"Vielleicht" ist nicht genug. Helene Hammerer

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Название "Vielleicht" ist nicht genug
Автор произведения Helene Hammerer
Жанр Языкознание
Серия Romane aus dem Bregenzerwald
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738042276



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die für den Transport zerlegt worden war. Hier im Dorf konnten die Kinder allein zu Freunden gehen und mussten nicht hingebracht und abgeholt werden, wie in der Stadt.

      Kurz vor zwölf traf Meinrad, der Älteste der drei Geschwister, mit seiner Frau Andrea und ihren drei Kindern ein. Herzlich umarmte Andrea die Schwägerin und hieß sie willkommen. Auch Imelda freute sich, sie zu sehen. Die lebenslustige Andrea war für sie wie eine ältere Schwester gewesen, war mit ihr einkaufen gegangen und hatte sich immer auf ihre Seite gestellt. Gemeinsam gingen sie zum Auto, um Andreas Jüngste, die drei Monate alte Tanja, zu holen, die friedlich schlief. Kurz darauf fuhr Gregor mit seiner Familie vor. Er war rothaarig, wie Imelda, und der Spaßvogel der Familie. Ständig hatte er irgendeinen Unsinn ausgeheckt und seine Schwester gehänselt. Auch heute fing er gleich wieder an: „Mensch, Melli, du Bohnenstange! Haben sie dir in Salzburg nichts zu essen gegeben? Du siehst ja aus wie der Suppenkasper am fünften Tag.“ „Du siehst auch nicht so aus, als ob du jeden Tag Gesottenes und Gebratenes bekommst“, gab Imelda zurück. Gregor lachte dröhnend und klopfte auf seinen nicht vorhandenen Bauch: „Als Familienvater muss man eben zuerst auf Frau und Kind schauen.“ „Willst du damit sagen, dass wir dir alles wegessen?“, bemerkte seine Frau Karin spitz. „Nein, nein“, meinte Imelda beschwichtigend, „er sucht nur eine Ausrede.“ Zum Glück rief Balbina in diesem Moment zum Essen und beendete die Debatte. Nach dem Essen spielten die Männer mit den größeren Buben Karten, das Säle und die kleineren Kinder „Mensch ärgere dich nicht“. Karin machte mit ihrem Jüngsten ein Mittagsschläfchen. Imelda und Andrea nützten die Zeit, um mit Tanja im Kinderwagen spazieren zu gehen und ungestört reden zu können. „Und, wie geht es dir wirklich?“, fing Andrea an, sobald sie außer Hörweite waren. „Es war schrecklich“, bekannte Imelda. Die Polizei, die Zeitungsreporter, der ganze Skandal. Außerdem war es schwer, den ganzen Luxus aufgeben zu müssen, an den wir alle gewohnt waren. Zum Glück hat der Exekutor den Kindern ihre Spielsachen gelassen und mir meine Nähmaschinen. Elsbeth und Frau Hofstätter, unsere Nachbarin, haben mir Gott sei Dank sehr geholfen. Sie haben mir auch gute Aufträge verschafft, so konnte ich Wolfi auf der Privatschule lassen und Sophia in ihrem guten Kindergarten.“ „Ja, das hat Balbina mir erzählt“, nickte Andrea. „Du hast das alles gut hinbekommen. Die beiden wirken völlig unverändert.“ Imelda seufzte: „Der Schein trügt. Wolfi hatte schwere Asthmaanfälle und Sophia hat in den letzten Monaten keine Nacht durchgeschlafen. Aber seit wir hier sind, haben wir uns alle ein wenig entspannt.“ Andrea lächelte. „Ja, hier ist alles beim Alten. Balbina und Onkel Kaspar haben sich nicht verändert und Gregor auch nicht.“ Die beiden schauten sich an und kicherten. „Ich weiß nicht, wie er es mit Karin aushält“, meinte Andrea. „Ach, Gregor hat ein dickes Fell, der merkt kleine Spitzen gar nicht.“ „Mhm, da hast du wahrscheinlich recht.“ Einträchtig gingen die beiden weiter und kamen gerade rechtzeitig zum Kaffee nach Hause. Als die anderen weg waren, half Imelda ihrer Mutter noch, das Geschirr zu spülen, während Sophia am Küchentisch zeichnete.

      4.

