Der Racheengel - Ein Aachen Krimi. Frank Esser

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Название Der Racheengel - Ein Aachen Krimi
Автор произведения Frank Esser
Жанр Языкознание
Серия Hansens 1. Fall
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742789587



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hatte.

       Nachdem Hansen seinen Wagen erreicht hatte, teilte er seinem Team per SMS mit, dass er um neun Uhr eine Besprechung abhalten wollte, um über die neueste Entwicklung zu beraten. Schlafen gehen konnte Hansen jetzt nicht mehr. Dafür war er viel zu aufgekratzt. Also blieb ihm nur eine Möglichkeit. Er startete seinen Wagen und fuhr los.

      Kapitel 3

       Etwa eine viertel Stunde, nachdem Hansen den Tatort in der Soers verlassen hatte, erreichte er das Polizeipräsidium in der Innenstadt. Er stellte sein Auto auf dem Präsidiumsparkplatz ab und betrat das Gebäude aus dem Jahr achtzehnhunderteinundneunzig, das bis zum Einzug der Polizei vor einigen Jahren ursprünglich das alte Postgebäude gewesen war . Wie er nicht anders erwartet hatte, war außer dem wachhabenden Beamten niemand im Foyer zu sehen. Er nickte ihm zur Begrüßung zu. Hansen war dem jungen Kollegen dankbar, dass er ihm kein Gespräch aufdrängte, um sich nach dem Mord zu erkundigen, von dem er zweifelsohne gehört haben musste.

       In seinem Büro in der zweiten Etage angekommen, beschränkte sich Hansen zunächst einmal darauf, die Fakten der ersten beiden Mordfälle auf einem Notizblatt zusammenzufassen: Das erste Opfer war der Student Michael Kämper, vierundzwanzig Jahre alt, ledig, gewesen. Er wurde vor knapp drei Wochen erschossen in einem Waldstück in Aachen aufgefunden. Er studierte im siebten Semester Maschinenbau an der Technischen Hochschule. Stabiles soziales Umfeld, keine Vorstrafen, keine finanziellen Probleme. Die befragten Kommilitonen hatten Kämper übereinstimmend als hilfsbereiten, sympathischen jungen Mann beschrieben. Er galt als fleißig, was nicht zuletzt dadurch unterstrichen wurde, dass er zwei Nebenjobs hatte, um sein Studium zu finanzieren. Er arbeitete in zwei Cafés als Aushilfskellner.

       Hansen legte den Stift beiseite und dachte nach. Keiner der Befragten aus dem familiären Bereich oder im Freundes- und Bekanntenkreis konnte sich erklären, warum jemand Michael Kämper hätte töten wollen. Auch die Ermittler hatten bisher nicht fündig werden können.

       Anfänglich hatten sie überlegt, ob sie es mit einem Auftragsmörder zu tun hatten. Die Vorgehensweise des Mörders sprach dafür. Der Mörder tötete kaltblütig und sehr professionell. Die Visitenkarten erinnerten an Mafiamorde, wo die Täter zuweilen eine Spielkarte bei ihren Opfern hinterließen. Zum einen, um zu zeigen, wer für den Mord verantwortlich war, zum anderen, um eine Warnung an all diejenigen auszusprechen, die sich gegen die Auftraggeber stellten. Also hatten sie in den Datenbanken nach ähnlichen Fällen gesucht, aber nichts gefunden.

       Hansen glaubte auch nicht, dass es die Taten eines religiösen Fanatikers waren, wie die Presse mutmaßte.

       Das zweite Opfer war der Geschäftsmann Hans-Josef Körlings, der eine Firma mit dem Namen Körlings CarSystem Technology besaß, in der Zulieferteile für die Autoindustrie hergestellt wurden. Achtundvierzig Jahre alt, ledig und tot in der Nähe der Panzersperren des alten Westwalls bei Oberforstbach gefunden.

       Sie hatten keine Hinweise für mögliche Hintergründe der Mordtat finden können. Weder im privaten Bereich - Körlings hatte einen festen Platz in den wohlhabenden Kreisen der Aachener Gesellschaft inne - noch im Geschäftlichen. Körlings galt als integrer Geschäftsmann.

       Darüber hinaus war er stark sozial engagiert. Neben seinen obligatorischen großzügigen Jahresspenden für in- und ausländische Hilfsprojekte hatte er in Aachen sogar ein eigenes Projekt ins Leben gerufen. Hier sollte straffällig gewordenen Jugendlichen und Straßenkindern geholfen werden, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. »Reborn e. V.« war der Name der Einrichtung. Die Recherchen hatten ergeben, dass der Verein beachtliche Erfolge feiern konnte, was die Resozialisierung von Jugendlichen anging. Jedenfalls lag die Erfolgsquote weit über dem Landesdurchschnitt staatlicher Einrichtungen.

