Название | Familie Dr. Norden Classic 49 – Arztroman |
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Автор произведения | Patricia Vandenberg |
Жанр | Языкознание |
Серия | Familie Dr. Norden Classic |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783740967123 |
Es war der traurigste Tag in Leas jungem Leben, als sie am Grab ihrer Mutter stand, der Frau, die sie achtzehn Jahre als ihre Mutter geliebt hatte, und die sie jetzt schmerzlich vermißte, da sie noch so viele Fragen hatte, auf die sie nun wohl keine Antwort bekommen würde.
Mit tränenblinden Augen sah sie auf den frischen Hügel, der mit bunten Blumen bedeckt war. Sie meinte die leise Stimme der Todkranken zu hören: »Ich mußte es dir sagen, Lea, mein Liebling, ich hätte es dir so gern erspart, aber vielleicht wird deine Trauer nicht so groß sein, wenn du weißt, daß du andere Eltern hattest.«
»Was denn für Eltern, Mutti?« flüsterte sie, während ihre Tränen auf die Blumen fielen. »Warum bin ich nicht bei ihnen aufgewachsen? Ich habe dich so lieb gehabt und hätte mir keine bessere Mutter wünschen können. Jetzt bin ich allein und verstehe die Welt nicht mehr.«
Sie kniete nieder und richtete den Blick zum Himmel. »Wer soll mir denn jetzt noch Antwort geben? Mit wem kann ich sprechen über dieses Geheimnis?«
Und wieder meinte sie, Carla Barans Stimme zu hören: »Dr. Norden hat gesagt, daß ich dir wenigstens das sagen muß, daß wir nicht deine richtigen Eltern waren.«
Der Gedanke änderte nichts daran, daß ihre Trauer tief und schmerzlich war. Langsam richtete sie sich auf und wandte sich dann zum Gehen. Es begann zu regnen aus eben noch hellem Himmel. Es paßte zu ihrer Stimmung. Der Himmel weint, dachte sie, und die Regentropfen mischten sich mit ihren Tränen.
Sie ging zu dem kleinen Auto, das Carla Baran ein paar Jahre gefahren hatte. Als Lea ihren Führerschein bekommen hatte, hatte ihr Carla, schon von der schweren Krankheit gezeichnet, die Autoschlüssel gegeben.
»Ich werde immer mit dir fahren, als dein Schutzengel«, hatte sie gesagt, aber da hatte Lea noch nicht geahnt, daß sie sobald sterben würde.
Leas Hand zitterte, als sie den Schlüssel herumdrehte, und wieder richtete sich ihr Blick zum Himmel. »Bist du jetzt mein Schutzengel, Mutti?« sagte sie leise.
Sie blieb still vor dem Steuer sitzen, bis eine Faust an ihr Fenster klopfte. Erschrocken zuckte sie zusammen.
»Fahren Sie jetzt, oder wollen Sie hier übernachten?« sagte eine wütende Männerstimme.
Sie erinnerte sich, daß sie auch nicht gerade auf den Mund gefallen war. Carla hatte über ihre Schlagfertigkeit oft gelacht.
»Haben Sie den Platz gepachtet?« fragte sie ruhig. »Fahren Sie lieber Ihr Auto weg, damit ich aus der Lücke komme.«
Jetzt hatte es ihm anscheinend die Sprache verschlagen. Es dauerte einige Zeit, bis er seinen Wagen zurücksetzte.
»Üben, immer wieder üben!« rief ihm Lea zu, als sie an ihm vorbeifuhr, dann atmete sie tief durch.
»Es ist okay, Mutti«, sagte sie, »ich habe dir versprochen, meine Ziele im Auge zu behalten, und vielleicht finde ich meine Wurzeln. Versuchen will ich es, aber an dich werde ich immer mit Liebe denken.«
Dann fragte sie sich, ob ihr wohl jemand mal zuhören würde, wenn sie ihre Gedanken aussprach. Ihre Mutti hatte immer zugehört.
*
»Wie mag es Lea gehen«, sagte Fee Norden nachdenklich, »hast du nach der Beerdigung schon mit ihr gesprochen?«
»Es gibt für sie noch so vieles zu regeln, da bleibt für ein längeres Gespräch keine Zeit, Feelein. Sie wird zu mir kommen, wenn sie sich gefangen hat. Ihr wird zum Reden noch nicht zumute sein.«
»Sie muß sich schrecklich einsam fühlen.« Sie sah Daniel forschend an. »Ist da etwas, was du mir verschwiegen hast? Ich sehe es dir doch an, daß dich etwas sehr beschäftigt.«
»Ich würde gern wissen, ob ihr Frau Baran alles gesagt hat.«
»Ihr was gesagt hat?« fragte Fee.