      Am Montagmorgen stand Imelda um halb sechs Uhr auf und fing an, das Zimmer neben der Stube auszuräumen. Ursprünglich war dieses in den alten Bauernhäusern das „Gada“, das Schlafzimmer der Eltern, in dem wahrscheinlich oft die ganze Familie geschlafen hatte, da es vom Kachelofen in der Stube mitgeheizt wurde und somit auch im Winter warm war. Ihre Großmutter hatte dort geschlafen, als ihr das Treppensteigen immer schwerer gefallen. Jetzt wollte es Imelda als Schneiderwerkstatt nutzen. Onkel Kaspar machte ihr zwei lange Tische zum Zuschneiden und Nähen, während ihr Bruder Meinrad versprochen hatte, ihr zwei helle Lichtbänder zu organisieren. Als Elektriker musste er oft neue Lampen in Büros montieren und die alten wurden entsorgt. „Sie müssen nicht schön sein, nur hell“, hatte Imelda ihm eingeschärft. „O.k.“, hatte er gegrinst, „ich werde nach hellen, hässlichen Lampen Ausschau halten.“ Nach dem Tod des Vaters war das Geld in Imeldas Familie immer knapp gewesen und so hatten die Geschwister schon früh gelernt, zu improvisieren. Imelda, mit ihrem untrüglichen Gefühl für Formen und Farben, hatte sich der Mode und der Innendekoration zugewandt, ihre Brüder dem Handwerk. Noch als Lehrlinge hatten sie, unter Onkel Kaspars Aufsicht, zusammen mit ihren Cousins den ersten Stock in Balbinas Haus zu einer Ferienwohnung ausgebaut. Diese konnte sie anschließend vermieten, was dem Familienbudget sehr zugute kam. Sie würde das alte Haus auch auf diese Weise umgestalten, beschloss Imelda, sobald sie Zeit und ein bisschen übriges Geld hatte. Bis sieben Uhr arbeitete sie fleißig an ihrer Werkstatt. Dann weckte sie ihre Kinder, gab ihnen ihr Frühstück und machte sich mit Balbina und der kleinen Sophia auf zum Hotel Alpenrose, ihrem neuen Arbeitsplatz. Wolfgang lief zu Onkel Kaspar, denn dieser hatte versprochen, den Kindern eine Sandkiste zu bauen. Dabei wollten Wolfgang und Jodok natürlich helfen. Balbina und Sophia gingen zum Personaleingang, während Imelda das Foyer betrat, um nach Alexander Felder zu suchen. Die junge Frau an der Rezeption schickte sie Richtung Büro, wo Imelda an die Tür klopfte. Auf Alexanders „Herein“ betrat sie den gemütlichen Raum, eine Mischung aus Wohnzimmer und Büro. Ihr Chef stand auf und gab ihr lächelnd die Hand. „Tag, Imelda, schön, dass du wieder hier bist. Wie fühlst du dich als Heimkehrerin?“ „Es ist, als ob das Dorf geschrumpft wäre. Alles ist so klein und so nahe beisammen. Nur die Berge wirken eher noch höher.“ Alexander nickte und grinste. „Ja, mir ging es genauso, als ich aus Mailand zurückkam.“ Schlagartig wurde Imelda daran erinnert, warum sie als Teenager so für Alexander geschwärmt hatte. Er war wirklich ein schöner Mann und gab einem das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, sobald man mit ihm sprach. Imelda gratulierte ihm zu seiner bevorstehenden Heirat, worauf sein Lächeln noch strahlender wurde. „Danke Imelda. Felicia wollte gleich nach Schulschluss Carinas Mama werden und deshalb treffen wir uns heute um zehn Uhr auf dem Standesamt. Nur unsere Familien und wir beide. Leider kann Elsbeth nicht zweimal so weit fahren, aber die Zeremonie heute ist mehr eine Formsache.“ Imelda nickte und setzte sich auf den angebotenen Stuhl, damit sie alle Anstellungsformalitäten erledigen konnten. Als sie das Büro verließ, war Imelda sehr gespannt auf die „Superfrau“, die sich den begehrtesten Witwer im Umkreis geangelt hatte, und spürte einen Anflug von Abneigung gegen sie. Gleichzeitig schalt sie sich eine Närrin. In der Wäscherei räumte Balbina bereits eine der großen Waschmaschinen ein. Sophia saß vor einem Berg kleiner Handtücher und stapelte sie schön aufeinander. Imelda lächelte ihrer Tochter zu: „Gut machst du das, Mäuschen, genau das habe ich als kleines Mädchen auch gemacht.“ „Ich bin nicht klein“, wehrte sich Sophia, „ich bin die Gehilfin vom Säle.“ Um zehn Uhr machten sie eine kleine Pause und um halb eins gingen sie zum Mittagessen. Therese, die Seniorchefin, war für ihre soziale Einstellung im ganzen Dorf beliebt, und es war klar, dass auch Imeldas Kinder mit dem Personal essen durften, genauso wie vor vielen Jahren Balbinas Kinder.

      Nach dem Essen gingen Imelda und Sophia nach Hause, wo Onkel Kaspar und die Buben eben die letzte Fuhre Sand abluden, den sie vom Bachbett geholt hatten. Die Kleine wollte sofort Sandkuchen backen. Nachdem sie noch keine Sandspielsachen hatten, suchte Imelda in der Küche zwei alte Löffel, einige Puddingförmchen und einen kleinen emaillierten Topf zusammen. Glücklich begab sich Sophia in den Sandkasten. Onkel Kaspar ging nach Hause, um ein Nickerchen zu machen und die Buben wollten ins Schwimmbad gehen. Imelda hatte zuerst gezögert, Wolfi allein ins Schwimmbad gehen zu lassen, aber Onkel Kaspar hatte ihr versichert, dass sie völlig unbesorgt sein konnte. Walter, der Gemeindearbeiter, war an schönen Tagen auch Bademeister und er duldete keinen Unfug. Der Bub sei im Auenfelder Freibad so sicher wie zu Hause im Wohnzimmer, schmunzelte er. Imelda cremte ihren Sohn sorgfältig ein, packte ihm eine Jause ein und gab ihm Geld für den Eintritt und ein Eis. Im Herbst musste sie kein Schulgeld mehr bezahlen, da konnte sie den Kindern kleine Freuden leicht ermöglichen. Nachdem Jodok schon wartete, verkniff sich Imelda die Ermahnungen, die ihr auf der Zunge lagen.

      Wenig später traf Roswitha, eine Sängerin aus dem Kirchenchor ein, die für die bevorstehende Hochzeit neue Ärmel für ihre Tracht wollte. Sie brachte einen dunkelroten Brokatstoff und kleine, mit Stoff bezogene Knöpfe mit. Imelda bat die Frau in die Stube, um Maß zu nehmen und bot ihr dann eine Tasse Kaffee an. Sie wusste, dass Roswitha nicht nur der Näharbeiten wegen hier war. Alles, was sie sah und hörte, würde sie brühwarm weitererzählen.

      Später ging Imelda mit Sophia in den Dorfladen, wo sie auch Eimer, Schaufeln und Sandförmchen erstanden. Auf der Bank eröffnete sie ein Konto und zahlte ihre restlichen Ersparnisse