Gorloin. Thomas Hoffmann

Читать онлайн.
Название Gorloin
Автор произведения Thomas Hoffmann
Жанр Языкознание
Серия Leif Brogsohn
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742776297



Скачать книгу

kommt zurecht!“

      Sven kniete am Boden und stützte die nach Luft ringende Kat. Fedurins Leine hatte er sich um den Arm geschlungen. Mit angstgeweiteten Augen riss der Esel am Strick. Lyana zog den blutigen Pfeil aus Kats Lederjacke.

      „Nur ein Jagdpfeil, Vendona sei Dank!“

      Kat tastete unter ihrer Jacke nach der Wunde und murmelte einen Heilzauber. Ihr Gesicht war blass.

      Aeolin starrte mich an. „Mein Bruder hat das ganze Räuberlager allein niedergemacht. Männer, Frauen und Kinder!“

      Außer Atem sah ich mich um. Gegen meinem Willen schossen mir Tränen in die Augen.

      „Die verdammten Schweine!“ heulte ich. Ich schrie wie von Sinnen, von Grauen und Wut gepackt. „Die verdammten Schweine! So eine verfluchte, elende Scheiße! So eine Scheiße nochmal!“

      ***

      Wir zogen durch den Wald flussabwärts. Auf einer vom Unterholz freien Stelle setzten wir uns ans Flussufer in den Schnee. Kat verzog das Gesicht, während sie sich vorsichtig niederließ. Sie unterdrückte ein Stöhnen.

      „Geht's?“ wollte Lyana wissen.

      „Ist schon in Ordnung,“ meinte Kat gepresst.

      Oberhalb von uns hing schwarzer Rauch über dem Wald.

      Sven blickte grimmig auf den vereisten Fluss. „Im nächsten Wirtshaus brauch ich einen Becher Branntwein - besser zwei!“

      Kat schnaubte verächtlich. „Wenn das Fürstentum in offenem Aufruhr ist, kannst du das vergessen! Jeder Gasthof in der Gegend wird ausgeplündert sein und gebrandschatzt. Da wette ich mit dir.“

      Sven seufzte. Ich schwieg verbissen.

      Nach einer Weile knurrte Kat: „Du hast sie doch in den grellsten Farben gewarnt, Sven. Warum haben die Schwachköpfe uns nicht geglaubt?“

      „Vielleicht war der Pfeil nur aus Nervosität von der Sehne geschnellt - ohne, dass sie wirklich angreifen wollten,“ flüsterte Lyana.

      „Können wir mal über was anderes reden, ja?“ polterte ich los.

      Kat seufzte. „Na, kommt. Sehen wir zu, dass wir in die Ebene hinunterkommen. Wir sollten versuchen, für die Nacht ein Dach über den Kopf zu finden. Mitten im Kriegsgebiet auf offenem Feld zu kampieren wär' keine gute Idee.“

      ***

      Am späten Nachmittag erreichten wir die Talebene. Bevor wir den Wald hinter uns ließen, spähten Aeolin und Lyana nach Wild aus, fanden jedoch keins.

      „Keine Fährten, keine Losung, nichts,“ wunderte sich Lyana. „Der Wald auf dieser Seite der Berge ist wie ausgestorben.“

      „Wahrscheinlich ist alles, was sich im Wald geregt hat, längst in irgendwelchen Kochtöpfen gelandet,“ vermutete Kat.

      „Dann wird's heute mau mit dem Abendessen,“ seufzte Sven.

      „Ein paar Handvoll Esskastanien haben wir noch,“ erinnerte sich Aeolin.

      Wir kamen am westlichen Ende der Greifenhorster Talebene aus dem Gebirge herab. Einen halben Tagesmarsch zu unserer Linken warfen sich hohe Hügel vor verschneiten Gebirgsgraten zu einem Vorgebirge auf. Zwischen den Hügeln verengte sich die Ebene zum Flusstal. Ein breiter Fluss wand sich von dorther durch die Ebene nach Osten. Gegenüber, zwei Tagereisen entfernt, begrenzten hohe Berge die Ebene. Vor einem Einschnitt, der sich weit ins nördliche Gebirge hineinzog, stand eine Festung auf einem Vorhügel. Fahnen wehten auf den Türmen. Jenseits der Berggipfel erhob sich ein einsames Massiv steil über die umliegenden Gipfel. Seine schneebedeckten Flanken glänzten im Licht der tief stehenden Nachmittagssonne.

      Kat deutete auf den einen Tagesmarsch entfernten Fluss. „Der Drur. Der nördlichste Fluss des Reichs. Hinter dieser Ebene liegt unerforschtes Land. Über die unbekannten Gebirgszüge im Norden haben einige Kartografen geschrieben: „Jenseits von hier wohnen Drachen“.“

      „Woher weißt du das alles?“ wollte ich wissen.

