Büchernachlese: Rezensionen 1985 - 1989. Ulrich Karger

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Название Büchernachlese: Rezensionen 1985 - 1989
Автор произведения Ulrich Karger
Жанр Документальная литература
Серия Edition Gegenwind
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783748588993



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Der irdische Mensch ist darin zum Voyeur degradiert. Die Visophone auf der Erde übermitteln Bilder, deren aufgezeichnete Ereignisse für Helliconia längst in der grauen Vergangenheit liegen.

      Aber auch die Menschen in dem Forschungssatelliten „Avernus“ können diesen Planeten nicht betreten, obwohl Gravitation und Atmosphäre nahezu erdähnliche Bedingungen aufweisen. Die Entwicklungsgeschichte der Bewohner darf nicht verfremdet werden und ein bestimmter Virus bedeutet den unvermeidlichen Tod.

      Die Handlung, das Leben dieses Romans findet auf Helliconia statt, das einem 2596 Jahre währendem Zyklus ausgesetzt ist. Dieser Zyklus, durch ein Doppelgestirn bedingt, ist von Brian W. Aldiss, mit Unterstützung wissenschaftlicher Berater, bis ins Detail sorgfältig und plausibel erdacht worden.

      Zwei solcher Zyklen (=2 „große Jahre“) muß die Avernus auf Station bleiben, um ihre Forschungen abzuschließen.

      16 Jahrhunderte herrscht ein wechselhaftes Klima, in dessen Kernzeit (ca. 500 Jahre lang) eine Eiszeit fast alles Leben zum Erliegen bringt. Dies ist die Zeit der Phagoren, die zwar aufrecht gehen und eine eigene Sprache sprechen, aber ansonsten nur wenig mit den helliconischen Menschen gemein haben. Ihr Äußeres, stiergesichtig wie weiland Minotauros, ihr gelbes Blut, das gerade die Kälte gut verträgt, und ihr gänzlich anderes Zeitverständnis machen sie den Menschen unheimlich. Die leben in Höhlen ihr beschränktes Dasein. Kälte und Phagoren werden gefürchtet und zugleich wie Gottheiten verehrt. Letzteren dienen sie als Sklaven oder als Nahrung. Der Frühling naht, Fauna und Flora blühen zu vielfältigem Leben auf und die Menschen kriechen aus ihren Löchern. Das Rad dreht sich und mit den steigenden Temperaturen gewinnen auch die Menschen an Selbstsicherheit und .. Überheblichkeit.

      Jeder Band dieser Trilogie ist mit Charakteren ausgestattet, die beim Leser Anteilnahme, gar Parteilichkeit herausfordern. Aber wir können, wie von der Avernus aus, nur zuschauen; dies allerdings bis in die Schlafzimmer der Protagonisten hinein. Jedes Kapitel ist dicht geschrieben, ohne eine einzige Länge aufzuweisen, und fügt sich nahtlos den nachfolgenden an. Brian W. Aldiss hat vor uns eine Bühne aufgebaut, auf der das Leben selbst spielt. Dieses Spiel mag von manchen Lebewesen kommentiert, aber nie wirklich beeinflußt werden.

      Höchste Anerkennungen in Form von Literaturpreisen aus den USA, Großbritannien und der BRD geben diesem spannenden und fesselnden Werk das wohlverdiente Gütesiegel.

      Brian W. Aldiss: Helliconia: Frühling – Sommer – Winter. SF-Romane, Bände 50, 51, 52. Heyne Verlag, München 1985. ISBN 3-453-03928-9

      Vö.: zitty 13/1986

      1986 – BELLETRISTIK

      Name, Vorname | Titel | JahrBarwasser, Karlheinz & Robert Staufer: Lovestories >1986 BB Buchenau, Stefan: Die Flucht >1986 BB Drewitz, Ingeborg: Eingeschlossen >1986 BB Grolle, Daniel: Keinen Schritt weiter >1986 bb Harth, Ulli: Die vollendete Sieben der Achterbahn >1986 BB Körner, Heinz: Wieviele Farben hat die Sehnsucht >1986 BB Krokisi, Barbara: Es war einmal >1986 BB Krott, Reinhard: Wintertanz >1986 BB Lassahn, Bernhard: Du hast noch ein Jahr Garantie >1986 bb Levy, Bernard-Henri: Den Teufel im Kopf >1986 BB Ney, Norbert: Liebe, Laster, Leid& Lust >1986 BB Pilgrim, Volker Elis: Elternaustreibung >1986 BB Regenbrecht, Klaus-Dieter: Antikörper >1986 BB Wogatzki, Benito: Narrenfell >1986 BB Wollenberg, Martin: Büro - Ein Lesebuch >1986 BB

      Barwasser, Karlheinz u. Robert Stauffer (Hg.): Lovestories

      22 Autorinnen und Autoren aus der BRD, aus Österreich und der Schweiz schreiben zum Thema Liebe – Jahrgang 1921 bis 1964, zumeist Literaturpreisträger/innen, viele Veröffentlichungen in Zeitschriften, anderen Anthologien und eigenen Büchern, in Rundfunk und TV.

