PROJEKT GALILEI. Stefan Bouxsein

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Название PROJEKT GALILEI
Автор произведения Stefan Bouxsein
Жанр Языкознание
Серия Mordkommission Frankfurt
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783939362395



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van Bergen war die Geschäftsführerin des Escort-Services. Nach einem kurzen Gespräch hatte sie der Kommissarin die Adresse ihres Büros mitgeteilt. Lena Leisig war vom Hotel direkt zu der Adresse im Frankfurter Westend gefahren. Das Büro lag unscheinbar in der ersten Etage eines denkmalgeschützten Gründerzeitgebäudes am westlichen Ende des Kettenhofweges. Auf dem Klingelschild stand nur JvB. Lena Leisig betätigte den Klingelknopf. Kurz darauf summte es leise, und die Haustür ließ sich öffnen. Lena stieg die Treppen in die erste Etage hoch und wurde dort von einer Frau empfangen, die nicht viel älter sein konnte als die tote Frau in dem Hotelzimmer. Justine van Bergen stellte sich knapp und distanziert vor und bat Lena in ihr Büro. Sie trug einen weißen Hosenanzug von einem etablierten Designer und das blonde, schulterlange Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Lena nahm an einem kleinen, runden Besprechungstisch Platz. Justine van Bergen bot ihr nichts an.

      Lena öffnete auf ihrem Handy das Foto der Toten und zeigte es Justine van Bergen.

      »Hat diese Frau für Sie gearbeitet?«

      Justine van Bergen betrachtete sich emotionslos das Bild. »Sie war eine Geschäftspartnerin von mir. Ich vermittele Kontakte auf Provisionsbasis.«

      »Ich brauche den Namen der Toten. Und ihre Adresse.«

      »Nayla. Nayla Aldahabi. Sie wohnte in der Textorstraße in Sachsenhausen. Sie sieht schlimm aus. Wo ist das passiert?«

      »Wir haben sie tot in einer Suite im Hotel Jumeirah gefunden. Es ist noch unklar, wie sie dorthin gelangt ist. Wir haben auch noch keinen Hinweis auf den Täter. Das Hotel gehört zu einer Kette aus Dubai. Stammte Nayla auch von dort?«

      »Nein, sie stammte aus Jordanien. Vor zwei Jahren kam sie nach Deutschland. Sie studierte an der Frankfurt School of Finance and Management an der Adickesallee. Das ist eine private Wirtschaftsuniversität.«

      »Ja, ich weiß. Das Polizeipräsidium liegt ja gleich nebenan. Wie passt das denn zusammen, Escort-Dame und Studentin einer privaten Wirtschaftsuni?«

      »Das passt sehr gut zusammen. Unser Kundenkreis beschränkt sich auf höchste internationale Gesellschaftskreise. Diese Leute geben sich nicht mit irgendeiner jungen, hübschen Frau als Begleitung zufrieden. Die haben außergewöhnliche Ansprüche an das Äußere sowie an den Intellekt und das Benehmen einer Dame, mit der sie einen Teil ihrer knapp bemessenen Freizeit verbringen möchten. Nayla entsprach diesen Anforderungen. Sie sprach perfekt Deutsch, Englisch, Französisch und Arabisch. Mit ihr konnte man sich über Außenhandelsbeziehungen zwischen Staaten genauso gut unterhalten wie über Finanzierungsmöglichkeiten von Start-up-Unternehmen oder über die Opernstücke, bei deren Aufführungen sie ihre Kunden begleitete.«

      »Wow«, kam es Lena über die Lippen. »Und außerdem sah sie sehr gut aus und war noch ziemlich jung.«

      »Das ist unabdingbar«, entgegnete Justine van Bergen kühl.

      »Mit wie vielen Frauen in dieser Kategorie pflegen Sie Geschäftsbeziehungen?«

      »Solche Frauen sind natürlich rar gesät. Ich bin noch dabei, mein Unternehmen aufzubauen. Frankfurt ist mein erster Standort. Aber ich will auch in anderen Metropolen der Welt aktiv werden. Momentan arbeite ich mit vier Frauen zusammen. Das heißt, jetzt sind es nur noch drei.«

      »Sie scheinen nicht gerade um Ihre Geschäftspartnerin zu trauern«, bemerkte Lena mit spitzem Tonfall. Sie konnte ihr Gegenüber nicht einschätzen, und das störte sie. Wie konnte eine so junge Frau eine so abgebrühte Geschäftsfrau in diesem Metier geworden sein? Lena war diese Welt völlig fremd. Als sie noch in ihrem alten Job tätig war, hatte sie viel mit Prostitution und Zuhälterei zu tun gehabt. Aber das hier war eine ganz andere Liga und ein ganz anderer Menschenschlag.

      »Wenn ich um Nayla trauere, werde ich das ganz bestimmt nicht vor Ihnen tun«, bekam Lena unterkühlt zu hören.

      Lena ging nicht weiter darauf ein. »Hatte Nayla heute einen Termin mit einem Kunden?«, fragte sie stattdessen.

