Dr. Norden (ab 600) Box 2 – Arztroman. Patricia Vandenberg

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Название Dr. Norden (ab 600) Box 2 – Arztroman
Автор произведения Patricia Vandenberg
Жанр Языкознание
Серия Dr. Norden (ab 600)
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740918781



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über allgemeine Dinge des Gestüts.

      »Der Zaun an der hinteren Weide muss dringend repariert werden«, berichtete Heinz Kühn. »Nicht, dass sich ein Tier verletzt oder gar ausbricht. Man hört ja immer mal wieder von flüchtigen Pferden, die auf Straßen zu Schaden kommen.«

      »Das darf auf keinen Fall passieren«, bestätigte Simone. »Hast du Sepp schon Bescheid gesagt?«

      »Er hat sogar schon das Holz besorgt. Wenn das Wetter mitspielt, macht er sich noch heute an die Arbeit.«

      »Sehr gut.« Simone nickte. Sie hatte die Hände in den Taschen des Bademantels versenkt und ging nachdenklich neben ihrem Vater her. Dieses Thema war erschöpft, und sie suchte nach einem anderen. »Wie läuft es mit dem neuen Reitlehrer?«

      Heinz war ihr dankbar dafür, dass sie es ihm so leicht machte.

      »Oh, sehr gut. Alexander Haas ist ein erfahrener Mann und hat eine sehr spezielle, einfühlsame Art, mit den Tieren umzugehen.« Der unglückliche Vater haderte mit sich. Das war die Gelegenheit, endlich das wichtigste Thema zwischen ihnen anzuschneiden. Er wusste, er war es Simone schuldig. »Alexander erinnert mich irgendwie an René«, beschloss er endlich, den Stier bei den Hörnern zu packen. Seine Stimme war heiser. Krampfhaft starrte er auf den gekiesten Boden vor seinen Füßen.

      Simone presste die Lippen aufeinander. Die Erlebnisse der vergangenen Wochen hatten die Erinnerung an den geliebten Mann noch einmal bis auf den Grund aufgewühlt. Fast schien es ihr, als hätte René sie noch einmal verlassen. Doch da war noch etwas anderes. Jetzt, nachdem Aramis gerettet war, spürte Simone, dass auch in ihr ein Heilungsprozess begonnen hatte. Endlich konnte sie über René sprechen, ohne Angst zu haben, an diesem Schmerz zu zerbrechen.

      »Ich habe René sehr geliebt«, begann sie stockend zu erzählen. »Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an ihn denke und ihn vermisse. Die Zeit mit ihm war aufregend und glücklich. Die glücklichste in meinem bisherigen Leben.«

      »Warum hast du mir nie von euch und eurer Liebe erzählt?«, fragte Heinz betroffen. »Bin ich denn wirklich so ein Unmensch?«

      Simone seufzte. Sooft hatte sie sich danach gesehnt, ihrem Vater ihre Meinung ins Gesicht zu schleudern. Doch jetzt, da es endlich so weit war, fiel es ihr unerwartet schwer. Aber es musste sein, wenn sich ihr Verhältnis je bessern sollte.

      »Für meinen Geschmack hast du zu viel an Geld und Erfolg und zu wenig an die Menschen und Tiere gedacht«, wählte sie schließlich sanfte Worte. »Du weißt selbst, dass du eine Verbindung zwischen mir und René nie toleriert hättest aus Angst, dass sein Vater sich unser Gestüt einverleiben könnte. Dass ich das Geheimnis unseres Zuchterfolgs ausplaudern könnte. Solche Sachen.«

      Instinktiv wollte Heinz lautstark widersprechen. Doch ein kurzer Seitenblick ins Gesicht seiner Tochter erinnerte ihn daran, dass sich etwas verändert hatte zwischen ihnen. Sie waren nicht länger Vater und Tochter, Herrschender und Untergebene. Sie waren gleichwertige Partner. Wenn er wollte, dass diese Veränderungen positiv sein würden, musste er seinen Beitrag dazu leisten.

      »Du hast ja recht. Und es tut mir leid, dass ich so verbohrt war«, gestand er schweren Herzens.

      Simone, die ahnte, wie schwer ihrem Vater diese Entschuldigung fallen musste, lächelte hoffungsvoll auf. Sie zögerte kurz, dann hängte sie sich bei ihm ein.

      Heinz zuckte kurz zurück. So nahe waren sie sich seit Jahren, genau genommen seit Renés Tod, nicht mehr gekommen. Dann lächelte auch er.

      »Liegt es an Mama, dass du hartherzig geworden bist?«, versuchte Simone zu verstehen, was ihren Vater zu dem Menschen gemacht hatte, der er war.

      Heinz antwortete nicht sofort. Der Kies knirschte leise unter ihren Schritten, die leisen Stimmen der anderen Patienten und ihrer Besucher mischten sich mit Vogelgezwitscher.

