Die Netflix-Revolution. Oliver Schütte

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       Die Premiere

      Es war die Schweiz, die mit dem Teleclub ab 1984 einen der ersten Pay-TV Sender in Europa etablieren konnte, der zusätzlich auch in Deutschland und Österreich zu empfangen war. Erst 1991 entstand aus dem Anbieter ein eigenständiger deutscher Kanal mit dem Namen Premiere.

      Für die Zuschauer in Deutschland, Österreich und der Eidgenossenschaft war das Konzept des Bezahlfernsehens nur schwer zu vermitteln. Sie mussten einerseits eine Gebühr entrichten und bekamen damit mehrere Sender auf den Bildschirm, konnten sich anderseits kostenlos die Sendungen der privaten Anbieter anschauen, die in den 90er Jahren durchaus originelles Programm offerierten. Es fehlte Premiere an einem überzeugenden Argument, dass ein Abonnement lohnend sei. Zwar boten sie Kinofilme viel früher an, als die anderen Sender, aber wer den Streifen nicht im Kino gesehen hatte, war bereit auf die später folgende Ausstrahlung im freien Fernsehen zu warten. Der eventuelle Hype war um den Kinostart herum passiert und damit vorbei.

      Möglicherweise spürten die Kunden aber auch die Absicht hinter dem Unternehmen, mit dem der bekannte Filmhändler Leo Kirch eine eigene Abspielstation und Verwertung für seine eingekauften Filme, Serien und Sportrechte aufbauen wollte. Ein für ihn durchaus sinnvoller Versuch, denn er hätte Einkauf und Vertrieb in einer Hand gehabt.

      Die vielen Rechte von Leo Kirch, auf die Premiere zurückgreifen konnte, führten aber dazu, dass kaum eigene Sendungen oder gar Serien produziert wurden, die wirklich exklusiv nur bei Premiere zu sehen gewesen wären. Das war wahrscheinlich ein Kardinalfehler, den die Streamingplattformen Jahre später vermeiden wollten und deshalb früh in die Produktion von Inhalten investiert haben.

      Jahrelang schrieb Premiere rote Zahlen, auch der Kauf der exklusiven Bundesligarechte änderte daran nichts. Bezahlfernsehen war den Deutschen nicht zu vermitteln. Was in Amerika und in anderen europäischen Ländern gut funktionierte, stieß hierzulande auf verhaltenes Interesse.

      2008 kaufte sich der Amerikaner Rupert Murdoch in Premiere ein. Obwohl er schon einmal viel Geld in dem deutschen Pay-TV-Markt verloren hatte, glaubte er an die Zukunft und konnte auf erfolgreiche Erfahrungen mit BSkyB und Sky Italia in England und Italien verweisen. Ein Jahr später wurde die Verbindung dann auch nach außen sichtbar, als Murdoch den Sender in Sky umbenannte. Tatsächlich stiegen die Zahlen in der folgenden Zeit.

      Allerdings verkaufte Murdoch 2018 fast sein komplettes Medienunternehmen, und der Pay-TV-Sender Sky ging an den amerikanischen Kabelanbieter Comcast. Das europäische Unternehmen ist nun ein Teil eines US-Giganten, zu dem einer der großen Fernsehsender und ein Filmstudio gehören.

      In den letzten Jahren konnten die Zuschauer auf Sky auch den Welterfolg Game of Thrones sehen – für viele sicherlich ein Grund, ein Abonnement abzuschließen. Nach dem Ende der Serie fehlt es bisher an einem vergleichbaren Programm. Diese Lücke im Angebot macht noch einmal deutlich, wie sehr Bezahldienste auf attraktive Inhalte angewiesen sind. Es ist der Widerspruch, der alle Plattformen betrifft. Wenn sie eine Blockbusterserie im Portfolio haben, dann steigen die Zahlen der Kunden, sie sind aber auch von diesem einen großen Erfolg abhängig. Und da jede Serie einmal ein Ende findet, müssen sich sämtliche Anbieter schon früh genug die Frage stellen, was danach kommt.

       It‘s Not TV

      Wer die Anfänge des Pay-TV in den 80ern vermutet, wird erstaunt sein, dass schon in den 50er Jahren das Bezahlfernsehen als Alternative im Gespräch war. Der renommierte britische Filmproduzent Sir Alexander Korda beschrieb 1955 das Modell so: »Beim Abonnementsfernsehen kauft sich der Teilnehmer eine Sendung wie ein Pfund Fleisch beim Schlachter.«7

      Im kalifornischen Palm Springs, nicht weit von Hollywood entfernt, wurde sogar der Versuch vollzogen, bei dem die Nutzer einen zu einem bestimmten Zeitpunkt gestarteten Film freischalten konnten. Der lief gleichzeitig auch in den lokalen Kinos, jedoch zu einem etwas günstigeren Preis als die heimische Vorführung. Die Box mit dem Geld wurde einmal im Monat von dem Anbieter eingesammelt und durch eine neue ausgetauscht. Allerdings führten die hohen Kosten für die Nutzer, die für Einrichtung und Box eine monatliche Gebühr ebenso wie für jeden Film zahlen mussten, dazu, dass der Versuch bald wieder eingestellt wurde.

