Die Schattensurfer. Hubert Wiest

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Название Die Schattensurfer
Автор произведения Hubert Wiest
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783847667841



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der Kläranlage schien vom Computer eingesaugt zu werden und verschwand darin.

      „Ich muss noch mit Nacho hinausgehen“, sagte Pablo. „Kommst du mit, Luan?“

      „Ja, gerne.“ Luan freute sich. Sein Kopf rauchte noch vom Nachdenken.

      Im Hof lagen verrostete Metallteile herum. Alte Motoren lehnten an einem Tank. Die Scherben zersplitterter Bildschirme glitzerten wie Eiskristalle im Mondlicht. Es sah aus wie auf einem Schrottplatz, fand Luan. Begeistert schleppte Nacho Dosen, Flaschen und Drähte an.

      „Lass das“, schimpfte Pablo. Doch das verstand Nacho nur als Aufforderung, weitere Schätze zu suchen.

      Die Ausfahrt mündete in eine kleine Straße. Häuserruinen lagen links und rechts. Der Teerbelag auf der Straße war wie von Pockennarben durchbrochen. Kein Gehsteig. Luan musste aufpassen, nicht zu stolpern. Ob hier noch jemand wohnte?

      Plötzlich sprang Nacho zur Seite. Luan zuckte ängstlich. Es war nur eine Ratte, die quiekend über die Straße flitzte.

      „Deine Idee mit der Minikläranlage war ziemlich cool“, sagte Pablo.

      „Danke“, freute sich Luan und fand es den richtigen Moment, um zu fragen: „Meinst du wirklich, dass Kalawesi uns belogen hat?“

      Pablo zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht?“

      „Wie lange lebt ihr schon in der Schattenstadt?“

      „Ein Jahr, Nele ein wenig kürzer und die Zwillinge waren schon hier, als ich gekommen bin.“

      „Kalawesi hat nicht versprochen, dass wir den roten Kristall sofort bekommen. Weißt du, was das heißt? Ein roter Kristall! Wenn du ein richtiges Genie bist und deine ganze Kraft für RUHL einsetzt, kannst du den roten Kristall vielleicht mit 25 bekommen. Aber niemals früher. Viele Menschen erreichen ihr ganzes Leben lang keinen roten Kristall“, redete sich Luan in Fahrt.

      „Möchtest du noch zehn Jahre in der Schattenstadt leben? Mir dauert das zu lange.“

      „Hauptsache, ich darf überhaupt wieder zurück. Wann ist mir egal. Bei den Häppy Kidz würde ich gar keinen Kristall bekommen.“

      Pablo hob einen Stock von der Straße auf und warf ihn. Nacho raste hinterher. Luan fühlte sich so frei wie noch nie in seinem Leben.

      10 ALLES GEHEIM

      Seit einigen Wochen schon hatte Sansibar nun Kristallunterricht bei Doktor Tornham.

      Die ganze Klasse fieberte auf Montagmorgen hin. Alle liebten den Unterricht von Doktor Tornham. Nur Sansibar hatte das Gefühl, dass Tornham sie überhaupt nicht mochte. Dabei gab sie sich immer solche Mühe, bereitete sich gut auf den Unterricht vor und meldete sich, wann immer sie etwas wusste. In der letzten Stunde hatten sie gelernt, wie viele Punkte ein einzelner Gedanke brachte und wie viele Punkte man brauchte, damit sich die Farbe des Kristalls änderte.

      Für einen einfachen Gedanken konnte man bis zu 500 Punkte erzielen. Ein großer Gedanke oder eine echte Erfindung brachte 5000 Punkte oder mehr. Selbst für einen leeren Gedanken bekam man noch 10 Punkte, sozusagen im Schlaf. Ein automatisiertes Beurteilungssystem sorgte für die gerechte Zuteilung der Punkte.

      Ein zartes Gelb, hatte Doktor Tornham erklärt, stellt sich nach einer Million Punkte ein.

      Marella bestand felsenfest darauf, dass ihr Kristall bereits eine leichte Gelbfärbung zeigte. Sansibar konnte dieses Gerede nicht mehr ertragen. Natürlich war Marellas Kristall glasklar, durchsichtig wie Luft.

      An diesem Morgen rollte Doktor Tornham einen fahrbaren Tisch in den Unterricht. Darauf war ein grauer Computer montiert. Neugierig tuschelten die Kinder. Doch als Doktor Tornham ein einziges Mal auf den Zehen wippte, herrschte augenblicklich Ruhe in der Klasse.

      „Das ist ein Gedankenrecorder“, erklärte Doktor Tornham.

      „Ein was?“, fragte Moritz, ohne sich zu melden.

