Название | Der Kunde ist Gast |
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Автор произведения | Jörg Winter |
Жанр | Социология |
Серия | Edition Buchhandel |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783934054905 |
Aufenthaltsqualität
Unsere Kunden wollen sich wohlfühlen. »Was können wir tun, damit es unseren Kunden gut geht?« ist eine zielführende Frage, die unseren Blick auf das Wichtige lenkt. Der Raum und das Raumgefühl gehören zu den Merkmalen, die den stärksten Unterschied zum Internet und auch zu Wettbewerbern ausmachen. Die Raumerschließung, die Warenpräsentation, Sauberkeit, Ordnung, jeder einzelne im Team mit seinen individuellen Verhalten – all das gehört auf den Prüfstand. Hier ist Professionalität statt Amateurhaltung gefragt. Alle Fähigkeiten dazu sind erlernbar.
Kunden inspirieren
Die jüngste GFK-Studie Buchleser und Buchkäufer aus dem Jahr 2015 zeigt, dass Zielkäufe im stationären Handel auf dem Rückzug sind. Wenn der Kunde genau weiß, was er möchte, ist das Internet für ihn in der Regel die erste Wahl. Die Erfahrung zeigt, dass der gezielte Kauf im Netz rasch, komfortabel und in der Regel auch zur vollsten Zufriedenheit des Kunden abläuft. Wo liegt aber dann die Chance für den etablierten Buchhandel? Buchhandlungen sind und bleiben der richtige Ort, wenn Kunden keine feste Kaufvorstellung haben, offen für Ideen sind und Spaß am Stöbern haben. Besser gesagt: Sie sollten der richtige Ort sein.
Kunden zu inspirieren, zu animieren, Gelegenheiten zum Entdecken geben – all das sind Großchancen des stationären Handels. Persönliche Empfehlungen als Herzstück einer modernen Buchhandlung gehören nicht an den Rand gedrängt, sondern in das Zentrum des Geschäfts gerückt. Das verbindet das Kundenbedürfnis nach individueller Inspiration mit dem eigenen Profil der Buchhandlung jenseits des Mainstream. Neben der ansprechenden Präsentation eigener Perlen liegt es auf der Hand, im Kundengespräch selbst aktiv zu sein. Denken Sie für Kunden mit! Zeigen Sie Interesse, indem Sie im Gespräch aufmerksam hinhören und mehr als bisher Ideen oder auch Zusatzinformationen loswerden, die die Kunden auf neue Ideen bringen. Nehmen Sie den Begriff ›storytelling‹ wörtlich und erzählen Sie Geschichten über Bücher. Was der Kunde nicht weiß, sieht er nicht. Unterstützen Sie ihn!
Titelrecherche
Binnen weniger Jahre hat sich etwas Wesentliches verändert: Die buchhändlerische Kernkompetenz, spezielle Titel mit Hilfe von berufsspezifischen Nachschlagewerken zu suchen und damit bibliografisch verfügbar zu machen, hat sich geradezu in Luft aufgelöst. Einst ein elementarer Ausdruck buchhändlerischer Arbeitsqualität, ist die Recherche zu einem Großteil in die Zuständigkeit der Kunden abgewandert. Selbst viele Buchhandelskollegen vertreten die Auffassung, dass Amazon schlicht die beste Suchmaschine anbietet. Kunden sind heute in der Lage, während der Titelrecherche im Laden auf dem eigenen Smartphone rascher einen Treffer zu landen als manche Buchhändler. Für viele ›Gatekeeper‹, die die Recherche immer noch als eine Form von Herrschaftswissen verinnerlicht haben, ist das provokant, denn Amazon gilt als Feind, den es zu bekämpfen gilt, wo immer er auch ansatzweise in Erscheinung tritt.
An diesem Beispiel wird der Unterschied zwischen Frosch- und Vogelperspektive deutlich. In der Froschperspektive sehen manche die nur schwer fassbare Bedrohung und reagieren häufig irrational. Bei Einigen beeinflussen möglicherweise negative Gedanken die eigentlich selbstverständliche positive ›Vor-Einstellung‹ gegenüber dem Kunden. Andere neigen sogar direkt zu einer Wortwahl, die die eigene persönliche Meinung zum großen Mitbewerber wiedergibt. Diese eigene Meinung jedoch, die persönliche Bewertung, behindert das Miteinander mit Kunden mehr als uns lieb sein kann. Aus der Vogelperspektive hingegen spielen Emotionen keine so entscheidende Rolle. Persönliche Bewertungen schwächen sich ab, und Rationalität tritt an ihre Stelle. Wer akzeptieren kann, dass Mitbewerber – egal wer sie sind und was sie tun – einfach da sind und für viele Kunden einen guten Job machen, ist auf dem Weg zum Gewinner. Sich gegen Fakten am Markt zu wehren, die nicht zu ändern sind, raubt Energie und ist schlicht unproduktiv.
