Matteo. Günter Tolar

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Название Matteo
Автор произведения Günter Tolar
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737552608



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      Günter Tolar

      MATTEO

      Eine Kriminalgeschichte

      Geschrieben 1995 unter dem Eindruck des Todes der von mir sehr verehrten Particia Highsmith.

      1.

      ROBERTO

      Es war wie alle Jahre Mitte April. Diesmal war es der 14., an dem sich Matteo auf die Reise „in die Saison“ machte. Er war ausgelernter Kellner und „in die Saison fahren“ bedeutete, dass er sich irgendwo in einem der vielen Fremdenverkehrsorten verdingte und jobbte bis etwa 15. Oktober, dem Datum, an dem in den meisten südlichen Touristenzentren die Saison zu Ende ging. Und weil er Schnee und Kälte nicht eben sonderlich mochte, wollte er in der Wintersaison auch nicht arbeiten. Er musste also „in der Saison“ vorsorgen.

      Matteo war zwanzig Jahre alt und reiste nach beendeter Lehrzeit nun schon das dritte Jahr. Er verdiente übrigens in der Saison wesentlich mehr Geld, als er brauchte, um über den Winter zu kommen. In seinen Arbeitsferien unternahm er gerne eine größere Reise, immer ein wenig kombiniert mit Bildung und Ausruhen. Den Rest der Zeit verbrachte er daheim in Siena, am liebsten mit dem Studium von Fremdsprachen. Er sprach neben seinem klangvollen senensischen Italienisch auch recht gut Französisch, Spanisch, Englisch, Deutsch und sogar leidlich Holländisch, obwohl gerade dieses Idiom dem gelernten Italiener besondere Schwierigkeiten bereitete.

      Matteo war hübsch anzusehen, ohne bemerkenswerte besondere Eigenschaften. Er war dunkel im Teint, dunkelgrün die Augen, immer ein wenig gestylt, immer ein wenig aussehend, wie einem, allerdings keinesfalls extremen, Modejournal entsprungen, sportlich, ein junger Mann, der genau wusste, wie er sich herrichten musste, um zu gefallen. Dabei dachte er, wenn er sich so gestaltete, nie an andere, denen er gefallen wollte. Er wollte nur sich gefallen. Erst wenn er sich selbst gefiel, dann war sein Aussehen in Ordnung. Er war etwa einen Meter fünfundsiebzig groß, mäßig stark behaart am Körper, seine Beine waren unitalienisch lang, seine Oberschenkel italienisch kräftig. Wenn er sich nackt vor dem Spiegel kontrollierte, war er leidlich zufrieden mit sich, es störte ihn nur, am Rande und eigentlich fast kaum, dass sein so schönes männliches Glied von einem so dicken Wall Schamhaare umgeben war, dass es gar nicht so richtig zur Geltung kam. Die Mode, das Schamhaar zu rasieren und dort unten sogar so etwas wie eine Frisur zu gestalten, war noch nicht angebrochen. Und er liebte sein Glied doch so sehr, dass er es immer wieder selber berührte. Sein schwarzes Haar trug er in unregelmäßigen Abständen immer wieder anders, derzeit hatte er es ganz kurz geschoren und nur vorderste Reihe war neckisch aufgestellt, was seinen kugeligen Rundkopf sehr zur Geltung brachte. Es war dies eine Frisur, wie sie damals in Homosexuellenkreisen besonders gern getragen wurde, Matteo hatte allerdings nicht den damals bei Schwulen unabdingbaren Schnurrbart. Dies soll aber nicht wirklich etwas über sein Liebesleben aussagen. Was er war und wohin er gehörte, konnte niemand mit Beweiskraft sagen, weil es weder ein Mädchen noch einen Burschen in Siena gab, die oder der behaupten konnte, Matteo habe mit ihr oder ihm geschlafen. Im Winter, außerhalb der Saison, wenn er daheim war, trieb er sich gerne in Discotheken herum, tanzte, flirtete, gab auch schon da und dort einmal einen Kuss, aber nichts weiter, obwohl sich schon so manches Mädchen oder sogar ein Bursche des Öfteren mehr oder weniger heimlich in ihn verliebt hätte. Matteo löste diese Affären, noch bevor sie richtig begannen. Er sagte der ihn anbetenden Person einfach, dass er sich noch nicht geeignet fühle für eine festere Bindung. Er sei noch zu unreif und vielleicht auch zu flatterhaft und das wolle er niemandem zumuten. Eine Beziehung, die er jetzt eingehe, würde ja doch nach zwei oder drei Monaten wieder platzen, und zwar allein aus seiner Schuld. Das sagte er in so überzeugend ernstem Ton, dass man ihm sogar noch dankte für seine Aufrichtigkeit, und - ein kleines vertrauliches Augenzwinkern begleitete die Worte - es sei ja noch nicht aller Tage Abend.