»Etwas, was Lea schwer zu schaffen machen wird. Es wäre besser, wenn ich mit ihr rede. Ja, ich werde den ersten Schritt tun.«
»Bitte, sag mir, worum es geht, Daniel, vielleicht kann ich helfen.«
»Ich weiß nicht, ob man ihr überhaupt helfen kann, aber sie sollte wenigstens wissen, zu wem sie mit ihren Sorgen kommen kann.«
»Zu mir kannst du doch offen sein. Ich kann auch schweigen.«
»Es wurde zu lange geschwiegen, mein Schatz. Lea wurde adoptiert, und vielleicht hat es Frau Baran ihr erst zuletzt gesagt.«
Fee sah ihn konsterniert an. »Aber mit dir hat sie darüber gesprochen?«
»Sie hat mich gefragt, was ich in solchem Fall tun würde, und ich habe ihr geraten, Lea die Wahrheit zu sagen. Man weiß schließlich nie, was geschehen kann. Seit dem Fall mit den Zwillingsbrüdern bin ich vorsichtig geworden.«
Fee nickte. »Man stelle sich vor, sie lernt eines Tages einen Mann kennen, den sie heiraten will und dann stellt sich heraus, daß es ihr Bruder ist.«
»Es muß ja nicht so sein, aber es passieren die verrücktesten Dinge. Sie könnte ihrer Mutter so ähnlich sehen, oder einer Schwester, von der sie nichts weiß, und es kommt zu den schlimmsten Konflikten.«
»Gibt es überhaupt einen Anhaltspunkt, wer ihre Mutter sein könnte?«
»Ich glaube, daß Frau Baran etwas ahnte, aber ihr wurde Lea direkt vor die Tür gelegt. Da sie selbst keine Kinder bekommen konnte, war ihr Mann einverstanden, Lea zu behalten. Er hieß Leo, und so bekam das Baby den Namen Lea. Er muß ein sehr guter Mensch gewesen sein. Leider starb er, als Lea erst sechs Jahre war, aber er hat Frau und Kind gut versorgt zurückgelassen, und Frau Baran verdiente als Schneiderin auch recht gut.«
Eine Weile herrschte Schweigen, dann sagte Fee: »Mußte sie denn überhaupt erfahren, daß sie adoptiert ist? Die Wahrscheinlichkeit, daß sie ihre Wurzeln findet, ist doch sehr gering. Am besten fängt sie gar nicht erst mit dem Suchen an.«
»Wir sind doch beide der Meinung, daß alles möglich ist. Denk mal daran, was wir schon alles erlebt haben, Feelein. Wir sind auch nur zwei Menschen im großen Weltall. Es könnte auch sein, daß sie ein Zwilling war.«
»Bitte, keine solchen Komplikationen, das arme Kind wird genug daran zu knabbern haben, daß sie ein Findelkind ist.«
»Aber ein sehr gescheites, das viel nachdenken wird.«
Wie recht er damit hatte! Als Lea die hübsche Wohnung betreten hatte, in der sie aufgewachsen und glücklich gewesen war, lehnte sie minutenlang an der Wand, dem Spiegel gegenüber, in dem sie sich sehen konnte. Sie kam sich fremd vor, und keine vertraute Stimme rief ihren Namen.
Gedankenverloren zog sie ihren Mantel aus, der feucht war vom Regen, der plötzlich herunterprasselte, als sie aus dem Auto gestiegen war, und auch ihr Haar hing ihr naß in die Stirn.
Sie ging ins Bad und trocknete sich ab. Ihr Gesicht bekam etwas Farbe, aber die Leere in ihr blieb. In der blitzblanken Küche brühte sie sich einen Tee auf. Alles geschah mechanisch. Im Wohnzimmer setzte sie sich an den kleinen runden Tisch im Erker. Es war der Lieblingsplatz ihrer Mutti gewesen.
»Meine Mutti«, sagte sie bebend, als sie das Foto in die Hände nahm, das Carla Baran in besseren Zeiten darstellte. Das war noch gar nicht so lange her. Carla war eine anmutige Frau gewesen mit weichen Gesichtszügen, träumerisch blickenden Augen. Sie hatte immer zu Lea gesagt, daß sie eine glückliche Frau sei. Sie hatte nie geklagt, als die Schmerzen kamen und es war schmerzlich für sie gewesen, daß Lea dann doch mitbekam, wie es immer schlimmer wurde.
»Wenn du es mir auch früher gesagt hättest, Mutti, ich hätte niemanden mehr lieben können als dich«, flüsterte sie. »Du hättest es mir gar nicht sagen sollen. Was soll ich denn jetzt tun? Etwas suchen, was mir gar nichts bedeutet? Wer immer mich zur Welt gebracht hat, ich habe dieser Frau nichts bedeutet. Sie wollte mich nicht haben, aber du wolltest mich haben.«
Sie rief sich die letzte Lebensstunde ihrer Mutter ins Gedächtnis zurück. Jetzt konnte sie sich wieder an alles erinnern. Sie hatte am Krankenbett gesessen und die abgezehrten Hände gehalten.
»Ich muß dir noch etwas sagen, Lea.