Rette sich, wer kann!. Ekkehard Wolf

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Название Rette sich, wer kann!
Автор произведения Ekkehard Wolf
Жанр Языкознание
Серия Europakrimi "Schattenmann"
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738080049



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einige Sekunden später. Das bisher so unschuldige Lämmchen konnte rein zufällig auch noch eine digitale Speicherkarte mit einigen Photos präsentieren. Das Medium wurde in eine Kamera eingesetzt. Ausgerechnet die schöne Luise hatte hier aushelfen können, nachdem die Esten bedauernd mit dem Kopf geschüttelt hatten. Auf einem der Photos war die junge Studentin selbst in dem Moment abgelichtet, als sie lachend vor einem Wohnhaus stand. Neben ihr ein Mann, der eindeutig die Züge Rogges trug. Gemacht worden waren die Aufnahmen angeblich von einer ihrer Kommilitoninnen, die ihr einen Streich spielen wollte, indem sie ihr ein Verhältnis zu einem deutlich älteren Mann nachwies.

      „Rein zufällig“ hatte sie die Aufnahme noch nicht gelöscht und ebenso zufällig hatte sie die Speicherkarte bei ihrer Festnahme in der Hosentasche gehabt. Die Kamera wurde herumgereicht und es bestand eigentlich kein Zweifel. Der Mann neben der blutjungen Studentin war Rogge. Die schöne Luise sah Rogge mit einem Blick an, der ihn irritierte. Der Blick hatte etwas Triumphierendes an sich, so als ob die Profilerin etwas wusste, was hier noch nicht zur Sprache gekommen war. Aber Rogge hatte keine Idee, was das sein konnte. Ihm blieb nicht viel Zeit zum Grübeln; denn noch viel enger konnte es nun ja wohl nicht mehr werden. Rogge zermarterte sein Gehirn. Wie war das alles möglich? Als ihm schließlich eine Idee kam, wo er sich an diesem Tag aufgehalten haben konnte, traf ihn diese Erinnerung wie eine Keule.

      Er hatte sich tagelang allein in seiner Wohnung aufgehalten, hatte sich von der vorausgegangenen Feier erholt, war nicht ans Telephon gegangen und hatte auch sonst keinerlei Kontakte wahrgenommen.

      Photos oder gar Zeugen dafür hatte er selbstverständlich nicht vorzuweisen.

      Ein noch weniger belastbares Alibi hätte er sich nicht ausdenken können.

      Er verwarf diese Idee und entschied sich spontan zu einer ganz anderen Geschichte.

      Er hatte sich nicht in den eigenen vier Wänden aufgehalten, sondern das verlängerte Wochenende für einen Kurzurlaub genutzt, um sich in Estland umzusehen. Was er dort konkret gesucht hatte, war ja nun klar – es ging ihm um ein wenig Abwechslung. Die hatte er auch gefunden. Sie saß jetzt ihm gegenüber und das nette kleine Photo von ihm und ihr deutete bestenfalls an, welch vergnüglicher Beschäftigung sie zuvor miteinander nachgegangen waren. Allein das war ja noch nicht verboten. Genau dieses Detail aber hatte die kleine Jule wohlweislich unterschlagen und Rogges Phantasie reichte aus, um sich auszumalen, wie sich die Schilderung der Einzelheiten ihres gemeinsamen amourösen Abenteuers hier und jetzt auf die Glaubwürdigkeit der jungen Dame auswirken würde. Spätestens dann, wenn er beiläufig erwähnen würde, was er sich das Vergnügen hatte kosten lassen, würde sie dastehen wie eine kleine Nutte, die sich aus Rache oder nennen wir es enttäuschter Liebe diese haltlosen Beschuldigungen ausgedacht hatte, um ihn zu kompromittieren und zu diskreditieren. Er würde einzuräumen haben, dass das nun ein wirklich blöder Zufall war, ausgerechnet mit dem Mädchen ins Bett gegangen zu sein, das hier nun beschuldigt wurde, terroristische Kurierpost verbreitet zu haben. Aber solche Zufalle gibt es bekanntlich und im nachhinein würde das seiner Geschichte sogar den Anstrich besonderer Glaubwürdigkeit verleihen.

      So, wie es aussah war er nicht so ganz zufällig an die junge Dame hier geraten und - auch das würde er mit süffisantem Unterton einflechten - im Bett hatte er das vollauf bestätigt bekommen. Auch wenn man es diesem kleinen Biest mit der Unschuldsmiene nicht auf den ersten Blick ansah: sie war eine Professionelle, die ihren Job als Reiseleiterin und Übersetzerin vermutlich nur als Sprungbrett nutzte, um Männer und vielleicht auch Frauen (?) ganz gezielt abzugreifen.

