KRÄCHTS. Ekkehard Wolf

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Название KRÄCHTS
Автор произведения Ekkehard Wolf
Жанр Языкознание
Серия Krähe
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847613701



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das nicht weiter vertiefen, aber Sie merken vielleicht schon, dass mein Retter das mit der Rechtschreibung manchmal nicht so genau nimmt. Also, auch das mit der Rechtschreibung. Aber bitte verstehen Sie mich richtig, ich habe keineswegs die Absicht, meinem Retter hier irgendwie am Zeug zu flicken. Ohne meinen Retter würde es mich wahrscheinlich gar nicht mehr geben und Sie müssten sich nicht ständig mit der Frage herumquälen, ob Sie nun weiter lesen sollen oder nicht. So ist das nun einmal mit Rettern. Wenn sie einem erst einmal das Leben gerettet haben, ist man ihnen zu lebenslangem Dank verpflichtet. Was bedeutet da schon die eine oder andere kleine Ungenauigkeit, die eine oder andere kleine Weglassung? Ich jedenfalls habe mich entschlossen, meinem Retter wegen solcher Kleinigkeiten nicht ständig am Zeug zu flicken. Wenn Sie also bei dem, was ich Ihnen hier zu berichten habe, die eine oder andere Ungenauigkeit entdecken sollten, dann nehmen Sie das so, wie es gemeint ist. Mein Retter ist eben auch nur ein Mensch. Und Menschen irren nun einmal; gelegentlich sogar nicht nur einmal. Da muss so eine wie ich nicht ständig darauf herumhacken. Und Sie, Sie werden es ja ohnehin ganz von selber merken. Schließlich wissen Sie ja Bescheid.

      Sie merken schon, das wird jetzt alles sehr kompliziert und persönlich und vielleicht werden Sie sagen, etwas weniger Kuddelmuddel hätte auch genügt, aber ich ziehe es vor, Ihnen hier die Wahrheit zu erzählen, die ganze Wahrheit. Zugleich muss ich Sie warnen. Sie sind ja auch ein Mensch. Einiges, möglicherweise sogar vieles von dem, was Sie auf den nächsten Seiten erfahren werden, wird Ihnen also fremd vorkommen. Wenn Sie also Fremdes nicht so mögen sollten, geben Sie besser besonders acht. Sie laufen sonst Gefahr, vieles nicht zu verstehen. Sie verstehen schon, was ich meine, oder?

      Kapitel 2

      Ok, dann versuche ich es einmal ein wenig banal auszudrücken: Es macht natürlich schon einen kleinen Unterschied, ob sich ein bayerischer Ministerpräsident aus seiner Staatskanzlei hinausbewegt in den Hofgarten, um dort mit seinem Referenten den nächsten Chef der Staatskanzlei auszutüfteln, oder ob zum Beispiel der britische Premierminister mit seinem Pressesprecher vor die Tür geht, um zu klären, welcher kritische Journalist durch welche Enthüllung dazu gebracht werden kann, sich in einen bedingdungslosen Verfechter der aktuellen Desinformationskampagne der Regierung zu verwandeln. Damit wir uns jetzt nicht falsch verstehen, das mit dem bayerischen Ministerpräsidenten war natürlich genau nur so ein Beispiel wie das mit dem britischen Premierminister. Selbstverständlich könnten wir anstelle des Ministerpräsidenten auch jeden beliebigen Bürgermeister von Hintertupfingen oder einem anderen, üblicherweise nicht so wirklich wichtigen Entscheidungsträger eines beliebigen Dörfchens auflisten und anstelle des britischen Premiers den Präsidenten der USA oder die deutsche Bundeskanzlerin oder die vielleicht gerade doch nicht, weil die so was nicht macht, aber dann von mir aus auch den russischen Präsidenten, oder den ukrainischen? Sie merken es vielleicht bereits, die Personen sind austauschbar. Trotzdem gilt, wenn Sie einen Geheimdienst leiten, dann kommen Sie nicht darum herum, eine Prioritätenliste nach der vermuteten Wichtigkeit der zu belauschenden Informationsquellen aufzustellen. So verhält sich zum Beispiel auch die NSA, wenn sie das Telephon der deutschen Bundeskanzlerin oder des französischen oder der brasilianischen Präsidentin vorrangig gezielt und immer abhört, während sie von Leuten, wie meinem Retter nur die sogenannten Megadaten speichert und auswertet. Andererseits wissen wir ja alle, dass die Mister Wichtig dieser Welt ihrerseits zumeist das tun, was sie tun, weil sie von denen, die ihnen dienen sollen, so gebrieft werden, wie das für die Hinterleute der Briefer am besten zu sein scheint. So konnte man unbedarften Wichtigmännern, wie beispielsweise dem deutschen Verteidigungsminister Scharping seinerzeit die Hufeisentheorie unterjubeln, um zu erreichen, dass die kriegsunwilligen Deutschen sich eines Besseren besannen und gemeinsam mit ihren neuen Verbündeten Serbien angriffen, mit dem die Deutschen seit 1914 ohnehin noch ein Hühnchen zu rupfen bzw. eine Rechnung offen hatten, nicht aber deren neue Verbündete. Wie, Sie wissen nicht, wer oder was Scharping ist oder war? Tja, was soll ich sagen, Ruhm ist vergänglich. Aber sicher erinnern Sie sich an den peinlichen Auftritt des farbigen US Außenministers Powell vor der UNO, um den Krieg gegen den Irak zu rechtfertigen. Nein, auch das nicht? ? Dann ist Ihnen vermutlich auch nicht klar, wo genau dieses Serbien liegt? Und was das mit 1914 soll? Und überhaupt, mit Politik und diesem ganzen Quatsch haben Sie sowieso nicht so viel am Hut? Super, das macht gar nichts. Eher im Gegenteil, denn mir macht das meine Arbeit leichter, wenn Sie sich an nicht so viel erinnern und sich nicht für alles in der Welt so ganz genau interessieren. Sie werden dann nicht so leicht darauf kommen, wenn ich versuche Ihnen einen kleinen Bären aufzubinden – vielleicht sogar einen russischen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wenn Sie das jetzt auch schon wieder nicht verstanden haben sollten, versuche ich es einmal mit einer kleinen Glaubensfrage: Glauben Sie dem Präsidenten, sagen wir mal zum Beispiel der USA, wenn er sagt, dass er von all dem nichts gewusst hat? Sie finden, dass das nun eine reichlich plumpe Frage ist? Dann frage ich mal anders: Erinnern Sie sich zufällig daran, welcher USA Präsident genau das wiederholt behauptet hat? Nein, oder? Sehen Sie, und da nun könnte ich auf die Idee kommen, Ihnen zu erzählen: jeder! Natürlich werden Sie das nun auch wieder nicht glauben, oder? Eher nicht, oder? Oder vielleicht doch? Aber sicher sind Sie sich nicht! Woher auch? Woher sollen Sie auch wissen können, was so ein Präsident der USA so von sich gibt? Wieso, sollten Sie sich überhaupt dafür interessieren? Schließlich haben Sie doch wirklich genug mit sich selbst zu tun, oder nicht? Also ich denke Sie haben verstanden, wo das Problem liegt. Genau da biete ich alter Medienfuchs Ihnen dann die Orientierung, die Sie brauchen. Und deshalb versichere ich Ihnen bereits jetzt, dass Sie mir vertrauen können, voll und ganz. Das können Sie mir glauben! Und ich lüge nicht, NIEMALS! Deshalb passen Sie ab jetzt ruhig ganz genau auf. Nicht, dass es hinterher auch bei Ihnen wieder heißt: Davon habe ich wirklich nichts gewusst. Wissen Sie eigentlich noch, wo wir gerade stehen geblieben waren?

