Epigenetik in der hausärztlichen Praxis. Joachim Strienz

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Название Epigenetik in der hausärztlichen Praxis
Автор произведения Joachim Strienz
Жанр Медицина
Серия
Издательство Медицина
Год выпуска 0
isbn 9783754123140



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mit mehreren Untersuchungszeitpunkten und Probenentnahmen für molekulare Untersuchungen. Deshalb sind die genauen epigenetischen Mechanismen einschließlich der genetischen Loci, an denen die epigenetischen Veränderungen auftreten, noch wenig bekannt.

      Im Tierversuch konnte nachgewiesen werden, dass eine Halbierung der Eiweißzufuhr während der Schwangerschaft zu einer Insulinresistenz der Nachkommen führt. Die Bauchspeicheldrüse wies Defekte auf und es bestand zusätzlich ein Arterieller Hypertonus. Die Nachkommen von Tieren mit diesen Krankheitserscheinungen, also die dritte Generation, die also nie mit einem Nährstoffmangel in Berührung gekommen war, zeigten dann aber die gleichen Krankheitserscheinungen, teilweise in noch stärkerer Ausprägung als bei der zweiten Generation.

      Das Besondere ist, dass die epigenetischen Veränderungen, die durch Nährstoffmanipulation während der Schwangerschaft experimentell verursacht werden, nur bei den Nachkommen auftraten und nicht bei den ursprünglich betroffenen Muttertieren. Sie können nämlich nur beim Embryo, nicht aber in der Placenta der Mütter nachgewiesen werden.

      Die epigenetischen Veränderungen haben auch Einfluss auf die Mitochondrienfunktion in den Zellen der Nachkommen und führt zu vermehrtem oxydativem Stress mit vermehrter Bildung von freien Radikalen. Dadurch wird die ATP-Produktion in der Zelle eingeschränkt. Die besonders stark betroffenen Organe sind Bauchspeicheldrüse, Leber und Muskeln. Nachweisbar waren DNA-Methylierungen und Histon-Acetylierungen bestimmter Gene. Die tierexperimentell nachgewiesenen Veränderungen sind auch auf den Menschen übertragbar.

      Aber auch die Väter spielen eine Rolle!

      Durch Mangelernährung erzeugte epigenetische Veränderungen können aber auch über das Sperma vererbt werden. Sie führen ebenfalls zu Adipositas und Diabetes mellitus.

      Unser Lebensstil hat Einfluss auf die Eigenetik. Körperliche Aktivität und Ernährung spielen eine wichtige Rolle. Sie können Übergewicht, Insulinresistenz, hohen Blutdruck und Fettstoffwechselstörungen entstehen lassen. Allerdings weist das Epigenom auch eine gewisse Flexibilität auf. Es verändert sich dann im Laufe des Lebens wieder, wenn sich die Bedingungen wieder ändern. Etwa bei Verhaltensänderungen wie vermehrtem Sport oder kalorienreduziertem Essen.

      Eine bestimmte Gruppe neuentwickelter Medikamente gegen Diabetes mellitus, die GLP-1-Rezeptor-Agonisten, machen die Histon-Modifizierung an einem bestimmten Gen in der Bauchspeicheldrüse wieder rückgängig, so dass dieses Gen wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt wird. Dies sind erste Ansätze für weitere Therapiemöglichkeiten.

      Neurologie und Psychiatrie

      Die epigenetische Kontrolle der Genexpression ist außerordentlich wichtig für den Aufbau unseres Nervensystems. Störungen im Epigenom können zu Erkrankungen des zentralen Nervensystems führen.

      Ein gutes Beispiel ist der Morbus Parkinson. Es handelt sich um eine neurodegenerative Erkrankung. Bei dieser Krankheit ist ebenfalls die DNA-Methylierung eines Gens verringert. Dadurch kommt es zur Bildung eines Eiweißstoffes, der sich in bestimmten Nervenzellen ablagert.

      Auch bei der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) ist die DNA-Methylierung verändert. In diesem Fall liegt eine Hypermethylierung vor. Diese Hypermethylierung korreliert mit dem Ausmaß der ALS-Erkrankung.

      Auch bei der Multiplen Sklerose (MS) finden sich epigenetische Veränderungen. Es handelt sich um eine chronisch entzündliche Erkrankung, die ebenfalls zur Degeneration des zentralen Nervensystems führt. Hier liegt eine Hypomethylierung vor.

      DNA-Methylierung und Histon-Modifikation sind für die Ausbildung der Gedächtnisfunktion wichtig. Deshalb sind mit großer Wahrscheinlichkeit auch epigenetische Veränderungen an der Entstehung des Morbus Alzheimers beteiligt. Erste Untersuchungsergebnisse zeigen auch in diese Richtung. Dies wird in einem späteren Kapitel weiter erörtert werden.

