Dr. Brinkmeier Staffel 1 – Arztroman. Sissi Merz

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Название Dr. Brinkmeier Staffel 1 – Arztroman
Автор произведения Sissi Merz
Жанр Языкознание
Серия Dr. Brinkmeier Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740934606



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aus der Stadt wissen, daß »Eva« offenbar keine inneren Verletzungen erlitten hatte. »Ihr Zustand ist relativ stabil. Sie hat mehrere Frakturen, die Vitalzeichen sind in normalen Parametern.«

      »Danke, Herr Kollege. Kommen Sie mit?«

      »Ich komme nach.« Max packte sein kleines, tragbares EKG ein und nahm seinen Koffer. Vor dem Doktorhaus wartete sein Vater.

      »Soll ich dich in die Stadt begleiten?« bot er an.

      »Ja, das wäre mir lieb. Eine tragische Geschichte. Ich habe gehofft, das Ganze würde glimpflich abgehen.«

      »Besteht denn Lebensgefahr?«

      »Soviel ich feststellen konnte, nein. Aber wir müssen abwarten, was die Kollegen in Berchtesgaden dazu sagen...«

      *

      Andreas ging unruhig auf dem Gang vor der Notaufnahme auf und ab, als die beiden Landärzte und wenig später das Ehepaar Bichler erschienen. Max wunderte sich, daß Andi nicht behandelt wurde, doch der Bursch erklärte knapp: »Ich hab mich wieder gefangen, es geht schon. Ich hab nur eine Riesenwut auf mich selbst. Weil ich nämlich glaub, daß alles meine Schuld ist.«

      »Deine Schuld, Andi? So ein Schmarrn! Sie ist doch dem Burschen ins Auto gelaufen. Was kannst du dazu?«

      Der Großknecht vergrub die Hände in den Hosentaschen und murmelte: »Es ist meine Schuld, ich...« Er biß sich auf die Lippen, schämte sich offenbar, weiterzureden. Max Brinkmeier legte ihm eine Hand auf die Schulter und ging ein paar Schritte den Gang entlang. Als sie allein waren, fragte er direkt: »Ist was geschehen zwischen euch? Etwas, das die Eva erschreckt hat, das sie dazu gebracht hat, wegzulaufen?«

      Andi hielt den Blick gesenkt, während er zugab: »Ich hab der Eva ein Busserl gegeben. Es war das erste Mal. Eigentlich hab ich es vermeiden wollen, aber es war so schön mit ihr, ich hab ihr einfach zeigen wollen...« Er verstummte, suchte nach Worten.

      »Ich versteh dich schon, Andi. Und du solltest dich jetzt net quälen, schließlich hast kein Verbrechen begangen.«

      »Aber es war falsch! Ich habe nur an mich gedacht. Keiner von uns weiß, was die Eva durchgemacht hat, was ihr angetan worden ist...« Er ballte hilflos die Hände zu Fäusten. »Ich wünschte, ich bekäm den Misthund in die Finger, der ihr...«

      »Jetzt beruhige dich. Du mußt dir keine Vorwürfe machen, dazu besteht nicht der geringste Grund. Du hast das Madl lieb. Und es ist nicht schwer zu erkennen, daß sie ebenso fühlt. Wir haben doch gewußt, daß die Vergangenheit euch irgendwann einholen wird. Nun müssen wir einfach abwarten, was geschehen wird.«

      Der Bursch nickte. »Ja, ich weiß. Aber es fällt mir schwer, das hinzunehmen. Ich fühl mich so unfähig, ich hab ihr net helfen können, als es drauf ankam. Und damit werde ich einfach nicht fertig...«

      In diesem Moment wurden die Türen der Notaufnahme geöffnet, und ein junger Mediziner kam auf die Wartenden zu. Er sprach Andreas an, der als Erster im Spital gewesen war. »Wenn Sie möchten, können Sie die Verletzte kurz sehen, Herr Stamm. Sie ist bei Bewußtsein, ihr Zustand hat sich stabilisiert.«

      Max stellte sich vor und wollte wissen, was ihr fehle.

      »Sie hat eine Gehirnerschütterung erlitten, diverse Schürfwunden und Prellungen. Alles in allem ist sie wirklich glimpflich davongekommen.«

      »Gott sei Dank«, murmelte Marie Bichler und atmete auf. Ihr Mann legte einen Arm um ihre Schultern und meinte: »Dann fahren wir jetzt am besten heim und besuchen die Eva morgen.«

      »Ich seh gleich nach ihr«, beschloß Andi.

