Celeste - Siehst du mich?. Serena S. Murray

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Название Celeste - Siehst du mich?
Автор произведения Serena S. Murray
Жанр Языкознание
Серия Edrè Saga
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753198149



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Eigentümer hat mir versichert, dass es nicht so schlimm ist. Bauarbeiter sind abergläubische Menschen. Sie haben ein paar seltsame Geräusche gehört und die ein oder andere Kratzspur an der Wand gefunden, also arbeiten sie nicht weiter, bis das Problem behoben ist. Wenn dann auch noch ein Teil der Decke auf sie herunterkommt, dann schieben sie es eben auf eine angebliche Einsturzgefahr, dass sie offiziell nicht mehr arbeiten kommen.“

      Ian schaute sich aufmerksam um. Bis jetzt konnte er nicht sagen, ob sich in diesem Haus wirklich ein Geist aufhielt. Bisher sah es eher wie ein Ort aus, an dem sich Kinder aufhielten, die das Opfer einer Mutprobe waren.

      Darauf bedacht, in der Stille des Hauses keine lauten Geräusche zu verursachen, gingen sie weiter durch die Räume. Überall setzte sich das anfangs eingeprägte Bild fort. Verwahrlosung und Flecken auf dem Boden und an der Wand, deren Ursprung Ian lieber nicht genau untersuchen wollte, hatten dem Haus nicht wirklich gut getan. Nach all den Jahren gewöhnte sich Ian mittlerweile an den üblen Geruch in solchen Häusern. Zumal hier auch noch der Duft nach chinesischem Essen hinzukam.

      Als er wieder an der Treppe ankam, hörte er ein leises Summen, dessen Ursprung kaum zu benennen war. Vorsichtig darauf bedacht, dass er keinem tödlichen Unfall zum Opfer fiel, stieg er die maroden Stufen hinauf ins erste Stockwerk. Hier war es wesentlich kälter als unten, was ein gutes Anzeichen für Geister war.

      „Ähem, ich warte hier unten und gebe dir Rückendeckung“, hörte er James hochrufen. Unwillkürlich musste Ian grinsen. Es stimmte, dass James für ihn häufig die Aufträge an Land zog, doch seinem Freund war es noch nie leicht gefallen, sich an gruselige Orte zu begeben. Doch Ian würde ihn niemals als einen Angsthasen bezeichnen. Er selbst hatte die meiste Zeit selbst Angst.

      Immerhin war es wirklich nicht erklärbar, warum ihn der Geruch nach einem Kiefernwald von der ansonsten modrigen Note ablenkte. Ja, hier gab es definitiv paranormale Aktivitäten. Während er weiterging und einen großen Salon und ein ehemaliges Schlafzimmer passierte, hörte er auch das Summen wieder, das sich diesmal zu einer leisen Melodie gesteigert hatte. Das bedeutete, dass die Kraft des Geistes groß war.

      Langsam, ohne eine hektische Bewegung zu machen, zog er sein kleines Taschenmesser aus der Jackentasche und klappte es auf. Das war ein Geschenk seines Vaters gewesen, als dieser in der Schweiz in Urlaub gewesen war. Als ob der Geist merken würde, dass er entdeckt worden war, wurde die Melodie leiser, verschwand aber nicht ganz.

      Ian zuckte erschrocken zusammen, als etwas von einem Holzschrank im Flur auf den Boden knallte. Beim näheren Hinsehen konnte er erkennen, dass es sich bei dem Etwas wohl mal um ein Buch gehandelt haben musste.

      „Möchtest du mich erschrecken?“ Seine Stimme klang hohl in den fast leeren Räumen. Selbst er konnte seine Anspannung heraushören. Doch er sprach nicht ohne Grund mit dem Geist. Manche Geister reagierten auf seine Stimme.

      „Tut mir leid, aber du bist nicht mein erster Geist. Ich habe schon schlimmere Sachen erlebt.“ Das hätte er vielleicht nicht sagen sollen.

      Als Antwort kippte prompt der Schrank um, auf dem zuvor noch das Buch gelegen hatte. Einige der Bretter, die vor den Fenstern angebracht worden waren, fingen an zu vibrieren und Ian verlor keine Zeit. Er ritzte sich mit dem Messer in die linke Handfläche. Das Brennen nahm er kaum noch wahr. Doch den Geruch nach Eisen konnte er nicht ignorieren. In der Nähe von Geistern war er so stark, dass es am Anfang vorgekommen war, dass er sich die Nase zuhalten musste, um dem Drang zu entgehen, sich in einer Ecke seines Mageninhalts zu entleeren.

      Endlich erreichte er den letzten Raum auf der Etage. Der Dachboden war durch eine verschlossene Luke die nächste Ebene. Ian sah sich in dem kleinen Zimmer um und erkannte die Überreste eines Schreibtisches. Helle Flecken an der Wand verrieten ihm, dass das hier ein Arbeitszimmer gewesen sein musste, in dem sich Bilder an der Wand befunden hatten. Auf dem Boden waren sogar noch Glasscherben zu sehen. Ian bemühte sich, auf nichts draufzutreten, was bei dem Unrat schwerfiel, der über den ganzen Boden verstreut lag.

