Die Salbenmacherin. Silvia Stolzenburg

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Название Die Salbenmacherin
Автор произведения Silvia Stolzenburg
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783839247242



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kann keinen Mann entbehren.« Er machte Anstalten, sich abzuwenden.

      »Was sollen die Leute denken?«, schoss Oliveras Großmutter zurück.

      »Nichts!«, war die Antwort, die nun auch Olivera schmunzeln ließ. »Viele Damen gehen in Begleitung zum Markt. Man wird Euch überhaupt keine Aufmerksamkeit zollen.« Er verdrehte die Augen. An Laurenz gewandt sagte er: »Das wird Euch auch ein wenig zerstreuen. Begleitet die beiden und lasst Euch von ihnen den Basar zeigen.« Mit diesen Worten ließ er die kleine Gruppe stehen. Kurz darauf wurde er von den Schatten im Inneren des Gebäudes verschluckt.

      »Ich bin sofort wieder bei Euch«, entschuldigte Laurenz sich mit einer artigen kleinen Verneigung und eilte davon.

      »Dein Vater ist ein Narr!«, erboste sich Oliveras Großmutter. »So etwas muss zu Gerede führen!« Die Falten um ihren Mund vertieften sich, als sie die Lippen aufeinanderpresste. »Diese Dummheit wird er noch bitter bereuen.«

      Olivera schwieg. Zu viele unterschiedliche Gefühle hielten Widerstreit in ihr – Freude, Überraschung und Ärger über ihre Tölpelhaftigkeit. Warum hatte er nur diese Wirkung auf sie? Weshalb kam sie sich in seiner Nähe immer so ungeschickt und unscheinbar vor? Und wieso, in drei Teufels Namen, musste sie immer rot anlaufen wie eine Erdbeere, wenn er sie ansah? Am liebsten hätte sie sich selbst geohrfeigt. Mit albernem Gestotter würde sie ganz sicher keinen Eindruck auf ihn machen! Bevor sie sich weiter selbst zürnen konnte, erschien Laurenz wieder – gefolgt von zwei Begleitern.

      »Ich nehme an, Ihr wollt zu Fuß gehen, nicht reiten?«, fragte er an Oliveras Yiayia gewandt. Diese nickte ungnädig. »Dann sagt mir, wohin Ihr wollt«, setzte Laurenz hinzu. Scheinbar beeindruckte ihn die abweisende Haltung der alten Frau nicht im Geringsten, da Olivera deutlich den Schalk in seinen Augen aufblitzen sah.

      *

      Nur mit Mühe verkniff Laurenz sich ein Lachen. Hätten Blicke töten können, wäre er ganz gewiss an Ort und Stelle ins Herz getroffen zu Boden gesunken. Der Missmut des alten Drachen hing beinahe greifbar in der Luft. Allerdings interessierten ihn die Gefühle der vertrockneten Vettel nicht im Geringsten. Alles, woran ihm etwas lag, war mit der bezaubernden Tochter des Hausherrn an seiner Seite über einen Markt zu schlendern, dessen Warenangebot ihm vollkommen gleichgültig war. Drei Tage lang hatte er vergeblich darauf gehofft, das Mädchen wiederzusehen. Doch selbst den Mahlzeiten waren die Damen ferngeblieben. Wodurch ihm der Aufenthalt in Konstantinopel erneut zuwider geworden war. Noch immer hielt der Goldschmied ihn hin, vertröstete ihn von einem Tag auf den anderen. »Bald, bald«, waren die Worte, die Laurenz allmählich an den Rand der Geduld brachten. Allerdings war ihm der Goldschmied im Augenblick so egal wie das Wetter im fernen Indien. Alles, was ihn in diesem Moment interessierte, war die feine Röte auf den Wangen seiner jungen Begleiterin; die schamhaft niedergeschlagenen Augen und das Heben und Senken ihrer Brust. Diese – sittsam verborgen unter einem senfgelben Gewand – zog seine Blicke immer wieder an. Genauso wie ihre wohlgerundete Rückseite, die ihm so verlockend erschien wie eine köstliche Frucht. Das Keifen der alten Hexe ließ die Gedanken an seidige Haut und pralle Rundungen allerdings verpuffen wie Rauch in einem Sturm. »Habt Ihr nicht gehört?«, fauchte sie.

      Nein, dachte Laurenz. Laut sagte er: »Was immer Ihr wünscht«, und bot der alten Frau den Arm.

      »Meine Enkelin wird mich stützen«, versetzte diese bissig und streckte besitzergreifend die Hand aus.

      Als Olivera sich ein wenig vornüberbeugte, um ihrer Großmutter einen Korb abzunehmen und eine Flasche hineinzulegen, spannte sich der Stoff ihres Kleides. Laurenz ballte die Hände zu Fäusten, da sich ihre Hinterbacken deutlich unter der fließenden Seide abzeichneten.

      Wie gerne er diese Verlockung von dem störenden Stoff befreien und mit seinen Händen erkunden würde! Er trat verstohlen von einem Fuß auf den anderen, da seine Männlichkeit sich stürmisch zu Wort meldete. Um keine Aufmerksamkeit auf den allzu freiliegenden Latz seiner Hose zu ziehen, faltete er hastig die Hände davor und setzte ein lammfrommes Gesicht auf. Vielleicht hätte er doch eine etwas längere Schecke anziehen sollen, dachte er. Wenn Olivera weiterhin eine solche Wirkung auf ihn ausübte, würde die alte Giftschlange ansonsten ganz sicher sehen, was in seinem Kopf vorging.