      Zudem gab es auch damals schon heftige Kämpfe um das Modell. So fürchteten vor allem die Kinobesitzer, dass die Hollywoodstudios ihre Filme nicht mehr für die Leinwände, sondern für das Bezahlfernsehen drehen würden – eine Sorge, die heute abermals äußerst aktuell ist.

      Zehn Jahre nach dem ersten Versuch kam ein junger Unternehmer auf eine verwegene Idee. Viele Wohnungen in New York konnten aufgrund der hohen Gebäude kein Fernsehen über Antenne empfangen. Charles Dolan gründete eine eigene Firma (heute würden wir Start-up sagen) und verkabelte mehr als zehn Wohnblocks und übertrug so die Signale auf die Fernsehgeräte – eigentlich ein vielversprechender Gedanke, aber die Kunden mussten für den Dienst zahlen. Und kaum jemand war bereit, Geld auszugeben für etwas, was der Rest der Nation umsonst bekam. Dolan hatte sich verkalkuliert, der Aufbau des Netzes und der Unterhalt verschlangen seine ganzen Rücklagen. Das New Yorker Zeitungsimperium Time Life war aber entschlossen, in einen erneuten Versuch zu investieren. Weit ab von der Metropole installiert Dolan ein Kabelnetz. Diesmal bot er zusätzlich einen eigenen Sender an. Am 8. November ging HBO (Home Box Office) auf Sendung. Allerdings konnten nur wenige Tausend Haushalte das Signal überhaupt empfangen, und das Angebot aus zweitklassigen Filmen und Sportveranstaltungen war auch nicht außerordentlich überzeugend. Time Life übernahm die Mehrheit an dem Unternehmen, und 1973 musste der Gründer Dolan seinen Hut nehmen.

      Unter der neuen Führung wuchsen die Abonnentenzahlen, u. a. auch weil der Kabelsender Filme im Programm hatte, die bei den andern Anbietern nie laufen könnten. Da die staatlichen Regulierungsbehörden die Kabelanbieter nicht im gleichen Maße einschränken, was Sex und Gewalt betrifft, wie die frei empfangbaren Sender, nutzen sie diese Lücke ausgiebig aus. Wer nach Mitternacht HBO einschaltete, bekam mit großer Wahrscheinlichkeit einen Erotikfilm zu sehen.

      1975 war HBO bereit sein Angebot auf die gesamte USA auszuweiten – ein dringend notwendiger Schritt, damit die Kundenzahlen noch weiter steigern konnten und die Profitabilität gewährleistet wäre. Aber die Besitzer der in der Erde verlegten nationalen Kabel verlangten von HBO mehrer hundert Millionen Dollar, ein Betrag, der die Möglichkeiten weit überstieg. War dies das Ende des Traums?

      HBO investierte in eine Satellitenverbindung, um die Signale direkt in die bereits vorhandenen einzelnen Kabelnetze einzuleiten. Und um der Nation deutlich zu machen, dass es sich lohnt ein Abonnement abzuschließen, übertrug der Kabelkanal einen der großen Boxkämpfe aller Zeiten. Das Duell von Muhammad Ali und Joe Frazier, das in die Geschichte als »Thrilla in Manila« einging.

      Im Jahr darauf wuchs die Abonnentenzahl jeden Monat um 30.000 und erreichte 1980 eine Million. Der wachsende Erfolg führte natürlich dazu, dass auch andere auf den Geschmack kamen, so startete u. a. 1976 der Anbieter Showtime. Beide lieferten sich in den 80ern einen erbitterten Kampf, um die Gunst der Zuschauer.

      Aber die Gefahr für die Konkurrenten kam aus einer ganz anderen Richtung. Immer mehr Hauhalte hatten sich einen Rekorder angeschafft, und Videotheken schossen wie Pilze aus dem Boden. Auf diese Weise konnten die Zuschauer nicht nur Filme ohne Werbeunterbrechungen schauen, sondern auch den Zeitpunkt selbst bestimmen, ein klarer Vorteil gegenüber dem festen Sendeschema der Kabelsender. Und die Kunden registrierten, dass dort immer die gleichen Filme liefen und nur wenige neue hinzukamen.

      Die Zahl derjenigen, die bereit waren, für das Angebot von HBO und Showtime zu bezahlen sank. Die Situation verschärfte sich noch als die DVD auf den Markt kam, denn hier war nicht nur die technische Qualität besser, auch enthielten die silbernen Scheiben oft attraktives Bonusmaterial.

      Mitte der 90er Jahre war klar, es gab nur einen Ausweg. Neue Kunden waren nur mit eigenen Produktionen zu gewinnen. Angebote, die die Abonnenten nur auf HBO zu sehen bekamen. Und für einen Fernsehsender in den USA lag es nahe, nicht einen Film, sondern eine Serie