      Auch bei Suchterkrankungen wurden überraschende Erkenntnisse gewonnen. Auch hier gibt es Hinweise für epigenetische Mechanismen hinsichtlich der Suchtanfälligkeit und der Ausprägung der Symptome. Nikotin- und Alkoholmissbrauch führen zu Veränderungen der globalen DNA-Methylierung. Diese Veränderungen haben sich dann nach einer Entzugsbehandlung wieder vollständig normalisiert. Auch bei der Spielsucht wurde die DNA-Methylierung eines Dopamin-Rezeptor-Gens nachgewiesen. Nach einer Abstinenz waren die Verhältnisse wieder normal.

      Krebserkrankungen

      Viele Krebserkrankungen gehen mit genetischen Veränderungen einher. Diese Mutationen reichen aber für die Erklärung der Erkrankung noch nicht aus. Es hat sich aber inzwischen gezeigt, dass auch epigenetische Veränderungen, die auch vererbt werden können, häufig an der Entstehung von Tumorerkrankungen beteiligt sind. Insbesondere Gene, die für die Unterdrückung von Tumoren verantwortlich sind, werden durch epigenetische Mechanismen ausgeschaltet. Diese Veränderungen konnten insbesondere bei Leukämien beobachtet werden. Da epigenetische Veränderungen prinzipiell reversibel sind, könnte mit entsprechenden Medikamenten ein therapeutischer Ansatz existieren.

      Herzerkrankungen

      Kardiomyopathien sind Herzerkrankungen, die durch den Herzmuskel selbst entstehen und nicht durch andere Erkrankungen wie Gefäßerkrankungen oder hohen Blutdruck. Sie führen schließlich zu einer Herzschwäche, Herzinsuffizienz, genannt. Neben Genmutationen scheinen auch epigenetische Veränderungen an der Erkrankung beteiligt zu sein. Dabei konnten auch DNA-Methylierungen nachgewiesen werden. Diese Entdeckung könnte dazu führen, dass auch hier neue Medikamente zur Behandlung dieser Erkrankung entwickelt werden können.

      Wichtiges für die hausärztliche Praxis:

      Die Epigenetik ist inzwischen in der Lage, die Entstehung von verschiedenen Krankheiten zu erklären. Dadurch können neue Therapien entwickelt werden. Auf diese Weise wird auch der Patient später davon profitieren.

      5. Der Methylierungs-Prozess.

      © Lupo_pixelio.de

      Wie wir schon gesehen haben, erhielt die Epigenetik eine neue Bedeutung, nachdem das Humangenomprojekt abgeschlossen war, aber trotzdem noch viele Fragen unbeantwortet geblieben waren. Epigenetische Mechanismen beeinflussen also die Aktivität von Genen. Dies ist vor allem dann ganz besonders wichtig, wenn sich unsere Zellen an eine veränderte Umwelt anpassen müssen.

      Eine gut erforschte Möglichkeit der Anpassung an eine neue Umwelt ist die DNA-Methylierung. Dazu werden kleine Moleküle, nämlich Methylgruppen, das ist -CH3, an eine bestimmte Base der DNA, nämlich Cytosin (C), angehängt. Das geschieht allerdings nur an ganz bestimmten Cytosinen. Am häufigsten werden die Cytosine methyliert auf die in der Gensequenz die Base Guanin (G) folgt.

      Diese angehängten Methylgruppen wirken wie Vorhängeschlösser. Die Methylgruppen verhindern damit die Bildung von Proteinen, weil jetzt die RNA nicht mehr ablesen (kodieren) kann. Auf diese Weise werden also Gene inaktiviert. Die Übertragung der Methylgruppe erfolgt durch bestimmte Enzyme, den Methyl-Transferasen. Methyl-Cytosin ist leider sehr anfällig, dass die vorhandene Aminogruppe danach verloren geht. Dadurch entsteht dann Thymin, also eine normale Base, die aber nun an der falschen Stelle steht. Dadurch kommt aber der Reparaturapparat in Schwierigkeiten, weil er nicht erkennen kann, ob die Base echt und die gegenüberliegende Base, das ist dann Guanin, falsch ist. So entstehen dann Mutationen. Es gibt auch Enzyme, welche die Methylgruppe am Cytosin wieder entfernen können.

      Woher bekommen wir denn nun die Methylgruppe?

      Der wichtigste Methylgruppen-Spender des Menschen ist SAM. SAM ist die Abkürzung für S-Adenosyl-Methionin. Es kommt aus dem Methionin-Zyklus. SAM bekommt die Methylgruppe von Methylcobalamin, dem natürlichen Vitamin B12, das die Methylgruppe davor vom Folat bekommen hat. Das Zwischenprodukt ist dann Methionin.

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