      »Worauf wartet Ihr denn?«, fragte diese eisig. Etwas Unverständliches murmelnd zog sie ihre Enkelin auf das Hoftor zu. Und schon bald tauchten sie ein in das Gewimmel der breiten Straße, auf der neben Reitern und Fußvolk auch zahllose Fuhrwerke in Richtung Süden strömten. Wie vor drei Tagen steuerte Laurenz auf die Mauer zu, welche die reichen Viertel unten am Hafen umgab. In der Ferne konnte er bereits das Glitzern des Marmarameeres ausmachen, auf dem auch am heutigen Tag ein Wald aus Segeln im Wind schaukelte. Nach einigen hundert Schritten erreichten sie den Eingang des Venezianischen Viertels, und augenblicklich wurde das Getümmel noch dichter. Es war Laurenz bereits auf dem Weg zum Phiolarius aufgefallen, aber heute war der Eindruck noch stärker: Anders als im nördlich von ihnen gelegenen Teil der Stadt wirkte hier nichts vernachlässigt oder heruntergekommen. Während weiter landeinwärts ausgedehnte Obstgärten und Felder die Stadtteile voneinander trennten, pulsierte vor ihnen das Leben, egal wohin man sah. Die eng gedrängten Häuser und Warenspeicher ließen keinen Platz für Ziegen, wilde Rosenbüsche oder kleine Wäldchen. Und nach Ruinen oder halb verfallenen Häusern würde man hier vergebens suchen. Er blickte sich bewundernd um, als sie ein Haus mit schneeweißen Säulen passierten. Doch seine Bewunderung verwandelte sich innerhalb eines einzigen Lidschlages in heißen Schrecken. Es gelang ihm gerade noch, einen Warnruf auszustoßen, als sich ein Fass von der Ladefläche eines vorbeirumpelnden Fuhrwerkes löste.

      »Gebt acht!«, rief er. Mit einem Satz war er bei den Damen und zog sie zur Seite, kurz bevor das Weinfass dort zerbarst, wo sie eben noch gestanden hatten. Ein Schwall seines Inhaltes ergoss sich über Oliveras Großmutter und durchnässte sie bis auf die Knochen. Ihre Enkelin hingegen kam mit einem feuchten Rocksaum davon, da sie ein Stückchen weiter getaumelt war, als die alte Frau.

      »Oh, Heilige Mutter Gottes!«, zeterte es dicht an Laurenz’ Ohr. »Wie soll ich denn so auf den Markt gehen? Wir müssen augenblicklich wieder umkehren!«

      Kapitel 6

      Konstantinopel, Juli 1408

      Oliveras Herz hämmerte in ihrer Kehle. Der Schreck war ihr bis ins Mark gefahren und ihre Beine fühlten sich an wie Gummi. Fassungslos verfolgte sie, wie der Kerl auf dem Bock des Wagens diesen ungerührt weiter durch die Menschenmenge lenkte und sich nicht einmal nach ihnen umsah. Hatte er denn nicht bemerkt, dass eines seiner Fässer sie um ein Haar erschlagen hätte? Sie wischte sich mit zitternden Händen einen Tropfen Wein aus dem Gesicht.

      »Bringt uns zurück!«, hörte sie ihre Yiayia schimpfen. »Was für ein Tölpel!« Trotz ihres Zorns war das Gesicht der alten Frau totenbleich und ihre Lippen bebten. »Bitte«, fügte sie leise hinzu, dann sackte sie in die Knie. Hätte Laurenz sie nicht gestützt, wäre sie im Staub gelandet.

      »Meine Männer werden Euch nach Hause begleiten«, hörte Olivera ihn sagen. »Aber erlaubt mir, mit Eurer Enkelin die Einkäufe zu tätigen, die Ihr machen wolltet.«

      Olivera sah, wie sich der Mund ihrer Großmutter zu einem Protest öffnete. Doch dann nickte sie und sagte resigniert: »Ihr habt recht. Ich brauche die Zutaten dringend.« Sie überlegte einige Augenblicke lang. Schließlich befreite sie sich von Laurenz’ Griff und rang darum, ihre Fassung wiederzuerlangen. »Du kommst mit mir«, sagte sie an einen der Knechte gewandt. »Und du wirst mit ihnen gehen.« Ihr Finger bohrte sich in die Brust des zweiten Mannes. Sie trat auf ihre Enkelin zu und kramte in der Tasche ihres Obergewandes, bis sie ein gefaltetes Blatt Papier zutage förderte. »Hier.« Sie drückte Olivera die Liste und eine Geldkatze in die Hand. »Du findest alles bei Muzaffer, dem Osmanen. Sag ihm, dass ich dich geschickt habe. Dann wird er nicht versuchen, den Preis in die Höhe zu treiben.« Ihre Augen bohrten sich in die des Mädchens. »Es sollte nicht länger als eine Stunde dauern, die Besorgungen zu machen«, fügte sie hinzu. Die Warnung in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

      Olivera nahm ihr das Papier aus der Hand und versprach: »Wir sind zurück, ehe du den Wein aus deinem Haar gewaschen hast.« Sie beugte sich zu ihrer Yiayia hinab und küsste sie