      „Willst du dich mir nicht zeigen?“, fragte er mit leiser und wie er hoffte lockender Stimme. Die Melodie wurde einen Augenblick lauter, dann wieder leiser. Bis sie so laut wurde, dass sogar James im unteren Geschoss sie hören musste. Obwohl die Chancen dafür nicht gut standen. Anscheinend war Ian der Einzige, der die Töne hören konnte.

      Das war auch der Grund gewesen, warum er sich als Kind geweigert hatte, ein Instrument zu erlernen, obwohl er seine Mutter damit enttäuscht hatte. Seitdem verband er rein instrumentale Musik immer mit Geistern.

      Als die Melodie langsamer wurde, sah er aus den Augenwinkeln ein Schimmern am Fenster. Als er den Kopf drehte, stockte ihm regelrecht der Atem. Er sah eine Frau, die um die fünfzig Jahre alt sein musste. Sie war so klar zu erkennen, dass er dem Wunsch widerstehen musste, sich über die Augen zu reiben.

      Sie stand mit dem Rücken zu ihm und sah auf die Holzlatten, die die Sicht nach draußen versperrten. Ihre Haare gingen ihr fast bis zur Mitte des Rückens und ihre Kleidung sah nicht so aus, als ob sie in dieses Jahrhundert gehörte. Ian konnte ihr Gesicht nicht erkennen, wollte aber nicht das Risiko eingehen, sich von der Mitte des Raumes zu entfernen.

      Er wollte sich gerade hinknien, als die Frau beide Hände hob und sie an das Holz vor sich hielt. Mit angehaltenem Atem und pochendem Herzen sah Ian dabei zu, wie das Holz verschwamm und durch die glasklar geputzten Fensterscheiben der Blick auf einen Wald und einen Berg freigelegt wurde. Es war, als ob er einen Film schauen würde, während sich das Bild änderte.

      Die Kamera schwenkte näher an den Wald heran und ohne Probleme erkannte er eine Lichtung. In der Mitte brannte ein kleines Lagerfeuer und Ian sah in den sich wandelnden Schatten eine eingemummte Gestalt, die ins Feuer starrte. Doch er hätte nicht sagen können, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Er kniff regelrecht die Augen zusammen, um mehr erkennen zu können, doch das Bild verschwamm bereits und zurück blieb der Blick auf die Holzlatten.

      Endlich drehte die Frau sich um. Sie sah ihn direkt an, doch ihr Gesicht blieb regungslos. Das brachte ihn endlich zurück in die Wirklichkeit. Wie so viele Male zuvor hockte er sich auf den Boden, um einige Blutstropfen aus dem Schnitt an seiner Hand herunterfallen zu lassen. Die Frau beobachtete ihn, rührte sich aber nicht von der Stelle.

      Es dauerte keine fünf Sekunden, da erfüllte der Duft nach Eisen den gesamten Raum. Je mehr das dunkelrote Blut vom Boden eingesaugt wurde, desto durchscheinender wurde die Gestalt des Geistes. Als nichts mehr darauf hinwies, dass Ian etwas Blut von sich in diesem Zimmer hinterlassen hatte, war die Frau vollends verschwunden. Und mit ihr die Melodie.

      Auf wackeligen Beinen erhob er sich schwerfällig. Erst, nachdem er der Meinung war, dass der Geist wirklich verschwunden war, ging er zurück zur Treppe. Unten am Absatz konnte er James sehen, der besorgt zu ihm hinaufschaute.

      „Was ist los? Ich könnte ja jetzt scherzen und sagen, du siehst aus, als ob du einen Geist gesehen hättest.“

       Der Scherz misslang ihm sichtlich und doch brachte es Ian zum Lächeln. Er ignorierte seine wackeligen Beine und stieg die Treppe hinunter.

      „Der Geist ist weg.“

      „Das ist doch gut, oder nicht?“

      Zögernd nickte Ian, bevor er fragte: „Wollen wir noch etwas trinken gehen? Hier muss es doch irgendwo einen Pub geben, oder?“

      James schien zu spüren, dass er erst einmal Zeit brauchte, um seine Gedanken zu sortieren. „Lass uns einfach zu mir fahren. Ich habe Whiskey im Angebot.“

      Wie so viele Londoner besaß James kein Auto und so fuhren sie mit der U-Bahn in einen Vorort von London, wo sich James vor etwa zwei Jahren ein Haus gekauft hatte. Die ganze Fahrt über schwiegen sie.

      Erst, als sie es sich in James’ geräumiger Küche gemütlich gemacht hatten, schwenkte Ian sein Glas in der Hand hin und her und beobachtete dabei die dunkle Flüssigkeit im Glas. Dabei erzählte er James alles, was er gesehen und erlebt hatte.

      „Wenn ich das jetzt richtig verstehe, hat dir der Geist, den du einwandfrei erkennen konntest, eine Art Film vorgespielt, in der eine Gestalt an einem Lagerfeuer