      „Ein Gedankenrecorder, damit zeige ich euch heute, wie einfach und effizient die Aufzeichnung von Gedanken funktioniert. So wie es später euer Protrektor für RUHL machen wird.“

      Doktor Tornham hielt ein breites Stirnband hoch. Über ein Lichtkabel war es mit dem Computer verbunden.

      „Dieses Stirnband überträgt die Gedanken an den Computer. Ein Übungsprotrektor ist eingebaut. Wir werden einen kleinen Test durchführen. Einer von euch darf das Stirnband aufsetzen und versuchen, all seine Gedanken zu notieren. Gleichzeitig wird der Übungsprotrektor die Gedanken aufzeichnen. Obwohl der Übungsprotrektor nicht auf euch eingestellt ist, arbeitet er einigermaßen genau. Wir werden die aufgezeichneten Gedanken vergleichen. Lasst euch von dem Ergebnis überraschen. Und das Beste dabei ist: Ihr erhaltet für diesen kleinen Test bereits 500 Punkte, die euch zur Kristallfeier gutgeschrieben werden. Na, wer möchte es als Erstes versuchen?“

      Fast alle Finger schnellten hoch. Sansibar hatte ein komisches Gefühl. Sie musste an ihre Mutter denken, und genau diesen Gedanken wollte sie nicht mit der Maschine teilen. Ansonsten alles. Aber nicht, wenn sie an ihre Mutter dachte. Sie hatte doch nur dieses eine Bild von Mama.

      „Moritz, du darfst anfangen“, sagte Doktor Tornham.

      Moritz strahlte. Er riss seinen Stuhl um, als er aufsprang und nach vorne sauste.

      Doktor Tornham lächelte nachsichtig. Er drückte Moritz das Stirnband auf den Kopf, brachte es in die richtige Position und startete den Computer.

      „Und was ist? Merkst du etwas?“, rief Hannah.

      Moritz schüttelte den Kopf.

      „Du musst deinen Kopf schon stillhalten“, mahnte Doktor Tornham. „Der Übungsprotrektor ist nicht an dich angepasst. Er muss genau auf der richtigen Position sitzen, sonst kann er die Gedanken nicht genau lesen.“ Doktor Tornham rückte das Stirnband ein paar Millimeter nach links.

      „Moritz, zur Kontrolle gibst du jetzt alle Gedanken mit der Tastatur in den Computer ein. Auf drei geht es los. Eins, zwei, drei!“

      Moritz schnappte sich die Tastatur und legte los. Die Tasten klapperten. Moritz tippte rasend schnell.

      Gespannt saß die Klasse da. Keiner sagte ein Wort. Niemand tuschelte.

      Sansibar versuchte, den Gedanken an ihre Mutter zu verscheuchen, aber je mehr sie sich bemühte, umso stärker drängte sich das Bild mit dem orangefarbenen T-Shirt in den Vordergrund. Es wollte einfach nicht verschwinden.

      Nach fünf Minuten unterbrach Doktor Tornham die tastenklappernde Stille: „Ich denke, das reicht für unseren kleinen Test.“

      Moritz streifte das Stirnband ab und schüttelte die Finger aus.

      „Kinder, lasst uns nun das Ergebnis ansehen. Was denkst du, Moritz, wie viele deiner Gedanken hast du aufgeschrieben?“

      „Na alle. Ich habe alle Gedanken aufgeschrieben. Keiner ist mir durchgerutscht“, sagte Moritz. „Ich kann schnell genug tippen.“

      „Bist du dir sicher?“

      „Klar, ganz sicher.“ Moritz nickte. „Ich weiß doch, was ich denke.“

      Doktor Tornham drückte den Ergebnisschalter. Ein kleines Hologramm leuchtete über dem Computer und zeigte: „45%. Gratulation, Moritz, du hast es geschafft, fast die Hälfte deiner Gedanken aufzuschreiben.“

      „Das kann nicht sein. Ich habe alle Gedanken notiert“, beschwerte sich Moritz. „Welche Gedanken soll ich denn vergessen haben?“

      Doktor Tornham ging zu Moritz und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Die Hälfte, das ist ein sehr guter Wert. Nicht viele schaffen das auf Anhieb. Was du vergessen hast, kann ich dir leider nicht sagen. Die Gedanken werden verschlüsselt. Das dient zu deinem eigenen Schutz. Nur du kannst sie abrufen, niemand sonst. Möchtest du sie sehen?“ Doktor Tornham reichte Moritz eine Bildschirmbrille. Hier, damit kannst du dir deine Gedanken alleine ansehen.“

      Das Hologramm erlosch,