Die Atlanten von Wheed. Gabriele Steininger

Читать онлайн.
Название Die Atlanten von Wheed
Автор произведения Gabriele Steininger
Жанр Языкознание
Серия 1. Buch
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738073195



Скачать книгу

fasziniert. Sich hier Geschichten auszuleihen war unter den Bewohnern Ingwas üblich und so herrschte teils reger Verkehr in der Halle. Marc las gerne in den Kartenwerken und sah sich Städte und Dörfer in den Beschreibungen an, die zum Teil an den Werken hingen. Er kannte Kurwat, den Wächter über die Schriften im Wissensbau und seine Familie gut. Als Kind hatte er mit seinen Söhnen manchmal gespielt. Obwohl diese einige Zyklen älter waren als er, hatten sie immer gerne mitgemacht und überließen den Jüngeren gerne die Rolle von Ewon. Das machte sie zu begehrten Spielkameraden und sie waren gerne in der Schar der Kinder gesehen. Kurwats Söhne erlernten die Kunst der Dichtung. Sie hatten keine Lust in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, um in dem großen Gebäude zu verstauben, wie die Werke die in ihm lagerten. Dieser Besuch aber war etwas anderes. Das spürte er. Hier ging es nicht um das Ausleihen eines Werkes. Hier ginge es um die Wahl. Seine Wahl. Die Wahl, die seine ganze Zukunft, ja sein ganzes Leben beeinflussen würde. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass genau dieser Beruf der seine war. Angespannt drückte Marc die wuchtige Tür auf und trat ein. Augenblicklich kam ihm der vertraute, angenehme Geruch von Rindenpapier und Staub entgegen. Werke hatten einen eigenen Geruch. Jedes roch anders und stieg dem Leser beim Blättern der Seiten in die Nase. Es gab Werke die man nicht mochte, weil ihnen ein ganz eigener Duft anhing. In Andere steckte man seine Nase gerne und sog sie förmlich in sich hinein. Ganz hinten, an der linken Seite, stand ein wuchtiges, aus dunklem, beinahe schwarzem Kanulbaumholz gefertigtes Pult. Vertieft in eine seiner Karten saß der Wächter an dem schweren Möbelstück. Marc fasste sich ein Herz und steuerte zielstrebig auf den Mann zu. So geradlinig ihn seine Füße bis vor das Pult geführt hatten, so unsicher stand er jetzt davor. Es dauerte einige Augenblicke, ehe Kurwat, der ihn sehr wohl bemerkt hatte, aufblickte und ihn freundlich ansah. Es war dem Jungen an der Nasenspitze anzusehen, dass der Grund seines heutigen Besuches ein anderer war, als ein Buch auszuleihen.

      "Na? Marc? Möchtest du dir ein Werk ausleihen?", fragte er dennoch gewohnheitsmäßig nach. Der grauhaarige Mann der verschmitzt über den Rand seiner eckigen Brille lugte machte ein freundliches Gesicht.

      "Nein. Dieses Mal nicht. Ich ähm… Ich wollte fragen ob ich bei dir das Kartenschreiben lernen kann."

      Kurwat musterte den angespannt vor ihm stehenden jungen Mann, der nervös mit seinen Fingern spielte und erhob sich aus seiner Sitzgelegenheit. Er kam um das wuchtige Pult herum. Ein unbehagliches Gefühl stieg in Marc hoch, als der Wissensbauwächter langsam um ihn herum schritt, ihn umkreiste wie ein Hachtvogel auf Beutezug seine Kreise zog. Kurwat blieb plötzlich direkt vor ihm stehen.

      "Zeige mir einmal deine Hände, Marc Gerson." forderte er und sein Kopf nickte zum Takt seiner Worte. Marc strecke ihm gehorsam seine Hände entgegen, die der Mann in die seinen nahm, sie betrachtete und von einer Seite auf die andere wendete.

      "Ich sehe du hast dich schon in Verschiedenem versucht?", sagte Kurwat mehr feststellend als fragend. Er sah die frischen, zum Teil bereits verheilten Blessuren auf der zarten Haut des Jungen.

      "Ja. Das habe ich." antwortete Marc wahrheitsgetreu.

      "Aber es war nicht das Richtige für dich?"

      "Nein. Es war nicht das Richtige." In Marc stieg ein ungewisses Gefühl hoch. Würde er ihn nicht nehmen, weil er schon in anderen Berufen versagt hatte? Er konnte den Gesichtsausdruck seines Gegenübers nicht deuten. Kurwat machte eine lange Pause, in der er Marcs Hände immer noch begutachtete.

      "Mit diesen Händen, kann sein", er ließ die Hände wieder los und sah ihm direkt in die Augen, "dass du Karten schreiben lernen kannst. Doch brauchst du nicht nur die Hände dazu. Es muss auch der richtige Kopf auf deinen Schultern sitzen!" Er drückte bei den letzten Worten sanft mit dem Zeigefinger gegen die Stirn des Jungen. "Sage mir Marc Gerson, der du aus einer Familie kommst in der bisher jeder Mann ein hartes Handwerk erlernt hat, sitzt der Kopf auf deinen Schultern, der zu deiner Hände Beruf passt?"