      Also, es geht darum, einen Geheimdienst zu organisieren und ich hatte gerade darauf hingewiesen, dass Sie, nachdem es Ihnen gelungen ist, den Informationsfluss zu organisieren und die Meldewege, dass Sie dann natürlich noch die Prioritäten festlegen müssen. Üblicherweise gehen Sie dabei so vor, dass Sie die Zusammenstellung einer Prioritätenlisten nach Themen favorisieren. Also, wenn Sie zum Beispiel der Ansicht sind, dass alles, was mit dem Thema Terrorismus verknüpft ist, für Sie eine höhere Priorität haben sollte, als alles, was mit dem Thema Kuhstall zu tun hat, so werden Sie gut beraten sein, Ihre Informationsbeschaffer dazu zu bringen, Ihnen vorrangig alle Informationen zukommen zu lassen, in denen das Thema Terrorismus eine Rolle spielt und nicht etwa die Informationen, bei denen es vorrangig um Kuhställe geht. Klingt soweit eigentlich ganz einfach, oder? Ja, eigentlich, denn irgendein Schlaukopf könnte jetzt natürlich auf die hinterhältige Idee kommen, Sie zu verwirren und immer den Kuhstall zu bemühen, wenn er oder sie ein terroristisches Attentat durchführen will. Das könnte zum Beispiel so aussehen: Kuhhirte A an Kuhhirte B: „Memo; nicht vergessen, das Licht im Kuhstall muss um 20 Uhr MEZ ausgeschaltet werden“. Wirkt das auf Sie etwa irgendwie verdächtig? Sie verstehen das Problem, ja? Wenn sie sich nun auf die Priorität Terroranschlag statt Kuhstall festgelegt haben, fliegt womöglich das Kanzleramt pünktlich um 20 Uhr in die Luft. Danach können Sie dann aber reinen Gewissens sagen: Davon habe ich wirklich nichts gewusst! Um auch hier jedes Missverständnis auszuschließen, das Wort Kuhstall ist natürlich ebenso nur ein Beispiel. Genauso gut könnte ein möglicher Terrorist vom Schweinestall sprechen. Hauptsache nur eben nicht Terrorismus; denn was so ein richtiger Terrorist ist, der kann sich natürlich denken, dass es den Geheimdiensten nicht nur ihrer Majestät recht bald auffallen würde, wenn er über seine dunklen Netzkanäle verbreiten würde: „Terrorzelle Berlin Mitte aufgepasst: das Licht im Kanzleramt muss um 20 Uhr MEZ ausgeschaltet werden.“ Also wird er gut beraten sein, statt Kanzleramt zum Beispiel Kuhstall zu sagen. Für Sie als Geheimdienstboss ergibt sich aus dieser einfachen Grundregel konspirativer Arbeit im richtigen Leben ein ganzer Rattenschwanz von Problemen, die Sie gar nicht haben wollen. Sie können das ja einmal ausprobieren. Stellen Sie doch jetzt einfach einmal eine Liste mit Schlüsselbegriffen zusammen, die von den Kommunikationskontrollcomputern Ihres Dienstes verwendet werden sollen, um Anhaltspunkte für geplante Terroranschläge heraus zu filtern. Um Sie ein wenig zu motivieren: Wenn Sie damit fertig sind, haben Sie eine ziemlich genaue Antwort auf die Frage, warum es trotzdem immer wieder zu Anschlägen kommen kann.

      Damit wären wir gleich beim nächsten Problem. Im Grunde müssten Sie bei