      Da sie sich nicht zu schade dafür war, das mit ihm für Geld zu tun, hatte sie es sicher auch mit anderen getrieben. Dass es sich bei der Mehrzahl ihrer Kunden um Deutsche handeln dürfte, ergab sich in naheliegender Weise aus ihrer Übersetzersprache. Als ihr einer ihrer Freier dann auch noch Geld dafür geboten hatte, die Papiere zu übersetzen und zu verteilen, da hatte sie sich diese Gelegenheit natürlich nicht entgehen lassen. Dass sie nicht damit gerechnet haben dürfte, deswegen hier einer solch hochnotpeinlichen Befragung unterzogen zu werden, das könne man ihr wohl uneingeschränkt abnehmen. Rogge räusperte sich und blickte betreten in die Runde.

      Kapitel 4

      „Tut mir leid Julchen,“ eröffnete der Beamte die 2. Runde, „ich hätte das gerne außen vor gelassen, aber so wie du die Sache dargestellt hast, geht das nun nicht mehr.“ Auf diese direkte Ansprache und den Übergang zum vertraulichen du hin blickte die Übersetzerin kurz auf, senkte dann aber sofort wieder den Blick.

      Rogge präsentierte seinem staunenden Publikum seine Geschichte und seine Rechnung ging auf.

      Seine männlichen Kollegen verfolgten den kleinen Vortrag mit wachem Interesse und die junge Frau wusste offenkundig nicht, wie ihr geschah.

      Sie schien innerlich zu schwanken zwischen Aufbegehren und schamhaftem in den Boden versinken und beschränkte sie sich schließlich darauf, seinen Ausführungen mit hochrotem Kopf wortlos zu folgen. Der wütende Blick, den sie ihm zwischenzeitlich zuwarf hätte ihn warnen müssen, doch Rogge überging diese Warnsignale und erkundigte sich abschließend in fast väterlichem Ton lediglich nach den Gründen ihrer Anschuldigungen.

      „Was hast du dir nur dabei gedacht?“

      In Gedanken war er inzwischen längst bei der Frage angelangt, woher um alles in der Welt die junge Frau dieses Photo hatte.

      Tatsächlich war er der Kleinen nach seiner Erinnerung noch nie zuvor begegnet. Und doch kam sie ihm so seltsam vertraut vor.

      Während Rogge sich bereits das Gehirn zermarterte, wer um alles in der Welt auf die verrückte Idee gekommen sein mochte, ausgerechnet ihm die Urheberschaft für die ominösen Texte in die Schuhe zu schieben, wurde es im Raum entgegen seiner Erwartung noch einmal spannend.

      „Ich bin eine Hure? Wie können Sie nur so etwas behaupten? Ich habe doch nur getan, was Sie gesagt haben. Warum machen Sie das jetzt mit mir?“

      Die Verzweiflung klang echt und wirkte überzeugend. Rogge musste sich eingestehen, dass die junge Dame da vor ihm das Hascherl zwar überzeugend darzustellen vermochte, aber es allem Anschein nach nicht war. Der Schwarze Peter lag jetzt plötzlich wieder bei ihm.

      Rogge lehnte sich zurück und dachte nach.

      Schlagartig wurde ihm klar, dass er sich wahrheitswidrig hatte dazu hinreißen lassen, der Geschichte der Kleinen insofern eine gewisse Glaubwürdigkeit verliehen zu haben, als er zugegeben hatte, nicht nur zum fraglichen Zeitpunkt im Land gewesen zu sein, sondern die Beschuldigte noch dazu zu kennen und das sogar sehr intim.

      Wie Rogge im gleichen Moment begriff, bedurfte es jetzt nur noch eines kleinen Kunstgriffs, um die Glaubwürdigkeit seiner Darstellung gründlich zu erschüttern.

      Wie der Polizist neidlos anerkennen musste, zögerte „das kleine Biest“ vor ihm nicht, diese Karte auszuspielen.

      „Wenn Sie mit mir geschlafen haben wollen, dann Sie wissen natürlich auch, dass ich ein großes Muttermal habe. Sagen Sie doch einfach, wo!“

      „Touché,“ musste sich Rogge eingestehen.

      Er nahm sich vor, dieses „kleine Miststück“ sehr gründlich durchleuchten zu lassen.

      Ihre Reaktion bewies ihm endgültig, dass er es hier nicht mit einem unbedarften Unschuldslamm zu tun hatte.

      Er musterte die junge Frau aufmerksam und war sich sicher, aus ihrem Blick, der erstmals seit Beginn der Vernehmung dem seinen ohne auszuweichen stand hielt, den Triumph ablesen zu können, den sie glaubte errungen zu haben.

      Der Oberrat entschloss sich zu einem neuerlichen Strategiewechsel.

      „Jetzt pass’ mal auf Mädchen,“ eröffnete er die nächste Partie und bemühte sich dabei um einen polizeitypisch energischen und zugleich herablassend anzüglichen Ton:

      „Ob und wenn ja wo Du an deinem sicherlich sehr hübschen Körper ein Muttermal versteckt hältst, das interessiert hier im Augenblick nun wirklich nicht. Damit kann sich ja gelegentlich mal die Sitte