      »Ich glaube, es gibt nicht nur einen Grund, der einen Menschen zu dem macht, was und wer er ist«, seufzte er schließlich aus tiefstem Herzen. »Aber dass deine Mutter uns verlassen hat, war vielleicht der ausschlaggebende Grund für mein Verhalten. Ich betrachtete mich als Versager«, gestand er bitter. »Vielleicht wollte ich deshalb um jeden Preis Erfolg im Geschäft haben.«

      Simones Herz wurde weit vor Mitgefühl mit diesem Mann, der unendlich gelitten hatte, ohne sich je etwas anmerken zu lassen.

      »Armer Paps!«, murmelte sie und drückte seinen Arm.

      Heinz lächelte schmerzlich.

      »So arm nun auch wieder nicht.« Er schickte ihr einen hoffnungsvollen Blick, in den sich eine Spur Angst mischte. »Schließlich hab ich ja eine großartige Tochter.« Er schluckte. »Oder habe ich dich endgültig verloren?«

      Abrupt blieb Simone stehen, sodass Heinz fast ins Stolpern geriet. Als er vor ihr stand, umarmte sie ihn so stürmisch, dass ihm um ein Haar die Luft wegblieb.

      »Wir haben alle Fehler gemacht«, raunte sie ihm dabei ins Ohr und spürte, wie ihr schon wieder die Tränen in den Augen brannten. Was bin ich doch für eine verweichlichte Heulsuse geworden!, schalt sie sich selbst und musste gleichzeitig über sich selbst lachen. Sie wusste, dass sie die lange zurückgehaltenen Emotionen zulassen musste, wenn sie wieder ganz gesund werden wollte. Gesund an Körper und Seele. »Aber wir haben eine zweite Chance bekommen. Die wollen wir jetzt nutzen. Ja?« Sie löste sich aus den Armen ihres Vaters und strahlte ihn aus tränengefüllten Augen an.

      »Ich wüsste nicht, was ich mir mehr wünschen würde«, gab Heinz Kühn innig zurück. Zum ersten Mal seit vielen Jahren fühlte er sich wieder glücklich. Noch war es ein vages Gefühl, aber es war da und konnte wachsen. Alles war gut, wie es war. Jeder Schmerz hatte sich gelohnt.

      *

      Ein paar Tage später konnte Simone Kühn die Behnisch-Klinik endlich verlassen. Obwohl sie sich dort wie eine Königin gefühlt und entsprechend verwöhnt worden war, konnte sie es kaum erwarten, ihr neues Leben zu beginnen. Denn dass es ein Neuanfang sein würde, stand außer Zweifel.

      »Simone, ich freu mich so, dass du wieder bei uns bist!«, begrüßte Angelika Weise ihre Chefin strahlend. »Lass dich anschauen.« Sie nahm die jüngere Frau an den Schultern und drehte sie ins Licht. »Gut schaust du aus«, stellte sie dann verwundert fest. »Ein bisschen blass um die Nasenspitze und zu dünn. Aber viel entspannter als vorher. Der Ausflug in die Klinik scheint dir gutgetan zu haben.«

      »Das Gefühl hab ich auch. Auch wenn der Aufenthalt dort nicht freiwillig war«, lächelte Simone und umarmte Angelika innig. Dann sah sie sich um. »Aber jetzt muss ich unbedingt in den Stall zu Aramis. Ich kann’s kaum erwarten, ihn endlich wiederzusehen.«

      »Er ist auf der hinteren Weide«, rief Angelika ihrer Chefin nach und sah ihr kopfschüttelnd dabei zu, wie Simone aufgeregt wie ein kleines Mädchen davonlief. »Alex ist bei ihm!«

      Aber das hörte Simone schon nicht mehr. Aufgeregt, wie sie war, wunderte sie sich nur kurz über den fremden Mann, der am Gatter gelehnt stand und dem edlen Araberhengst beim Grasen zusah.

      »Hallo«, begrüßte sie ihn gedankenverloren und trat neben ihn an den Zaun. Ihr Herz lief schier über vor Liebe zu dem Tier, das sie für immer an René erinnern würde. »Aramis!«, lockte sie den Hengst leise.

      Sofort spitzte das Tier die Ohren und hob den edlen Kopf. Als es Simone erkannte, wieherte es leise und kam schnaubend über die Wiese. In diesem Augenblick gab es kein Halten mehr für Simone. Zu Alexanders großem Schrecken kletterte sie kurzerhand über den Zaun und lief auf ihren Liebling zu.

      »Vorsicht!«, rief Alex ihr erschrocken nach. »Der Hengst war bis vor Kurzem außer Rand und Band. Vielleicht ist er noch gefährlich.« Schon setzte er einen Fuß auf den Zaun, um sie zu retten, als sich Simone lachend zu ihm umdrehte.

      »Keine Sorge. Aramis ist wieder ganz der Alte. Ich sehe das an seinen Augen!« Sie drehte sich zu ihrem Pferd um, das vor ihr Halt gemacht hatte. »Nicht wahr, mein Guter? Du und ich, wir zwei …« Mehr konnte sie nicht sagen, denn Aramis schnaubte zärtlich und schnupperte mit weicher Schnauze an ihrer Schulter. Als er leise wieherte und sie anstupste, wusste sie