Leichenschau. Irene Dorfner

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Название Leichenschau
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742792587



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haben, melden Sie sich bei mir. Bis dahin habe ich ganz bestimmt ein perfektes Jobangebot für Sie,“ sagte Krohmer, der bereits wusste, an wen er sich wenden würde.

      „Wenn ich nicht eine andere Lösung für Dr. Leichnahm vorgesehen habe,“ warf Christine ein, die andere Pläne hatte und Dr. Leichnahm für Ihre Pathologie in Ulm gewinnen wollte. Aber das würde sie separat mit Krohmer besprechen und sich irgendwie mit ihm einigen. Dr. Leichnahm zu überzeugen wäre eine Kleinigkeit für sie, der Mann fraß ihr regelrecht aus der Hand.

      „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll,“ brachte Dr. Leichnahm gerade noch heraus. Waren das etwa Tränen in seinen Augen?

      „Sie brauchen mir nicht zu danken. Ich habe Sie wärmstens empfohlen. Geben Sie Ihr Bestes und blamieren Sie mich ja nicht!“, drohte Christine mit dem Finger.

      Die Recherchen der Polizisten gingen noch bis tief in die Nacht. Erst gegen dreiundzwanzig Uhr war endlich Feierabend. Leo fuhr direkt nach Hause. Er wohnte auf einem kleinen Anwesen bei Altötting in der neu ausgebauten Wohnung bei der Tante seines Kollegen Hans Hiebler, was ein absoluter Glücksfall war. Er fühlte sich inzwischen sehr wohl hier, nachdem er anfangs sehr unglücklich über seine Strafversetzung von Ulm war, die nach einem unschönen Vorfall unvermeidlich war. Vor allem die liebgewonnenen Freunde und Kollegen vermisste er sehr. Und auch die Schwäbische Alb, durch die er mit Vorliebe stundenlang alleine wanderte. Er sehnte sich auch heute noch in manchen stillen Stunden danach. Natürlich hätte er auch von hier aus leicht in die Berge fahren und dort wandern können, aber das war nicht dasselbe. Die Landschaft und Umgebung der Schwäbischen Alb waren für Leo einzigartig und unvergleichbar.

      Es brannte noch Licht in der Wohnstube von Tante Gerda und lautes Lachen, das unverkennbar von Christine kam, drang bis vor die Tür. Er klopfte und trat ein, er fand die beiden alten Damen auf der Couch vor. Vor ihnen auf dem Tisch standen zwei leere Rotwein-Flaschen. Der Mischlingshund Felix, den er in einem jämmerlichen Zustand völlig abgemagert und misshandelt bei dem Fall vom Sinder-Hof in Tüßling befreit hatte und seitdem bei Tante Gerda lebte, kam ihm freudig entgegen. Oder sollte er eher sagen: Rollte auf ihn zu? Der Hund wurde dicker und dicker. Tante Gerda unternahm zwar täglich ausgiebige Spaziergänge mit ihm, verwöhnte ihn aber auch aufgrund seiner schlimmen Vergangenheit mit den tollsten Leckereien rund um die Uhr, was nun deutliche Spuren hinterließ. Bei Gelegenheit musste er dringend ein ernstes Wörtchen mit Tante Gerda reden, jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt.

      „Leo! Wie schön! Setz dich zu uns. Wo hast du deine Viktoria gelassen?“, rief ihm Christine entgegen. „Och, sieh ihn dir an, Gerda. Er denkt immer noch, dass niemand davon weiß.“

      „Wenn Viktoria hier übernachtet, dann stiehlt sie sich in den frühen Morgenstunden davon. Sie parkt sogar ihren Wagen die Straße runter. Ich finde das rührend, sie führen sich auf wie Teenager,“ sagte Tante Gerda lachend, die fürchterlich einen im Tee hatte. Ihre Augen waren klein und schmal, und ihre Backen leuchteten feuerrot. Sie war sehr glücklich, dass Christine wieder hier war und sie endlich wieder eine angenehme Gesprächspartnerin hatte.

      „Ihr wisst es?“, sagte Leo erstaunt. Viktoria und er hatten sich immer bemüht, sich so diskret wie möglich zu verhalten.

      „Natürlich wissen wir es, und zwar alle. Damit meine ich deine Ulmer und Mühldorfer Polizeikollegen. Es ist uns ein außerordentliches Vergnügen, uns über euch lustig zu machen,“ rief Tante Gerda lachend aus. Sie stand auf, holte eine weitere Flasche Wein und ein Glas für Leo.

      „Das macht schon in Ulm die Runde?“ Leo war sprachlos. Wie konnte das sein?

      „Vergiss nicht, dass du mit Ursula in Griechenland warst, sie hat uns nach anfänglichem Zögern alles haarklein berichtet. Weißt du eigentlich schon, dass Ursula kürzlich Besuch von ihrem hübschen Griechen Stavros bekommen hat? Ein reizender Mensch, so gebildet und kultiviert. Die beiden geben ein wirklich hübsches Paar ab.“

      „Stavros Ustanidis? Du machst Witze! Die beiden sind wirklich ein Paar? Das glaube ich nicht!“

      Stavros Ustanidis arbeitete bei der Polizei in Kos-Stadt und hatte ihn und Ursula bei diesem fürchterlichen Fall auf Kos sehr unterstützt. Leo bekam eine Gänsehaut, als er mit seinen Gedanken auf Kos und seiner Exfrau Kerstin war.

