Rette sich, wer kann!. Ekkehard Wolf

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Название Rette sich, wer kann!
Автор произведения Ekkehard Wolf
Жанр Языкознание
Серия Europakrimi "Schattenmann"
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738080049



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seltsam als gefährlich an. Bei insgesamt vier nahezu gleichzeitig verübten Anschlägen auf Hochleitungsmasten entlang der S-Bahn Strecke der S7, waren zwischen Icking und Wolfratshausen alte mechanische Taschenuhren als Auslösemechanismen verwendet worden. Wegen einer in allen Fällen gleichermaßen fehlerhaften Berechnung der für die Sprengung der Masten notwendigen Menge an Sprengstoff, hatte der angerichtete Schaden „mehr symbolischen Charakter“, wie der Oberrat erst kürzlich zur Verärgerung seiner Abteilungsleiterin im Verlauf einer Dienstbesprechung angemerkt hatte. Obwohl er durchaus einräumen musste, dass aufgrund der Auswahl der Masten im Erfolgsfall ein zwar zeitlich befristeter, zugleich aber wohl überregionaler Stromausfall zu verzeichnen gewesen wäre, der wiederum hätte zur Folge haben können, dass zahlreiche Haushalte und Betriebe vorübergehend ohne Strom dagestanden hätten und möglicherweise auch das in der Nähe befindliche Kernkraftwerk ein klitzekleines Kühlproblem hätte haben können. Hätte, hätte, hätte, hatte aber nicht. Dass die Berechnung fehlerhaft war, hatten die Experten auch darauf zurückgeführt, dass mit Tri-Trinal eine Mischung verwendet wurde, die gern zur Zeit des 1. Weltkrieges eingesetzt worden war. Rogge war daher geneigt, den gesamten Vorgang als eine der Enten einzustufen, zu deren Jagd die Polizei immer einmal wieder und zu seinem Leidwesen in letzter Zeit immer öfter eingeladen wurde. An wichtigtuerischen Verrückten, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, die Polizeiapparate dieser Welt in Atem zu halten, hat es in der Vergangenheit nicht gemangelt und mangelte es auch heute nicht. In diesem Fall fiel dem Beamten allerdings trotz der nicht eben kleinen Zahl an Jahren, die er als Erfahrung einzubringen in der Lage war, die Einschätzung schwer, ob es sich hier um Spinner oder eine ernstzunehmende Gefährdung handelte.

      Das fing damit an, dass die Botschaften nicht wie heutzutage üblich für Jedermann sichtbar im Internet veröffentlicht waren.

      Zudem waren die „abgefangenen Kuriermitteilungen“ so dilettantisch getarnt, dass sich dem erfahrenen Kriminaler fast ein bisschen der Eindruck aufdrängte, die Entdeckung der Post sei Teil des Attentatsplanes. Aber welcher Attentäter kann schon ein Interesse an der Aufdeckung seiner Tat haben, bevor diese ausgeführt ist? Außer, der Plan soll überhaupt nicht zur Ausführung gelangen oder dessen Aufdeckung ist für die Ausführung des Attentats erforderlich.

      Andererseits ließen die konkreten Vorbereitungen, die sich aus den abgefangenen Botschaften ablesen ließen, kaum einen anderen Schluss zu, als dass hier jemand am Werke ist, der ganz ernsthaft die Absicht hat, eine richtig üble Schandtat zu begehen oder besser begehen zu lassen. Genau diese Zielrichtung sorgte dafür, bei Rogge ein ausgesprochen ungutes Gefühl aufkommen zu lassen. Zumal auch die erkennbare Motivlage Anlass zur Sorge geben musste; denn da waren offenkundig Überzeugungstäter mit missionarischem Drang am Werke. Und auch die Werkzeuge erweckten nicht gerade den Eindruck harmloser Spinnerei, wenngleich auch nicht zu übersehen war, dass Der- oder Diejenige(n) – schon um seine neue Vorgesetzte zu ärgern hatte Rogge es sich angewöhnt, in diesen „geschlechtsneutralen“ Begrifflichkeiten zu formulieren – die hinter den Vorbereitungen standen, sich über weite Strecken Technologien bei der Durchführung ihrer Anschläge zu bedienen gedachten, die nicht unbedingt in die heutige Zeit zu passen schienen.

      „Ein wenig hinterwäldlerisch,“ wie es der mit der Analyse der ins Auge gefassten Sprengmittel beauftragte Experte beispielsweise ausgedrückt hatte, dessen handschriftliche Stellungnahme der Akte in vorausschauender Weise bereits beigefügt war.

      Folglich deutete dieses Detail für den Experten bereits wieder eher auf Dilettanten hin.

      Andererseits konnte auch hier nicht ausgeschlossen werden, dass die allseitige Verfügbarkeit gerade dieser hinterwäldlerischen Mittel die Durchführbarkeit der angedachten Attentate sehr erleichterte und damit auch schon wieder wahrscheinlich machte.

