Codename Travertin. T.D. Amrein

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Название Codename Travertin
Автор произведения T.D. Amrein
Жанр Языкознание
Серия Krügers Fälle
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742726070



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wie das restliche Zimmer.

      Erledigt. Ohne Aufsehen, wie versprochen. Der Auftraggeber würde begeistert sein.

      Der Schütze spulte seine Routine ab. Das Ziel hatte er klar erkannt, auch wenn er ihn nur im Profil gesehen hatte. Die Haarfarbe und der markante Schnäuzer passten. Zudem stimmten Zeit und Ort. Insgesamt absolut akzeptabel.

      Jetzt, nach dem Schuss, ließ sich das Opfer nicht mehr erkennen. Die 357er Munition richtete beim Austritt in einem Gesicht, großflächigen Schaden an.

      Etwas zu hinterlassen oder mitzunehmen war nicht bestellt worden.

      Ein Auftrag, den ein Profi wie er mit leichter Hand erledigte. Dabei half ihm die zunehmende Erfahrung. Wenn er daran dachte, wie nervös er bei seinen ersten Einsätzen gearbeitet hatte …

      Inzwischen dürfte er zu einem der Besten in Europa geworden sein. Sobald sich das noch etwas weiter herumsprach, konnte der große, finale Auftrag kommen. Derjenige, der ihm einen ruhigen Lebensabend ermöglichen würde.

      Danach brauchte er sich nur noch mit Dingen zu beschäftigen, die ihn wirklich interessierten. Die absolute Sorgfalt der letzten Jahre würde sich dann bezahlt machen. Das Leben gestaltete sich so einfach, wenn man zur Elite zählte.

      Leise zog er die Tür, die er natürlich zuvor mit dem „Bitte nicht stören“ Schild versehen hatte, von außen zu. Aus reinem Eigennutz. Der Tote brauchte keine Ruhe mehr. Jedoch er, einen kleinen Vorsprung.

      Er würde diese Gegend in der näheren Zukunft meiden. Wie immer.

      ***

      Armin Schuppers lief leise fluchend durch den Nieselregen. Irre Hektik heute: Das Wetter, die im Geldautomaten vergessene Karte und der alte Jugendfreund, der ihn einfach überfallen hatte, ohne vorher zu fragen.

      Die Karte war weg. Eigentlich völlig klar. Trotzdem hatte Armin sich vergewissern wollen, ob sie nicht doch von einem Gutmenschen irgendwo deutlich sichtbar hingelegt worden war.

      Eine neue Karte zu bekommen stellte an sich kein Problem dar. Es sei denn, man lebte so wie Armin unter falscher Identität. Seinen richtigen Namen, Heinrich Lehmann, hatte er schon seit längerer Zeit nicht mehr gehört. Bis heute Nachmittag am Bahnhof.

      Ein Finger hatte sich schmerzhaft in seine Brust gebohrt. „Ach du Scheiße, du bist doch der Hein, oder nicht?“

      Abstreiten, völlig zwecklos. Sie hatten in der Schule jahrelang nebeneinandergesessen.

      Zum Glück lag der Bahnhof nicht in der Stadt, in der Armin lebte. Ein Seminar, das in Freiburg stattfand, hatte ihn hierher verschlagen.

      Ein gemeinsamer Saufabend. Dann würden sich ihre Wege wieder trennen. Deshalb der Gang zum Geldautomaten, der für Armin auch etwas Zeit brachte, um sich eine Strategie auszudenken. Das hatte Malte noch verstanden. Aber als Armin zum zweiten Mal aufbrach, reagierte Malte misstrauisch. „Du spielst mir doch was vor“, argwöhnte er.

      Armin bestritt das natürlich. Wenig überzeugend vermutlich. Und deshalb war Malte ziemlich angepisst im Hotel zurückgeblieben.

      Das Schild an seiner Zimmertür ließ Armin stutzen. Dann erinnerte er sich. Malte liebte solche Späße.

      Armin schaffte es nicht mehr bis ins Bad, um sich auszukotzen. Er hatte gedacht, schon einiges gesehen zu haben. Aber das hier, überstieg seine Vorstellungskraft bei weitem.

      ***

      Stunden hatte er gebraucht, um sich zu entscheiden. Abhauen, die Polizei rufen oder die Gelegenheit nutzen?

      Sein Kontaktmann hatte vor kurzem versucht, ihn zu warnen. „Ich soll mich vorsehen, ob ich nach der Übergabe verfolgt werde. Das machen die nur, wenn sie denken, dass du auch an die Gegenseite lieferst“, hatte er ihm zugeflüstert.

      Armin hielt das für berufsbedingten Verfolgungswahn. Er ein Doppelagent? So ein Quatsch!