      Auch wenn mensch im Anhang die Kurzbiographien nachliest, entsteht weniger ein Bild von den Schreibenden, als viel mehr ein schillerndes Mosaik dessen, was oft genug auf die Schnelle mit „Liebe“ abgehakt wird. Daß jede dieser 47 Kurzgeschichten ein gleichwertiger und gleichgewichtiger Stein, wenn auch von ganz unterschiedlicher Tönung und Farbigkeit, Glanz und Mattigkeit ist, spricht wiederum für die Qualität der Autorinnen und Autoren, aber auch für die sichere Hand der beiden Herausgeber, die das Mosaik zusammengesetzt haben.

      Frau mit Mann, Mann mit Frau, Mann mit Mann, Frau mit Frau – das sind Schubladen, die die Vielfältigkeit der Geschichten nur scheinbar vorstellen. In Wahrheit bezeichnen diese „Lovestories“ Momentaufnahmen, mal Alltag, mal Schlüsselerlebnis und fordern die Phantasie der Lesenden auf, nach dem Ursprung, dem Umfeld dieser Konstellationen zu suchen oder sich nach manch verblüffenden Irritation selbst zu finden. Diese Tropfen erfahrenen Lebens beschreiben Liebe nicht als klar umrissene Sache, sondern als einen Strom, einen Prozeß in den mensch sich mit Haut und Haaren begibt oder den er lieber trockenen Fußes an sich vorbeiziehen läßt.

      Leider krankt dieses Buch an einem für Anthologien wohl typischen Platzmangel. Auch den Gouachen von Hertha Kurtz wurde mit dem sparsamen s/w-Druck auf dünnem Papier Gewalt angetan. Aber wer sich auf die „Lovestories“ einläßt, wird darüber hinwegsehen können.

      Karlheinz Barwasser, Robert Stauffer (Hrsg.): Lovestories. Anthologie. Förtner & Kroemer Verlag, Köln 1986. 156 Seiten. ISBN: 3-924366-46-2

      Vö.: carpe.com 31.12.1999; buechernachlese.de.vu 31.12.2000

      Buchenau, Stefan: Die Flucht

      Das Fazit des Klappentextes führte mich in die Irre:

      „Die Unfähigkeit des Großstädters sich anzupassen wird ihm schließlich zum Verhängnis ... und ein Schicksal, in dem sich die Unvereinbarkeit zweier Welten widerspiegelt.“ So war ich angenehm überrascht, als ich die letzte Seite der Erzählung des Stefan Buchenau „verschlungen“ hatte. Tatsächlich stammt der Held dieser Erzählung aus der Großstadt schlechthin, aus New York. Patrick Conolly ist in der Bronx aufgewachsen und verdient sich sein Geld durch Fahren von Fluchtwagen oder Umrüsten gestohlener Autos. Zuletzt geht ein Coup schief, aber ihm wird noch Geld fürs Untertauchen geschickt. Er muß weit weg. Patricks Urgroßvater war Ire, also dann – auf nach Irland. Aber nicht Dublin, sondern Shannon Airport an der Westküste ist sein Ziel. Es ist näher an Amerika. Diese Situation wird ohne ein Wort zuviel in nicht ganz zehn Seiten auf den Punkt gebracht, ab dem die eigentliche Flucht sichtbar gemacht werden soll. Buchenau läßt seinen Helden und den/die Leser/in konsequenterweise nie ganz vergessen, daß die Fahndungsblätter der NY-Polizei auch die vergleichsweise einsame Insel erreichen könnten, aber diese Angst verblaßt zu einem unterschwelligen Gefühl, das einem anderen Platz machen muß, einem Gefühl, das noch bedrohlicher scheint, da es noch mehr das Dasein Patricks in Frage stellt. Wer sich schon als Urlauber von Irland beeindrucken ließ, darf noch einmal in Erinnerungen schwelgen. Buchenau hat offensichtlich gut beobachtet und gibt seine Impressionen Patrick mit auf den Weg. Den ständig wechselnden Himmel und das „unverschämt grüne Gras“ bemüht er dazu nur jeweils einmal – Irland und die Iren sind weit mehr als das. Eine Feier, auf der jeder was zu singen und zu tanzen hat, Kiefer, die am Weißbrot lutschen, weil die Zähne nur noch braune Stumpen sind, Geschichten, die nie aufgeschrieben und doch nie vergessen werden. Patrick gerät mehr und mehr in den Bann dieses Landes und seiner Menschen dann schreckt er wieder auf, sehnt sich nach seinem gewohnten Umfeld und .. wird wieder am Telefon vertröstet. Patrick ist sich zweier Verfolger bewußt: der Polizei und der unheimlichen, freundlichen Atmosphäre Irlands. Die bedrängen ihn, gegen sie trifft er Vorsichtsmaßnahmen, aber den dritten Verfolger entdeckt er nicht, bleibt sich dessen bis zum Ende unbewußt. Wir außenstehenden Leser/innen haben es da natürlich einfacher, nicht zuletzt weil Stefan Buchenau für die Sprachlosigkeit eine Sprache findet, die diese offenlegt anstatt sie durch übertrieben melancholisches Gesülze unüberwindbar wirken zu lassen. Das blaugrundige, von NIL Ausländer illustrierte Deckblatt gibt dem Inhalt auch äußerlich eine ansehnliche Note. Wer also für den Urlaub (vielleicht in Irland) ein entspannend-spannendes Buch sucht, sollte schnell zugreifen solange die Auflage reicht. Stefan Buchenau: Die Flucht. Roman. KKZR Verlag, Berlin 1986. 164 Seiten. ISBN: 3-924261-16-4 Vö.: carpe.com 31.12.1999;