Doch kommen wir zurück zur Eingangsthese: Die Recherche gehört nicht mehr zum Hoheitsgebiet des Buchhändlers. Was ist zu tun? Jenseits der technologischen Kompetenz, zu der im weiteren Sinne auch ein selbstverständlicher Umgang mit dem eigenen Webshop gehört, ist es zunehmend die Persönlichkeit, die zählt. In welcher Haltung gehen wir auf unsere Kunden zu? Mit welchen Gedanken starten wir in den Tag? Wie weit sind wir noch auf der Spur der ›Chancen-Denker‹? Oder sind wir immer noch in der trüben Welt der ›Problem-Denker‹ verankert? Das Anforderungsprofil, das Berufsbild im Buchhandel, wandelt sich demzufolge. Ein aufgeschlossener Menschentyp, selbstbewusst und bereit, auf der täglichen Buchhandelsbühne souverän mit Menschen jeder Art umzugehen, löst mehr und mehr branchentradierte Kriterien, wie Titelkenntnis, mitunter sogar Allgemeinbildung, ab.
Zukunft aktiv meistern
Offen sein für neue Entwicklungen und neugierig werden, wie andere im direkten Umfeld mit Veränderungen umgehen, sind Schlüsselqualifikationen, um auch die Zukunft aktiv zu meistern. Hans Zimmer, einer der großen Filmmusikproduzenten in Hollywood, bringt es in einem Interview auf den Punkt: Er berichtet von seiner ersten Begegnung mit seinem Klavierlehrer. Er erzählt von seiner Enttäuschung, als ihm bewusst wurde, dass ihm ein Klavierlehrer nur Stücke beibringen wollte, die bereits andere vor ihm gespielt hatten. Seine Vorstellung war jedoch eine gänzlich andere. Er erwartete von seinem Klavierlehrer, dass er ihn in seiner Persönlichkeit nach vorne bringt, seine Talente erkennt und entwickelt.
Welch ein interessanter Ansatz! Sobald Sie andere imitieren, stecken Sie fest. Übertragen auf Ihre Branche bedeutet das, dass erlernte Verkaufstechniken schön und gut sind und Halt für eine souveräne Gesprächsführung geben. Entscheidend wird aber sein, welche Haltung Sie zu Ihrem Beruf finden und wie es Ihnen gelingt, Ihre Persönlichkeit zu entfalten. Die folgenden Seiten bieten Ihnen einen Entwurf, an welchem Leitbild Sie sich orientieren können. Akzeptieren Sie die Veränderungen im Kundenverhalten und seien Sie wachsam, in welchen Punkten Ihre persönlichen Werte und Beurteilungen die Entfaltung Ihrer Gastgeberrolle beeinträchtigen. Werden Sie unverwechselbare Gastgeber auf legendären Partys!
Hamburg, im Januar 2016 | Jörg Winter |
Kundenbindung in chaotischen Märkten
Das Verhalten vieler Kunden wird geprägt durch fehlende Verlässlichkeit, fehlende Prognostizierbarkeit, schwindende Treue, widersprüchliche Verhaltensweisen – alles in allem ein heilloses Durcheinander. Der moderne, multioptionale Kunde vagabundiert zwischen den Einkaufsstätten und kauft nach Gelegenheit. Er pendelt zwischen unterschiedlichen Fachgeschäften an verschiedenen Standorten, schaut zudem in die entsprechende Fachabteilung der Waren- und Kaufhäuser, entscheidet über den Versandhauskatalog oder lässt sich das Produkt via Mausklick, im Internet recherchiert, kommen. Es gibt eben verschiedene Konsumkanäle, die sich im gehobenen Fachhandel in erster Linie ergänzen und nicht substituieren. Multichannel-Strategien folgen dabei dem Ziel, das Ladengeschäft mit begleitender Internetpräsenz und Online-Bestellmöglichkeit zu einem insgesamt stabilen Einkaufsverhalten zu führen. Dass auch das Telefon in das Multichannel-Konzept integriert werden muss, wird in der aktuellen Diskussion häufig unterschlagen. Dabei ist der professionelle Umgang bzw. das professionelle Telefonieren in der direkten Bedeutung der Kundenbindung relevanter als mancher Internetauftritt.
Auch wenn der Kunde ein Geschäft betritt, ist sein Verhalten sprunghaft. Von anonymer Selbstbedienung, wenn häufig genug die unerwartete Begrüßung ein Zuviel in der persönlichen Zuwendung bedeutet, bis zu vertraulichen Beratungsgesprächen, die nicht selten Parallelen zu Therapiesitzungen aufzeigen, wird der Bogen gespannt. Vollständige Irritationen treten beim beobachtbaren Preisbewusstsein zu Tage. Soll es für den Pauschaltouristen nach Übersee ein handlicher Reiseführer im Pocketformat sein, kauft derselbe Kunde nach Rückkehr von eben jener Reise ein hochpreisiges Kochbuch aus dem Teubner Verlag, in dem ihn nur die ästhetischen Fotos interessieren – die Idee, Rezepte aus dem Buch nachzukochen, kommt ihm vielleicht nicht einmal ansatzweise.
An dieser Stelle nur soviel: Tolerieren Sie alle gängigen Verhaltensformen Ihrer Kunden, zweifeln Sie nicht an ihnen, sondern