      „Warum sollten Ursula und der Grieche kein Paar sein? Ursula ist zwar zugegebenermaßen etwas verrückt, aber sie ist ein sehr liebes Mädchen. Und Stavros passt perfekt zu ihr. Was mir allerdings nicht gefällt ist die Möglichkeit, dass Ursula zu Stavros nach Kos gehen könnte. Der Junge liebt seine griechische Heimat, er schildert sie bei jeder Gelegenheit in den schönsten Farben.“

      „Kos ist wirklich eine wunderschöne Insel. Anfangs habe ich das nur am Rande wahrgenommen, aber dann in voller Pracht.“ Nun musste Leo schmunzeln, als er an die zweite Urlaubswoche dachte, die er mit Viktoria in diesem sündhaft teuren Hotel verbracht hatte. Sie unternahmen Ausflüge, redeten und lachten viel und kamen sich endlich nahe.

      Tante Gerda und Christine mussten lachen, als sie das vielsagende Gesicht von Leo bemerkten.

      „Einen Cent für deine Gedanken,“ rief Tante Gerda aus.

      „Kos ist sicher schön, das glaube ich gerne,“ sagte Christine, während sie sich Wein nachschenkte, „aber wir haben auch eine schöne Heimat. Ich mag Ursula sehr und würde sie nur ungern gehen lassen. Ich muss bereits auf Leo verzichten, noch einen Verlust könnte ich nicht verkraften. Worauf ich aber liebend gerne verzichten könnte, wäre die Pfeife in meiner Pathologie, da wäre mir Dr. Leichnahm schon deutlich lieber.“

      „Jetzt sag nicht, dass es einen Pathologen mit dem Namen Leichnam gibt,“ rief Tante Gerda erstaunt. Und nachdem Christine zustimmte, lachten Leo und sie gemeinsam, bis ihnen die Tränen kamen, was Christine nun überhaupt nicht verstand.

      „Was gibt es denn da zu lachen? Ihr seid echt kindisch, schämt euch. Erstens schreibt man diesen Dr. Leichnahm mit einem h.“

      „Was auch keinen großen Unterschied macht, die Aussprache ist dieselbe,“ sagte Tante Gerda und schenkte Wein nach, während sie nochmals einen Lachanfall bekam.

      „Jetzt reiß dich doch zusammen. Ich erzähle euch eine persönliche Geschichte: Während meiner Ausbildungszeit trug ich meinen Mädchennamen Zeitler und hatte keine Probleme damit. Dann habe ich dummerweise geheiratet und den Namen Künstle bekommen, auf den ich anfangs mächtig stolz war. Es ging mir tierisch auf die Nerven, bei allen möglichen Anlässen erst immer zum Schluss dran zu kommen. Irgendjemand kam irgendwann auf die Idee, alle möglichen Abläufe alphabetisch zu ordnen. Somit kam ich mit Z wie Zeitler immer am Schluss. Mit dem Namen Künstle lag ich schön in der Mitte – und wurde zum Gespött der Kollegen. Unser damaliger Professor war ein Riesenarsch und nicht gerade der Begabteste, wenn es um Scherze ging, über die wir aber alle lachen mussten. Eines Tages also gab er zum Besten, dass der Befund eines Kollegen keine große Kunst wäre – oder sollte er sagen: kein großes Künstle? – wobei er mich ansah. Bezogen auf den schwäbischen Ausdruck von Kunst, also Künstle, und dann noch auf meine geringe Körpergröße war ich also fortan das kleine Künstle. Bei jeder noch so geringen Gelegenheit griffen meine Kollegen dieses geflügelte Wort auf und es war immer ein Riesengag: Was sagt die kleine Künstle über das große Künstle? Oder: wäre das nicht ein kleines Künstle, wenn das funktionieren würde? Und so weiter und so fort. Seitdem kann ich es nicht ertragen, wenn man sich über Namen lustig macht. Wenn man sich Mühe gibt, kann man sich über alles und jeden lustig machen. Das muss nicht sein und fühlt sich für den, der das aushalten muss, nicht gut an.“

      Leo fühlte sich peinlich berührt, denn er hatte sich noch niemals Gedanken darüber gemacht. Tante Gerda konnte den Ausführungen von Christine nicht ganz folgen, dafür hatte sie zu viel getrunken. Sie verstand nur, dass die schwäbische Form von Kunst eben Künstle war, und für sie war das nicht lustig.

      „Du hast ja Recht, ich entschuldige mich in aller Form.“ Leo nahm die Flasche Wein und schenkte nach.

      „Ich finde deine Geschichte mit dem Namen nicht lustig und entschuldige mich deshalb nicht,“ sagte Tante Gerda. „Viel mehr interessiert mich, wen du damals geheiratet hast. Erzähl mir von