      Dr. Brinkmeier bot an, auf den Burschen zu warten, was dieser dankbar annahm. »Der Andi ist total fertig«, sagte Max zu seinem Vater. »Wer hätte auch mit so was gerechnet.«

      »Du«, merkte Josef an. »Hast es doch vorausgesehen, daß es ein Schock werden würde, wenn das Madl sich erinnert.«

      Andreas betrat nur zögernd das Krankenzimmer, in dem »Eva« untergebracht worden war. Es handelte sich um ein Zweibettzimmer, doch das zweite Bett war leer. Der Bursch war froh darüber, so konnte er ungestört mit dem Mädchen reden, das da blaß und verstört in den Kissen lag. Vorsichtig trat er neben das Bett, schaute in die großen tiefblauen Augen, die wieder voller Angst waren. Er wußte nicht, was er sagen oder tun sollte. Er fühlte sich schrecklich hilflos.

      »Andi, du bist noch da?« Sie lächelte müde. »Ich dachte, du willst nix mehr mit mir zu tun haben, weil ich mich wie eine Narrische benommen hab.«

      »So ein Schmarrn. Ich hab mir ganz schreckliche Sorgen um dich gemacht. Wie fühlst dich denn jetzt?«

      »Es geht.« Sie streckte die Hand nach ihm aus, er setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Bett stand, und nahm ihre Rechte behutsam in seine. Er spürte, wie kalt sie war, wie sie zitterte, und empfand wieder die Wut auf den, der diesem Madl so Schreckliches angetan hatte.

      »Ich darf net lang bleiben, aber ich komm morgen wieder, das verspreche ich dir. Kannst... dich denn an das erinnern, was passiert ist? Kannst es mir erklären?«

      Das Mädchen schloß kurz die Augen und schluckte. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren, denn in ihrem Kopf pochte ein dumpfer Schmerz. Doch sie gab sich Mühe und entgegnete gezwungen ruhig: »Ich weiß, daß wir beim Tanz waren. In der Pause sind wir ein bisserl nach draußen gegangen. Du hast mir ein Busserl gegeben, das war sehr schön. Und hernach weiß ich nix mehr.«

      »Die Watschen hast also vergessen.« Er lächelte verlegen in ihr fragendes Gesicht. »Du hast mir eine verpaßt.«

      »Wirklich? Ich glaube, das wollte ich net. Es tut mir leid.«

      »Schon vergessen. Und dann war da noch was; du hast mich ganz entsetzt angeschaut. So, als würdest mich kennen und... hassen. Ich glaub, du hast eine andere Person gesehen, deshalb hast mich auch geschlagen. Und dann bist einfach auf und davon.«

      »Eva« senkte die Lider und biß sich auf die Lippen. »Ich weiß nix davon, ich kann mich einfach net erinnern. Ach, Andi, ich fürchte, ich verlier den Verstand.«

      »Schmarrn. Du hast dich an was erinnert, da bin ich ganz sicher. Der Doktor Brinkmeier sagt, es kann ein schlimmer Schock für dich sein, wennst dein Gedächtnis wiederfindest. Aber du mußt dich net davor fürchten. Ich bin ja bei dir und werde in Zukunft darauf achten, daß net wieder was passiert. Nur diesmal war ich einfach nicht darauf gefaßt, verstehst?«

      »Eva« schaute den Burschen offen an. »Ich bin so froh, daß du hier bist, Andi. Bitte, bleib noch eine Weile. Wenigstens so lange, bis ich eingeschlafen bin. Und... gib mir noch ein Busserl, ja?«

      »Ich weiß net... Vielleicht wäre es besser, wenn wir darauf verzichten.«

      »Dann macht es dir Angst? Du denkst, ich raste wieder aus und mache einen Schmarrn, net wahr?« Sie wirkte ganz verzweifelt.

      »Ach, Everl.« Andi beugte sich über sie und verschloß ihre zitternden Lippen mit einem innigen Busserl. Für eine kurze Weile vergaßen zwei liebende Herzen da alles andere und wollten nur noch füreinander schlagen. Es war eine bittersüße Seligkeit, die allzu schnell enden sollte.

      »Sie müssen jetzt gehen, Herr Stamm«, sagte der Spitalarzt von der Türe her. »Die Besuchszeit ist längst vorbei.«

      Andi gab das Madl frei und nickte verschämt. »Ich komme morgen wieder«, versprach er.

      »Eva« schaute ihm sehnsüchtig nach. Wie gerne wäre sie nun bei ihm gewesen, denn sie spürte, daß seine Nähe ihr mehr half, als alle Ärzte dieser Welt es vermocht hätten. Doch die Tür schloß sich hinter Andi, und sie war wieder allein...

      Es dauerte lange, bis das Madl Schlaf fand. Sie wälzte sich hin und her, eine schwer zu beschreibende Unruhe hatte von ihr Besitz ergriffen. Als sie endlich in Morpheus’ Arme sank, verfolgten sie wirre Traumbilder. Zuerst sah sie sich in einem blühenden Garten, der hinter einem großen Bauernhaus lag. Eine junge Frau war bei ihr, sprach freundlich und herzte sie. Dann befand sie sich in einer kleinen Kammer. Die Möblierung war einfach,