Gedichte in Prosa (Aus dem Nachlass). Иван Тургенев

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Название Gedichte in Prosa (Aus dem Nachlass)
Автор произведения Иван Тургенев
Жанр Русская классика
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Издательство Русская классика
Год выпуска 0
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      Gedichte in Prosa (Nachlass)

       I

      Begegnung (Ein Traum)

      Mir träumte: ich durchschritt auf scharfen kantigen Steinen unter schwarzen tiefhängenden Wolken eine weite, kahle Steppe.

      Ein Fußpfad verlief im Zickzack zwischen den Steinen  . . .  Ich schritt auf ihm weiter, ich wußte selbst nicht, wohin und weshalb.

      Plötzlich zeigte sich etwas wie eine Wolke vor mir auf dem schmalen Pfade. Ich faßte sie näher ins Auge, da wurde das Wölkchen zu einem Weibe, wohlgestaltet und hochgewachsen, in einem weißen Kleide, das hell umsäumt war und die Gestalt ganz schmal erscheinen ließ  . . .  Die Erscheinung strebte eiligst von mir fort.

      Das Gesicht sah ich nicht, ich sah nicht einmal das Haar, es war verdeckt von wogendem Gewebe; aber mein ganzes Herz flog ihr zu. Sie erschien mir herrlich, wunderbar und lieblich . . .  Ich wollte sie unbedingt erhaschen, ihr ins Antlitz sehen . . .  in ihre Augen  . . .  Ich wollte, ich mußte diese Augen sehen.

      Indessen bewegte sie sich, mochte ich mich auch noch so beeilen, doch noch geschwinder als ich fort. Es gelang mir nicht, sie zu erreichen. Aber da war ja quer über dem Pfad ein breiter flacher Stein. Er verlegte ihr den Weg. Das Weib machte vor ihm halt . . .  und bebend von Freude und Erwartung, doch nicht ganz ohne Bangen, eilte ich hinzu.

      Ich gab keinen Laut von mir . . .  Sie aber wendete sich sachte gegen mich…

      Trotzdem bekam ich ihre Augen nicht zu sehen. Sie waren geschlossen.

      Weiß war ihr Antlitz . . .  weiß wie ihr Gewand; die entblößten Arme hingen reglos herab. Mit einem Wort: sie war versteint; mit ihrem ganzen Leibe, mit jeder Linie ihres Gesichtes war das Weib zu einer Statue aus Marmor geworden.

      Langsam, ohne auch nur ein Glied zu rühren, neigte sie sich hintenüber und lag auf jener flachen Steinplatte, ich strecke mich neben sie hin, ich liege auf dem Rücken, wie als Wache vor einem Grabmal, meine Hände legte ich in betender Gebärde auf die Brust und fühlte, wie auch ich zu Stein wurde. Es vergingen einige Augenblicke  . . .  Plötzlich erhob sich das Weib und schritt von dannen.

      Ich wollte ihr nachstürzen, aber ich vermochte mich nicht zu rühren, vermochte meine gefalteten Hände nicht zu lösen, ich sah ihr nur nach in unaussprechlicher Traurigkeit.

      Da wendete sie sich unerwartet um, und ich erblickte durchdringende helle Augen in einem lebhaften Gesicht voller Bewegung. Sie richtete ihren Blick auf mich und lachte aus vollem Hals, jedoch ohne einen Laut von sich zu geben.

      »Steh doch auf und komm zu mir.«

      Aber ich vermochte mich immer noch nicht zu rühren. Darauf lachte sie noch einmal und entfernte sich rasch, wobei sie lustig den Kopf zurückwarf, auf dem plötzlich ein Kranz von kleinen Rosen erglänzte.

      Ich aber blieb reglos und stumm auf meiner steinernen Grabplatte liegen.

      Februar 1878.

       II

      Ich trage Leid

      Ich trage Leid um mich, um all die anderen Menschen, um die wilden Tiere, um die Vögel . . .  um alles, was da lebt. Ich trage Leid um die Kinder und um die Greise, um die Unglücklichen und die Glücklichen  . . .  die Glücklichen tun mir noch mehr leid als die Unglücklichen.

      Leid tun mir die sieghaften, triumphierenden Führernaturen, die großen Künstler, Denker und Dichter.

      Mir ist leid um die Mörder und ihre Opfer, um die Abstoßenden und die Schönheiten, die Bedrückten und Bedrücker.

      Wie könnte ich mich von diesem Mitfühlen befrein? Es läßt mich nicht zum Leben kommen. Mitfühlen, dann noch die Wehmut.

      Wehmut, Wehmut, gelöstes Mitleid! Tiefer kann der Mensch nicht versinken.

      Fast möchte es besser sein, ich empfände Neid, wahrhaftig!