      »Für heute Abend war sie gebucht, ja. Ich muss das jetzt auch noch umdisponieren. Ich hoffe, mein Kunde springt nicht ab.«

      »Arbeiten Ihre Geschäftspartnerinnen auch auf eigene Rechnung?«

      »Nein. Das ist vertraglich untersagt.«

      »Ich benötige eine Namensliste der Kunden von Nayla.«

      »Das dachte ich mir. Aber die bekommen Sie nicht. Nicht ohne richterlichen Beschluss.«

      »Den kann ich besorgen, kein Problem«, erwiderte Lena gereizt. »Einer Ihrer Kunden ist vielleicht ein Mörder. Haben Sie keine Angst, dass er es bei einer Ihrer anderen Geschäftspartnerinnen wieder tun könnte? Von den Damen brauche ich übrigens auch die Namen.«

      »Sarah, Helena und Samira«, gab Justine van Bergen nun bereitwillig Auskunft.

      »Kennen die Damen sich untereinander?«

      »Mehr oder weniger. Nayla war mit Samira gut befreundet. Sie haben beide jordanische Wurzeln. Samira wurde aber in einem palästinensischen Flüchtlingslager geboren. Sie hat eine äußerst interessante Biographie. Helena ist Russland-Deutsche, und Sarah kommt ursprünglich aus einem Kaff in Schleswig-Holstein.«

      »Haben Sie die Frauen alle an der Uni rekrutiert?«

      »Das ist ein Ansatzpunkt. Letztendlich sollten geeignete Bewerberinnen von bereits aktiven Geschäftspartnerinnen empfohlen werden. Gleich und gleich gesellt sich gern. Auf diese Weise will ich mein Unternehmen ausbauen. Sind Ihre Fragen nun beantwortet? Ich drucke Ihnen noch die Kontaktdaten von meinen Partnerinnen aus.«

      »Das ist nett. Ich besorge mir dann umgehend den richterlichen Beschluss zur Herausgabe Ihrer Kundenkartei.«

      »Ich werde meine Anwälte entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen lassen. Meine Kunden sind keine Mörder. Sie sind die Elite der Gesellschaft.«

      »Das Eine schließt das Andere nicht aus. Gehört Gerold Haferstein zu Ihren Kunden? In seiner Hotelsuite starb Nayla.« Lena entging das leichte Zucken um die Mundwinkel ihrer Gesprächspartnerin nicht.

      »Er ist tatsächlich ein Kunde«, gab Justine van Bergen nach einer kurzen Bedenkpause zu. »Aber er hat sich nie mit Nayla getroffen. Nur mit Sarah. Wie kommt Nayla in seine Suite?«

      »Das möchte ich herausfinden. Ihre Unterstützung wäre dabei sehr hilfreich.«

      »Ich unterstütze Sie, so gut ich kann, falls Sie das noch nicht bemerkt haben. Aber wenn ich heute meine Kundendaten an die Polizei weitergebe, habe ich morgen keine Kunden mehr. Diese Leute können Sie auch nicht so einfach mal besuchen und befragen. Es sei denn, Sie wollen um die ganze Welt jetten. New York, London, Moskau, Paris, Kopenhagen, Den Haag, Dubai, um nur ein paar der Orte zu nennen, an denen meine Kunden sich gerne aufhalten und eine nette Begleitung wünschen. Meine Partnerinnen fliegen zu jedem Ort der Welt, manchmal nur um zwei oder drei Stunden mit einem Kunden zu verbringen. Dass sich dieser Vorfall ausgerechnet in Frankfurt ereignet hat, hat nichts zu heißen. Außer, dass der Täter kaum in meinem Kundenkreis zu finden ist.«

      »Das macht es doch eigentlich recht einfach. Ihre Kunden, die heute nachweislich nicht in Deutschland waren, können wir ausschließen. Und Gerold Haferstein haben wir ja schon identifiziert. Was halten Sie von dieser Vorgehensweise?«

      »Ich denke darüber nach. Jetzt muss ich mich aber leider um die Arbeit kümmern.«

      Ich auch, dachte Lena. Sie würde sich als Nächstes im Präsidium die Videoaufzeichnungen der Hotelkameras anschauen. Auf der Fahrt zum Präsidium ließ sie sich die Gespräche mit Gerold Haferstein und Justine van Bergen noch einmal durch den Kopf gehen. Beide hatten in Lenas Augen merkwürdig auf den brutalen Mord reagiert. So, als wären sie nicht sonderlich überrascht.

      *

      Siebels hatte einen neuen Auftrag. Vor ihm lag ein Umschlag mit 20.000 Euro. Ob Sabine das besänftigen würde, wenn er ihr beichtete, sein Versprechen nicht eingehalten zu haben? Eher nicht. Aber das Geld war nicht ausschlaggebend für seinen plötzlichen Sinneswandel gewesen. Es war sein Bauchgefühl. Das sagte ihm, dass Till sich beim