      Maltes Ausweise ließ er verschwinden. Ab jetzt hieß der Tote Armin Schuppers. Zum Glück besaß Armin noch die Notfallidentität, die sie ihm schon zu Anfang gegeben hatten. Sein neuer Name lautete Frank Berger. Von Beruf natürlich auch Ingenieur.

      Waldtraut würde er ohnehin nicht weiter helfen können. Möglicherweise hatten die Schweine sie auch schon erledigt. Er versuchte, den Gedanken zu verdrängen.

      Ein ganz neues Leben beginnen. Alles, wirklich alles hinter sich lassen. Dass die beim Decknamen F. Berger sorgfältig „legendisiert“ hatten, konnte er voraussetzen. Dass ihre Fantasie nicht soweit reichen würde, dass er den Namen trotz allem, was passiert war, noch benutzen würde, ebenso.

      1. Kapitel

      Berlin, Mai 1998

      Karlheinz Huber, Beamter der BStU, also des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, betrachtete nachdenklich das unvollständig zusammengeklebte Blatt Papier, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Es stammte mit Sicherheit aus der Akte eines sogenannten „IM-Vorgangs“. In diesen Vorgängen wurde die Anwerbung und Führung sogenannter IMs, im Volksmund ganz einfach Spitzel genannt, schriftlich festgehalten.

      Das Blatt hatte man aus „beschädigtem Schriftgut“ zusammengestellt. Also aus in aller Eile zerrissenen Papieren, die im MfS, dem Ministerium für Staatssicherheit, anlässlich der Wende sichergestellt worden waren.

      Eines von vielen Schriftstücken dieser Art. Jedoch der darauf vermerkte Deckname „Travertin“, war früher bereits auf einem Mikrofilm aufgetaucht. Und dieser Film zeigte möglicherweise eine Liste der zu DDR Zeiten im Ausland tätigen Agenten.

      Huber hatte sich inzwischen an die seltsam anmutenden Abkürzungen wie RV für Reiseverkehr oder EH für Erich Honecker gewöhnt. Ebenso wie an Umschreibungen wie „Zielstellung“ oder „legendisieren“. Aber die Bezeichnung „Imperialistische Spionage“ fand sich nur selten in solchen Akten und fiel deshalb besonders auf.

      Das hatte im DDR-Jargon normalerweise bedeutet, dass jemand als Agent für einen westlichen und damit feindlichen Staat arbeitete.

      Eine nicht näher definierte Aktion hatte im „Operationsgebiet“ (abgekürzt „OG“, die im MfS gebräuchliche Bezeichnung für Westdeutschland) stattgefunden. Genauer gesagt in Freiburg im Breisgau. Am 10. Mai 1985. Der Name des Spitzels hatte Armin Schuppers gelautet. Auch seine Fingerabdrücke waren vorhanden. Jedoch weitere Angaben, wie ein Bild oder eine Personenbeschreibung, fehlten.

      Hubers Nachforschungen in alten Zeitungen hatten ergeben, dass am 11. Mai 1985 in Freiburg ein offenbar am Vortag erschossener Hotelgast tot aufgefunden worden war.

      Grund genug, nach Freiburg zu reisen, um vor Ort Aufklärungsarbeit zu leisten.

      ***

      Kommissar Max Krüger hatte es sich nicht nehmen lassen, den Beamten aus Berlin persönlich in Freiburg zu empfangen und zu betreuen. Sie hatten einige Telefonate geführt, bevor das Treffen stattfand.

      Ein Foto des Opfers existierte nicht. Zumindest keines, auf dem sein Gesicht erkennbar gewesen wäre. Den gemeinsamen Anhaltspunkt bildeten die Fingerabdrücke. Huber hatte sie in seinem Aktenfragment gefunden und Krüger in den Unterlagen des ungeklärten Falles.

      Während sich Erwin Rohr, der Leiter der Spurensicherung in Freiburg, mit den vom BstU gelieferten Prints ins Labor verzog, blätterte Huber die Akte aus dem Archiv der Freiburger Polizei durch.

      Diese Berichte kannte Krüger auch bloß rudimentär. Der Vorfall hatte sich lange vor seiner Zeit in Freiburg ereignet. Darüber, dass eine Untersuchung des Fundortes nach dreizehn Jahren kaum noch neue Erkenntnisse bringen konnte, waren er und Huber sich im Klaren.

      Trotzdem wollte Huber versuchen, Personal des Hotels aus dieser Zeit zu finden und zu befragen. Mit etwas Glück arbeitete vielleicht sogar heute noch jemand im Hotel, der die Sache miterlebt hatte. Und der sich an Fakten erinnerte, die damals niemand aufgeschrieben hatte. Zum Beispiel, aus welchem Grund das Opfer Freiburg