      Leise antwortete sie: „Andreas Amselfeld hat es mir erklärt.“

      „Seht mal, der gewaltige Berg dort hinten,“ rief Sven. „Wenn das nicht der hohe Schneeberg ist!“

      Kat spähte zu dem steilen Massiv vor dem Horizont. „Möglich wäre es.“

      „Der Taleinschnitt hinter der Festung würde in die richtige Richtung führen,“ überlegte ich. „Und dass der Einschnitt von einer Festung bewacht wird, kann nur bedeuten, dass dort feindliche Völker wohnen – Zwerge!“

      „Das würde mit dem übereinstimmen, was Zosimo über die Berggegenden erzählt hat, jenseits derer die toten Berge liegen,“ fand Lyana. „Er hat auch von einem unterirdischen Gang erzählt, der von Kurmuk Dakar in die Greifenhorster Ebene führen soll...“

      „Und in den Jahrtausenden, seit die toten Berge von den Zwergen verlassen sind, mit Sicherheit eingebrochen und verschüttet ist,“ meinte Kat.

      Aeolin blickte uns entschlossen an. „Gehen wir den Taleinschnitt herauf. Oben am Ende des Einschnitts werden wir schon einen Weg finden in die toten Berge.“

      Kat betrachtete die Elbenkriegerin mit verhaltenem Zweifel.

      Ich betrachtete das vor uns liegende Land. In der flachen, verschneiten Ebene standen umgebrochene Gatterzäune. Früher mussten sich hier Viehweiden erstreckt haben. Schräg zur Rechten lagen die Ruinen eines Dorfs. Die meisten Dächer waren eingebrochen, Hausmauern niedergerissen. Weiter östlich führte eine Holzbrücke über den Fluss, den Kat den Drur nannte. Auf der gegenüberliegenden Seite der Brücke stand ein zweistöckiges Gebäude, aus dessen Schornstein Rauch stieg. Auf unserer Seite erkannte ich eine Rauchfahne, womöglich von einem offenen Lagerfeuer. Flussabwärts im Osten, knapp zwei Tagereisen entfernt, erhoben sich am Fluss die Mauern einer Stadt. Eine steinerne Brücke führte vom anderen Ufer zur Stadtmauer herüber. An mehreren Stellen stiegen dicke Rauchwolken aus der Stadt auf. Vor den Mauern sah ich die Zelte eines Heerlagers.

      Lyana stieß mich stumm an und deutete zum Gebirge hinter uns zurück. Ein paar Wegstunden entfernt quoll Rauch aus den Mauern einer Burg auf einem vorgelagerten Hügel. Flammen schlugen aus dem Rundturm. Wie schwarze Ameisen kletterten Männer auf langen Leitern die Mauern hoch. Ob es Soldaten, bewaffnete Bauern oder Freischärler waren, konnte ich auf die Entfernung nicht erkennen.

      „Das ganze Land scheint verwüstet und in Flammen,“ murmelte ich.

      „Wir können es nicht ändern,“ meinte Kat bitter.

      Ich blickte zu den Dorfruinen hinüber. „Wollen wir uns in dem verlassenen Dorf da vorne einen Unterschlupf für die Nacht suchen? Viel weiter kommen wir heute ohnehin nicht mehr.“

      ***

      Nach einer Stunde Marsch querfeldein über umgestürzte, zerbrochene Gatterzäune erreichten wir die Dorfruinen.

      „Die Fratze des Krieges!“ raunte Kat, während wir zwischen den niedergebrannten Gehöften hindurchgingen. „Es heißt immer, der Kaiser führt Krieg, um seine Untertanen zu schützen - aber das hier ist es, was Krieg wirklich bedeutet.“

      Irgendwo zwischen den Ruinen bellte ein Hund. Wir wechselten überraschte Blicke.

      „Sieht aus, als wenn das Dorf doch nicht ganz verlassen ist,“ meinte ich.

      Vor einer Bauernhütte, deren Dach zur Hälfte eingebrochen war, stand ein magerer Hund und bellte uns wütend entgegen. Fedurin stemmte alle viere in den Boden und glotzte das Tier an.

      „Ist ja gut,“ redete Kat auf den Hund ein. „Wir tun deinen Leuten nichts - falls hier überhaupt noch Menschen sind.“

      Die niedrige Haustür wurde von innen geöffnet. Der Mann, der zu uns heraushinkte, war in bloße Fetzen gekleidet. Das Gehen schien ihm Schmerzen zu bereiten. Sein Alter war schwer zu schätzen. Ich vermutete ihn dreißig bis vierzig