      Marc war etwas verwirrt über die Ausdrucksweise doch er verstand was Kurwat meinte. In einigen Werken aus dem Wissensbau wurde diese Art von Ausdruck oft verwendet und so hatte er gelernt ihn zu deuten.

      "Ich weiß es nicht Meister, aber ich hoffe es, denn es ist mein Wunsch das Kartenschreiben zu erlernen." Tausend Gedanken kamen dem Jungen in den Kopf und er hoffte alles richtig zu machen. Schließlich erlöste Kurwat seinen Bittsteller.

      "Gut. Dann komme morgen vor dem Hochstand der ersten Sonne mit deinem Vater wieder her. Wir werden reden, über das was aus dir werden wird." Er setzte sich wieder hinter sein Pult und arbeitete weiter, ohne noch einmal auf ihn zu achten. Marc drehte sich um und ging aus dem Wissensbau. Wenn er vorhin gedacht hatte, das erste Vorsprechen mit einem Lernmeister wäre schwierig, wie viel schwerer würde das Gespräch erst mit seinem Vater sein wenn er gestand, dass er kein hartes Handwerk erlernen wollte?

      Es stimmte was Kurwat gesagt hatte. Aus seiner Familie waren ausschließlich hart arbeitende Handwerker hervorgegangen. Der einzige Beruf der nicht ganz so hart war und von seiner Sippe allerdings nur ein einziges Mal vertreten wurde, war der des Baumwaldpflegers.

      Mögen die Himmel mir beistehen bei meiner Rede mit meinem Vater dachte er als er den Heimweg antrat.

      Marcs Vater war kein besonders strenger Mann jedoch achtete er sehr auf Familientradition und duldete so gut wie keine Widerrede, wenn es um wichtige und schwerwiegende Entscheidungen ging. Die Berufswahl seines Sohnes stellte so eine schwerwiegende Entscheidung eindeutig dar. Die Zeit der Wahl für Marc war schon angebrochen und Gerson hatte verzweifelt versucht seinen Sohn in die Künste verschiedener Handwerke einzuführen. Bisher schien es nicht so, als wäre der Junge für irgendeinen Beruf geeignet. Ihm fehlte einfach das Talent und Marcs Vater war etwas mehr angespannt als sonst, wenn er nach Hause kam. Er machte sich Sorgen um die Zukunft seines Sohnes.

      Deshalb beschloss Marc auf einen günstigen Augenblick zu warten. Bis sich sein Vater nach seinem schweren Arbeitstag entspannt hätte und seine Laune, die in den letzten Wochen grundsätzlich schlecht zu sein schien, sich etwas besser wäre. Er ließ das Familienoberhaupt nicht eine Sekunde aus den Augen, um auch ja den richtigen Moment abzupassen, in dem er mit seiner Bitte vor ihn treten konnte. Doch dieser Moment kam nicht. Nicht als sein Vater gegessen hatte, nicht als er sich auf seinen großen Sessel setzte, um zu lesen und auch nicht, als er mit dem Werk seines Interesses in der Hand und der großglasigen Brille, die immer noch auf seiner Nase saß, eingeschlafen war.

      Innerlich aufgewühlt von seinem Vorhaben, setzte sich Marc auf die Stufen vor der Wohnburg und Aura folgte ihm. Seine Schwester stieß ihn mit dem Ellenbogen leicht in die Seite, als sie neben ihm Platz genommen hatte.

      "Hey, was ist los mit dir?", fragte sie besorgt.

      "Ich war heute im Wissensbau." Marcs Gesicht spiegelte seinen unglücklichen Zustand wider.

      "Und?"

      "Ich war bei Kurwat."

      "UND?" Auras Stimme wurde energisch.

      "Wir haben uns unterhalten."

      "Meine Güte! Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!", zischte sie ihn ungehalten an. Sie mochte die verstockte Art nicht, die er an den Tag legte, wenn etwas im Ungewissen lag.

      "Er will, dass ich mit Vater morgen noch vor dem Hochstand der ersten Sonne zu ihm gehe." Fragend sah Aura ihn an. "Um zu besprechen was aus mir wird." setzte Marc nach.

      "Ja aber das ist doch großartig!", freute sie sich. "Das heißt ja wohl, dass Kurwat dich als Lerner nehmen würde oder nicht?"

      "Ja, das heißt es wohl." Marc ließ den Kopf auf seine Hände sinken die er über die Knie gelegt hatte. "Nur kann ich mir auch denken was Vater von diesem Beruf halten wird."

      "Ich glaube nicht, dass er etwas dagegen hat. Sieh mal, du hast dich bei den anderen Berufen so tollpatschig angestellt, die hätten dich nicht einmal behalten, wenn du sie dafür bezahlt hättest." zog Aura ihn auf.

      "Was soll das denn jetzt wieder heißen? Glaubst du ich bin dumm?" Marc, der ein bisschen gekränkt war, weil seine Schwester so mit ihm redete, sah sie herausfordernd an. Wenn sie mit dieser Aussage einen Streit heraufbeschwören wollte, dann könnte sie ihn haben.

      "Nein. Natürlich