       Dass der Täter aus den Kreisen der Jugendlichen stammte, konnte Hansens Team relativ schnell ausschließen. Sicherlich gab es diverse Kandidaten, die schon in jungen Jahren so einiges auf dem Kerbholz hatten, aber ein Profikiller war ganz sicher nicht dabei gewesen.

       Wäre nicht die Visitenkarte des Mörders gefunden worden und hätte die Obduktion nicht ergeben, dass der Geschäftsmann mit der gleichen Waffe erschossen worden war wie der Student zuvor, wäre es dem Ermittlerteam wohl nie in den Sinn gekommen, eine Verbindung zwischen den beiden Morden herzustellen. Es gab einfach nicht die geringsten Gemeinsamkeiten hinsichtlich sozialer Herkunft, Lebensstil oder anderer Aspekte! Der Täter hatte ihnen die Verbindung selbst liefern müssen.

       Unglücklicherweise waren unmittelbar nach dem zweiten Mord Details bezüglich der Visitenkarte mit dem Bibelzitat an die Presse durchgedrungen. Eigentlich hatte Hansen dieses Detail aus ermittlungstechnischen Gründen geheim halten wollen, um Trittbrettfahrer auszuschließen. Aber irgendwie war diese Information nach außen gelangt.

       Die Boulevardpresse schien mit ihrem „Racheengel“ immerhin recht zu haben, was die Motivation der Taten anging. Dass es um Rache ging, hatte der Mörder von Anfang an klar gemacht. Aber Rache wofür? In welcher Verbindung stand der Täter zu Michael Kämper, Hans-Josef Körlings und jetzt Mathias Bender?

       Sie mussten die gesamten Ermittlungen noch einmal komplett von vorne aufrollen, daran führte kein Weg vorbei. Fast drei Wochen hatten sie bereits an den Fällen gearbeitet und sie waren noch nicht weitergekommenn. Und jetzt hatte man schon wieder ein neues Opfer zu beklagen. Wenn sein Team nicht schnellstmöglich einen Ermittlungserfolg vorweisen konnte, mussten sie jederzeit damit rechnen, dass sich das LKA in die Ermittlungen einschalten und sie an sich reißen würde. Die Zampanos könnten sich wieder aufspielen und sie selbst ständen als inkompetent da.

       Der Kommissar erhob sich von seinem Schreibtischstuhl und öffnete das Bürofenster. Eine kühle Brise Frühlingsluft wehte ihm ins Gesicht. Er atmete ein paar Mal tief durch und spürte, wie gut ihm der Sauerstoff tat. Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm, dass es kurz nach sechs Uhr war. Es blieb also noch reichlich Zeit, bis die Kollegen im Präsidium eintreffen würden.

       Also widmete er sich wieder seinen Notizen. Aber so sehr er sich auch bemühte, irgendeinen neuen Ansatz für die Ermittlungen zu finden, es wollte ihm einfach nicht gelingen. Er starrte minutenlang auf sein Notizblatt und nickte schließlich ein.

       Als der Hauptkommissar wieder aufwachte, zeigte seine Armbanduhr bereits sieben Uhr an. Er hatte also mehr als eine halbe Stunde geschlafen. Da das Fenster in seinem Büro immer noch offen stand, war es mittlerweile empfindlich kalt geworden. Er stand auf, um es wieder zu schließen. Hansen beschloss in die Stadt zu gehen, um zu frühstücken. Ein leerer Bauch studiert nicht gerne hatte sein Vater immer gesagt. Also machte er sich auf in Richtung Marktplatz, wo sein Stammcafé lag. Nach knapp zehn Minuten Fußmarsch hatte er den Platz vor dem altehrwürdigen Aachener Rathaus, das neben dem Aachener Dom das markanteste Bauwerk im historischen Stadtkern von Aachen war, erreicht. Das im gotischen Stil errichtete Bauwerk aus dem vierzehnten Jahrhundert hatte diverse Brände, Plünderungen und zwei Weltkriege - mal mehr oder weniger unbeschadet – überstanden und gehörte zu Hansens Lieblingsgebäuden in Aachen . Er betrat das Café und bestellte sich ein großes Standardfrühstück. Zwei Brötchen, Käse, Marmelade, ein hart gekochtes Ei, ein Glas Orangensaft und eine große Tasse Kaffee sollten die Grundlage für einen langen Arbeitstag bilden. Er hatte keine Ahnung, wann er wieder etwas essen könnte. Unregelmäßige Mahlzeiten gehörten leider zu den Nachteilen seines Berufes, den er im Grunde liebte.

       Gegen halb acht fasste er den Entschluss, seine Frau anzurufen. Sie war vermutlich schon aufgestanden, da sie um halb neun im Büro sein musste. Christine war Sekretärin bei einer Firma, die Süßwaren herstellte. Sie ging sofort ans Telefon, sichtlich erleichtert, dass es ihm gut ging. Sie hatte immer noch Angst, wenn er so plötzlich das Haus