      Wie feinfühlig und geschickt Matteo in solchen Affären sein konnte, zeigte deutlich die Sache mit Roberto Scarlatti. Roberto war der Bankbeamte, der Matteos Konto betreute. Matteo bemerkte schon bei dem ersten Kontaktgespräch, dass Roberto ein Auge auf ihn geworfen hatte, was sich bestätigte, als er Matteo einlud, mit ihm Abendessen zu gehen, in die Nachbarstadt nach Poggibonsi vielleicht, weil es nicht gut sei, wenn ein Bankbeamter mit einem Kunden in Siena..., Matteo verstehe. Matteo verstand noch viel mehr, sagte aber dem freudestrahlenden Roberto zu.

      Das Restaurant in Poggibonsi war nicht nennenswert, Poggibonsi ist auch keine Stadt, die wegen ihrer Restaurants berühmt ist. Vielleicht hatte Roberto Poggibonsi deshalb ausgesucht, weil er sicher sein konnte, dass dort kein Senenser essen gehen würde.

      Roberto war über die Maßen galant und behandelte Matteo wie eine Dame, die er ausführte. Als aber dann die Rede doch direkter wurde und Roberto anbot, jeden Donnerstag, da könne er leicht weg, nach Viareggio zu „Frau Marlene“ zu fahren, setzte Matteo zu seiner grandiosen Gegenoffensive an.

      „Die Frau Marlene“, sagte er, „ist ein Etablissement, in dem man seine Liebe in gemieteten schmutzigen Betten ausübt, in die schon wer weiß wie viel Schweiß von tropfenden Rücken und Sperma von allem möglichen Gesindel hineingesudelt ist.“

      Roberto wurde blass ob des ekeligen Bildes.

      „Ist das die Liebe“, fragte Matteo weiter, und bedrängte den erschrockenen Liebhaber mit umwerfend flehendem Blick, „Signor Roberto, ist das die Liebe, die wir beide erleben sollen? Im Schweiß und im Sperma...“

      Roberto bat ihn angewidert, aufzuhören, schüttelte entsetzt den Kopf und meinte dann leise zitternd: „Matteo, ich wusste ja nicht, wie viel Ihnen unser Zusammensein bedeutet.“

      Er ergriff die Hand des wehrhaften Angebeteten: „Das ist mehr, als ich zu hoffen wagte!“

      Matteo nickte ernst: „Genau so ist es. Solange wir keinen würdigen Platz für unsere Liebe finden, solange wird sie rein und platonisch bleiben. Ich lasse sie mir nicht beschmutzen...“

      „Ja ja, schon gut“, unterbrach Roberto, wohl aus Angst, dass Matteo noch einmal Schweiß und Sperma zitieren würde.

      Sie fuhren heim nach Siena. Robertos beginnende Zudringlichkeit im Auto nannte Matteo „unwürdig“, sodass der arme Roberto Scarlatti seitensprunglos wie jeden Abend bei seiner Anna landete, mit der er, so erzählte er seufzend, so züchtig schlafen musste, dass er noch nicht einmal ihren Nabel bei Licht gesehen habe.

      Die Liebe zwischen Matteo und Roberto blieb unvollzogen. Wenn sie einander bei irgendeiner Gelegenheit hin und wieder eindeutige Gebärden zukommen ließen, sagte der andere zumeist leise: „Frau Marlene lässt grüßen!“

      Matteo aber wusste, dass er in Roberto Scarlatti einen väterlichen Freund gefunden hatte, auf den er sich verlassen konnte.

      2.

      GRAN CANARIA

      Matteos erstes Ziel auf seiner Reise in die Saison war die Insel Gran Canaria und dort die südlichste Stadt, Playa del Ingles. In den nördlicher gelegenen Touristenorten lief Matteos Saison immer erst Mitte oder Ende Mai an. In Gran Canaria hätte er zwar auch während der Wintermonate arbeiten können, er wollte aber nicht zu viel Zeit an einem Ort verbringen, zumal gerade Playa del Ingles immer wieder von den gleichen Gästen besucht wurde. Er mietete ein billiges Appartement oberhalb der großen Straße, die an Playa vorbeiführte. Dort wohnte nur Hotelpersonal und sicher keiner der Gäste. Der erste abendliche Rundgang zeigte ihm, dass wie bei den letzten Malen das „Yumbo-Center“ nach wie vor der fündigste Boden war. An der Struktur des Publikums hatte sich seit seinem letzten Besuch nichts geändert, seine Leute fand er im „Alt Wien“ bis kurz nach Mitternacht, und wenn sich dort nichts ergab, dann musste er sich schon fast die ganze Nacht um die Ohren schlagen, dann gingen sie nämlich ins „Mikonos“, einer ohrenbetäubend lauten Discothek mit einem übermäßig gut besuchten Darkroom. Die Hälfte der Besucher dieses finsteren Grabschraumes benützten ihn allerdings nur, um den Sexsuchenden im wahrsten Sinne das Geld aus der Tasche zu ziehen. Kaum einer, der nicht, wenn er nicht schon einschlägige Erfahrungen gemacht und Vorkehrungen getroffen hatte, bestohlen herauskam. Sogar Diebe waren dort schon beklaut worden.

      John, ein dicklicher Engländer, mit mehreren gold blitzenden Ringen an den Fingern beider Hände und einer protzigen Goldkette um den Hals, verließ torkelnd das „Mikonos“ und stolperte fast über den vor dem Lokal lungernden Matteo.