FILM-KONZEPTE 65 - Christian Petzold. Группа авторов

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Название FILM-KONZEPTE 65 - Christian Petzold
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия FILM-KONZEPTE
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783967076448



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ästhetische Darstellungsformen werden so neu austariert. Paul Virilio hat dies ausführlich beschrieben.26

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      Zigarettenpause. Clara und Jeanne warten, bis Hans das Auto repariert hat. Kurze Momente der Ruhe in DIE INNERE SICHERHEIT

       Modelle. Semiotische Dramaturgie

       Cinephilie, Erinnerung, Geschichte als Gegenwart

      Das Thema der (Wieder-)Erinnerung ist jedoch ebenfalls innerhalb der Handlungswelten Petzolds zentral. Als Barbara ihren ersten Arbeitstag nach der Versetzung in das Provinzkrankenhaus hinter sich hat, fährt sie André mit dem Auto nach Hause. Sie ahnt, dass sie von der Stasi überwacht wird. Gerade das Ausbleiben der Frage, wo sie wohne, wird in ihrer Kurzzeiterinnerung zum Verdacht, den sie artikuliert:

      Barbara: An der Kreuzung hätten Sie mich fragen müssen.

      André: Was?

      Barbara: Rechts oder links.

      Jetzt versteht André.

      André: Aber wir sind doch richtig!

      Dass André so tollpatschig ist und schon beim ersten Gespräch zu zweit aus Verliebt-Sein vergisst, dass er den Unwissenden spielen müsste, macht ihn durchaus sympathisch. Diese Interferenzen zwischen Faktizität und Potenzialität, Wahrnehmung, Erwartung und Erinnerung sind Petzolds narratives Terrain. Sie bilden den Kern seiner probabilistischen Dramaturgie. Was wirklich geschehen ist, wissen wir nicht, es wird – etwa in YELLA – gespensterhaft undeutlich. Dies sind probabilistische Narrative, die wir von Akira Kurosawas RASHŌMON (RASHOMON – DAS LUSTWÄLDCHEN, 1950) kennen, dessen Dramaturgie des Perspektivenwechsels in dem Großprojekt DREILEBEN benutzt wurde, und die ihrerseits in William Faulkners Schall und Wahn (The Sound and the Fury, 1929) einen Vorläufer hat.

      Wie in Fortführung von Harun Farockis NICHT OHNE RISIKO (2004) ist es dem Menschen eigen, vor allem die Sprache als ein Verschleierungs- und Manipulationsinstrument erster Güte zu benutzen. Wenn auch die Realität dadurch wie hinter einem Vorhang verschwindet, so zeichnen sich doch die Charaktermerkmale der Protagonisten durch dieses Fading und das aktive Ausblenden-Wollen von Zusammenhängen umso deutlicher ab, weil es immer brüchig ist und verräterisch.

      Ebenso wie Petzold mit der Erinnerung umgeht so auch mit der Erwartung. In allen seinen Filmen geschieht etwas mit den Handelnden, das sie aus der Bahn wirft. Der so sachlich gefilmte Alltag wird unvorhersehbar. Dann unternimmt Petzold aber Experimente mit der erzählten Welt wie mit der Erzählweise gleichermaßen. Manchmal wissen wir nicht, ob das geträumt ist. Und auch die Wege von einer zerbrochenen Taucherfigur zu einer Beinverletzung verlaufen labyrinthisch, wie in UNDINE. Es bleibt stets uneindeutig, weil auch die Prämissen des Erzählens und Darstellens innerhalb des Films variieren und in Frage gestellt werden.

      In einigen Arbeiten, so in TRANSIT und PHOENIX, stellt Petzold die Geschichte dar, aber nicht als Vergangenheit, sondern als Gegenwart, als Déjà-vu-Erlebnis. Was wirklich war, interessiert nicht. Eher ist Petzold einer, der warnt, dass die katastrophische Geschichte wiederkehren könnte, ganz ähnlich wie dies Walter Benjamin in den Thesen Über den Begriff der Geschichte dachte. Er stellt durch dieses Changieren zwischen den Zeiten die provokante Frage, inwiefern Überwachungsformen der Vergangenheit den heutigen ähneln.

       Romantische Motive

      Der romantische Mythos der UNDINE findet sich aber in Form des In-das-Wasser-Gehens oder des Aus-dem-Wasser-Rettens