      Im gleichen Atemzug hatten sich ihm die Anschläge in Ägypten in Erinnerung gerufen. Bomben mit Zeitschaltuhren, die auch für Waschmaschinen verwendet werden, sind in Ägypten bereits mehrfach gezündet worden. Bei einer Serie von Anschlägen auf der Sinai-Halbinsel zwischen 2004 und 2006 kamen dadurch etwa 120 Menschen, überwiegend Touristen, ums Leben. Sogar diese Vorgehensweise erschien im Vergleich zu den hier vorgeschlagenen Methoden aber geradezu modern. „Das Ganze hat was kochbuchartiges,“ hatte es denn auch besagter Sprengstoffexperte intern ausgedrückt und damit die Ermittlungen zugleich auch mit einer gewissen Zwangsläufigkeit in eine politische Richtung balanciert, die eben über eine gewisse Affinität zu dem berühmt-berüchtigten „Kochbuch“ verfügt.

      Nicht dazu passte hingegen das, was die Verfasser/Innen dieser Botschaften bisher über die Auslösemechanismen geruht hatten bekannt werden zu lassen.

      Der oder die Verfasser regten an, mechanische Zündvorrichtungen zu verwenden, die Rogge nicht zufällig irgendwie an Wecker erinnerten, die nur eben irgendwie sehr viel komplizierter und zugleich aufgrund des quecksilbergesteuerten Auslösemechanismus auch wieder sehr viel heimtückischer waren.

      Wie der Oberrat amüsiert zur Kenntnis nahm, stammten diese Vorrichtungen mechanisch gesehen damit im Prinzip aus einer Zeit, in der die Kochbuchgeneration noch nicht einmal laufen gelernt haben konnte. Dazu kam, dass diese Gerätschaften aus eben diesem Grunde „eigentlich“, wie es besagter Experte auszudrücken pflegte, „auf regulärem Wege heutzutage überhaupt nicht mehr beschafft“ werden konnten.

      „Außer vielleicht in irgendwelchen fiesen Kellern von einigen ewig Gestrigen, die das Zeug dann aber im Prinzip seit Jahrzehnten für eben diesen Zweck gebunkert haben müssten,“ kommentierte der Kriminaloberrat diese Einschätzung mit dem ihm eigenen Sarkasmus.

      Er verstand nicht viel von diesen Dingen und nahm sich deshalb vor, das Thema bei nächster Gelegenheit einmal dem alten Uhrmacher vorzulegen, der sich solche altertümliche Sprengfallen zu seinem Hobby auserkoren hatte.

      Der heutige Abend würde hierfür eine gute Gelegenheit bieten, da er nach Dienstschluss ohnehin verabredet hatte ihn aufzusuchen, um seine eigene Uhr von der Reparatur zu holen.

      Vorläufig musste sich Rogge damit begnügen zu erkennen, dass er es mit einem rundherum reichlich verworrenen Lagebild zu tu hatte.

      Er war überzeugt davon, unter dem Strich jedenfalls gegenwärtig nicht davon ausgehen zu müssen, es hier mit einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr zu tun zu haben. Andernfalls, dessen war sich Rogge gewiss, wäre der Fall mit Sicherheit nicht bei ihm gelandet.

      Hoch genug, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, man habe dem Vorgang nicht die gebührende Aufmerksamkeit zuteil werden lassen, nicht hoch genug, um damit wichtige Kapazitäten zu einer Zeit zu binden, in der es sicher Wichtigeres zu tun gab, als sich mit solchen Fisemantenten aufzuhalten.

      So ähnlich dürfte „Madame“ die Entscheidung gegenüber ihren Vorgesetzten begründet haben, diesen Fall gerade ihm zu übertragen. Dessen war sich Rogge sicher und entschloss sich daher dazu, seine lieben Mitarbeiter/innen zunächst einmal mit der Suche nach den üblichen Vergleichsfällen zu beschäftigen.

      Dazu beraumte er für den nächsten Dienstag kurzfristig eine Dienstbesprechung an, zu der er auch gleich die junge Profilerin bat, die vor wenigen Wochen ihren Dienst im Amt aufgenommen hatte.

      „Dienstag ist Dienstag,“ hatte er zur Begründung angemerkt und sich als Einziger köstlich über dieses Wortspiel amüsiert.

      Inzwischen war die Zeit des Dienstschlusses gefährlich nahe gerückt und Rogge entschloss sich dazu, diesen erst gar nicht mehr abzuwarten. Jedenfalls nicht im Büro.

      Er packte seine Siebensachen, zu denen inzwischen auch ein Notebook gehörte, das für sich in Anspruch nahm ‚tough’ zu sein und das er sich in Wirklichkeit allein aus sentimentaler Verklärung angeschafft hatte. Immerhin standen diese kleinen Computer in dem Ruf besonders zuverlässig und mit robuster Technik ausgestattet zu sein. Ein Zuverlässigkeitsmerkmal, das Rogge allemal dem ansonsten bei seinen Kolleginnen und Kollegen sehr verbreiteten Streben vorzuziehen war, den jeweils neuesten Stand der Technik in den Händen zu haben. Natürlich hatte er Probleme damit, sich selbst eine derartige Gefühlsduselei einzugestehen. Das hinderte ihn aber nicht daran, selbige auszuleben.

      Völlig gleichgültig war ihm hingegen der Umstand, dass die Verwendung eines solchen privaten Computers