      Ich beneide ja auch – die Steine.

      Februar 1878.

       III

      Der Fluch

      Ich las Byrons Manfred  . . .  Als ich an die Stelle kam, wo der Geist der Frau, die Manfred zugrunde gerichtet hat, die geheimnisvolle Beschwörung über ihn ausspricht, überkam mich etwas wie Angst.

      Ihr erinnert euch doch:

      Eine Stimme tönt mit Macht,

      Die dir wehrt, was freut und lacht.

      Und die Nacht verweigert dir

      Jede süße Ruh‘ in ihr.

      Ja, im Sonnenglanze sei

      Stets dein Wunsch: Oh, wär's vorbei!

      Dabei kam mir etwas anderes in den Sinn  . . .  Einmal – in Rußland war ich Augenzeuge eines wüsten Streites zwischen zwei Bauern, Vater und Sohn, als Letztes fügte der Sohn seinem Vater eine niederschmetternde Kränkung zu.

      Verfluche ihn, Wassiljitsch, verfluche ihn, den Verdammten! schrie die Frau des alten Bauern.

      Laß gut sein, Petrowna, erwiderte der Alte dumpf, indem er das große Kreuz schlug: Er soll nur warten, bis er soweit ist, daß er einen Sohn hat, der ihm in Gegenwart seiner Mutter auf den grauen Bart speit! Diese Verwünschung erschien mir schrecklicher zu sein als die, die Manfred traf. Der Sohn hatte den Mund zu einer Erwiderung aufgerissen, aber feine Füße wurden unsicher, leichenfahl ging er hinaus.

      Februar 1878.

       IV

      Zwillinge

      Ich erlebte einmal den Zank eines Zwillingspaares. Sie glichen einander in allem wie ein Wassertropfen dem anderen: im Gesichtsschnitt, im Ausdruck, der Haarfarbe, im Wuchs, im Bau der Glieder, und dabei haßten sie einander unversöhnlich.

      In nämlicher Manier bäumten sie sich vor Wut. In gleicher Art drängten sie ihre Gesichter hitzig gegeneinander. Diese Menschen, die doch so unheimlich ähnlich waren, fast völlig gleich, sprühten sich drohend an, dieselben schmähenden Worte, mit der gleichen Stimme hervorgestoßen, rissen sich von denselben wutverzerrten Lippen los.

      Ich konnte das nicht mehr mit ansehen, ich nahm den einen der beiden bei der Hand, zog ihn vor den Spiegel und sagte: Schimpf dann schon lieber hier vor diesem Spiegel . . .  Dir kann es ja ganz gleich sein  . . .  aber mir ist dann nicht mehr so bang ums Herz.

      Februar 1878.

       V

      Die Drossel

      Ich lag im Bett, doch ich konnte nicht schlafen. Sorgen quälten mich, schwere, zermürbende, eintönige Gedanken kreisten in meinem Hirn, gleichwie um den Gipfel eines grauen Hügels dichte Nebelwolken in Reihen an einem regnerischen Tag.

      Ach! Damals liebte ich hoffnungslos und heiß, wie man nur in den Schnee- und Eisjahren lieben kann, wenn das vom Leben noch unverbrauchte Herz  . . .  nicht mehr jung ist, nein  . . .  sich noch jung fühlt  . . .  überflüssige und vergebliche Täuschung.

      Ein weißer Fleck war vor mir, das Trugbild eines Fensters, verschwommen erschien alles im Zimmer, es war, als wäre es noch regloser und stiller im dunstigen Zwielicht der Sommerfrühe. Ich sah auf die Uhr: es war ein Viertel vor drei. Und hinter den Wänden des Hauses die gleiche Reglosigkeit  . . .  Und Tau! Ein ganzes Meer von Tau! Im tauigen Garten sang bereits, gerade vor meinem Fenster, pfiff und trillerte ununterbrochen eine schwarze Drossel. Die schmelzenden Töne drangen in mein einsames Zimmer, sie füllten es ganz aus; mein Ohr, mein Kopf, durch Schlaflosigkeit gereizt und mit krankhaften Gedanken belastet, mein heißer und ausgetrockneter Kopf war voll davon. Sie atmeten Ewigkeit aus, diese Töne, sie hatten die ganze Frische, das ganze Gleichgewicht, die ganze Kraft des Ewigen. Die Stimme der ganzen Natur erklang mir darin wider, in diesem Vogellaut, der, sich selber unbewußt, seit je erklang und immer wieder erklingen wird. Sie sang, sie sang ihre ganze Zuversichtlichkeit aus sich heraus, diese schwarze Drossel; sie wußte, daß die Sonne zuverlässig zu ihrer Stunde nun bald erstrahlen würde. In ihrem Liede war nichts, das nur