beobachtet. Ich habe zuerst gedacht, sie wären ein Psychologe, oder ein, verzeihen sie, Kleiderverkäufer, denn auch diese schauen die Leute genau an. Aber als Sie mir dann heute diese Fragen nach dem Mord gestellt haben, so professionell, habe ich plötzlich gewusst, dass dieses Ihr Beruf sein muss!“
„Beachtlich!“ fuhr es mir heraus, „Sie liegen gar nicht ganz verkehrt, Madame. Aber sagen Sie, wieso bemerken Sie so etwas?“
„Nun, ich beobachte auch sehr genau, und dabei bemerkt man vieles, was anderen entgeht“, lachte sie wieder und schaute mir dabei erneut in die Augen. Und nun kam es mir vor, als provoziere sie in vollem Bewusstsein mit ihrer Weiblichkeit, man nennt das einen Flirt. Dann hob sie wieder das Glas.
Ich hielt ihr meine Packung Zigaretten hin, sie lehnte dankend ab, und ich steckte mir einen Stengel an. Bisher hatte ich es geschafft, während des Urlaubs dieses Laster wenigstens etwas zu reduzieren.
Gern hätte ich das Thema noch weiter vertieft, um auf die Frage zu kommen, was sie wirklich wusste von all den mysteriösen Ereignissen hier im Hafen. Jetzt aber wurde die Aufmerksamkeit der Menschen ringsum von einem besonderen Auftritt angezogen, der außerdem durch seine Lautstärke einem Gespräch den Boden entzog.
Zwei Frauen in mittlerem Alter, streng frisiert, mit Haarknoten und Dunkelrandbrillen, rollten auf einem kleinen, hölzernen Handwagen ein winziges Schlagzeug heran, dazu einen kleinen Musikverstärker mit Mikrofon, das sie auf einem Ständer vor den Gästen der ersten Reihe an der Promenade platzierten. Beide Frauen trugen knallenge, graue Kostüme mit superkurzen Röcken, die figurbetont ihre weiblichen Rundungen und makellosen Beine zur Geltung brachten. Die skurrile Szene wirkte durch den Kontrast von scheinbar sexualfeindlicher Gestrigkeit und aufreizender Hervorhebung ihrer Weiblichkeit: Altmodische Frisuren, die an die Mitte des vorigen Jahrhunderts erinnerten, dazu die unmodernen Kostüme, jedoch knalleng und minikurz, die dunkel umrandeten Hornbrillen, hochhackige Stöckelschuhe, dazu das lächerliche Gefährt, mit dem das Ganze daher kam, darauf ein Instrument, dem man keine Kraft zutraute, - all das erweckte bereits Aufmerksamkeit, bevor sie ihre Musikshow begannen.
Zunächst spielten sie ein züchtiges Chanson im Stil frommer Betschwestern. Beide sangen, und die vordere begleitete dazu mit der Gitarre. Die hintere saß auf einem Schemel an dem Schlagzeug. Einige der Zuschauer amüsierten sich, verdrehten abfällig die Augen: Was wird einem denn hier zugemutet?
Doch schlagartig setzte ein knallharter Beat ein. Die jungen Frauen entpuppten sich als hervorragende Schauspielerinnen und Musikerinnen, die moderne Rhythmen mit erstaunlicher Schärfe und Präzision aus diesen Miniinstrumenten herausholen konnten. Dazu eine einstudierte Show aus Gestik und Mimik, die alle Gäste der Bar zu begeistertem Mitklatschen verführte. Der Kontrast hatte höchste Wirkung. Auf der Flaniermeile stauten sich die Menschen.
Catherine ließ sich nicht mitreißen, wiegte nur leicht den Kopf hin und her, sie kannte, so schien es, die Show bereits. Leider verstand ich den Text nicht so recht, ab und zu lachten die Leute bei den Pointen, es schien mir sozialkritisch, irgendetwas von verbotener Liebe, Sex und Drogen.
Dann wieder der schnelle, laute Beat mit Tanzschritten der vorderen, und alle Leute nun in Bewegung auf ihren Stühlen.
Catherine winkte der Kellnerin um zu bezahlen.
„Lassen