Название | Kullmann ermittelt in Schriftstellerkreisen |
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Автор произведения | Elke Schwab |
Жанр | Языкознание |
Серия | Kullmann-Reihe |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783750237193 |
»Zuerst werden die Einzelteile ins Labor gebracht«, begann Dr. Kehl mit seiner Antwort. »Dort werden wir die Knochen daraufhin untersuchen, wie alt sie sind und wie lange sie an dieser Stelle gelegen haben. Diese Untersuchungen nimmt der Archäologe vor. Sollte sich herausstellen, dass es sich um Knochen aus unserer Zeit handelt, beginne ich mit meinen Messungen, die mir Aufschluss darüber geben können, um welches Geschlecht es sich hier handelt. Bis dahin können wir nichts über das Skelett sagen.«
»Ein einfaches ‚nein‘ hätte es auch getan«, murrte Schnur verstimmt. An Dr. Kehl gewandt fragte er weiter: »Gibt es verwertbares Gewebe, an dem eine DNA festgestellt werden kann?«
»Sollte es schon zweitausend Jahre hier liegen, bestimmt nicht.« Dr. Kehls verschmitztes Grinsen galt Anke. »Ansonsten kann ich versuchen, aus dem Rückenmark oder den Zahnwurzeln DNA-Proben zu entnehmen. Aber so, wie das Skelett aussieht, glaube ich nicht daran. Vom Unterkiefer ist so gut wie nichts mehr vorhanden, der Oberkiefer zertrümmert. Am Zahnschema kann man normalerweise die Identität feststellen, aber Ihre temperamentvolle Kollegin ist gut auf unserem Skelett gelandet. Sie hat alle Möglichkeiten zur Identifizierung zerstört.«
»Nicht so voreilig, Herr Dr. Kehl!«, parierte Schnur. »Unsere Mitarbeiterin hat einen Namen, sie heißt Anke Deister. Sie war ausreiten, was nicht im Geringsten mit ihrer Arbeit zu tun hat. Freizeit steht jedem zu. Der Sturz ist wohl kaum als Vorsatz anzusehen. Deshalb beschränken Sie Ihre Beurteilungen auf das Wesentliche und unterlassen Sie Ihre Anspielungen!«
Der Alte stutzte.
Anke grinste. Sie hatte sich endlich daran gewöhnt, dass Schnur ihr neuer Chef geworden war. Mit seinem persönlichen Einsatz zu ihren Gunsten hatte er sie überrascht.
Erik warf ihr einen Blick zu, der denselben Gedanken verriet. Auch ihm entging Schnurs Geste nicht.
»Sobald ich mit den Untersuchungen an der Reihe bin, werde ich sehen, ob sich in den Zähnen noch verwertbares Material finden lässt«, lenkte der Alte ein. »Aber bei dem Anblick der Knochen bekomme ich meine Zweifel, ob sie wirklich in Ihren Arbeitsbereich gehören. Der Verwesungsprozess ist komplett abgeschlossen, was entweder auf eine lange Liegezeit hindeutet, oder aber, dass die Leiche bereits im Sommer 2003 dort gelegen hat und somit der langen Hitze und Trockenheit ausgesetzt war.«
»Die Leiche lag nicht tief begraben«, meldete sich der Archäologe zu Wort. »Das kann zweierlei bedeuten: Entweder sie wurde hastig entsorgt – liegt also noch nicht lange hier – oder die Erdmassen sind im Laufe der Jahrhunderte immer weiter abgetragen worden, sodass sie von allein auftauchte. Das müssen wir im Labor untersuchen.«
Schnur bedankte sich, bevor er sich zusammen mit Erik Tenes und Anke Deister von der Fundstelle entfernte. Den Dienstwagen hatten sie vor der Einfahrt zur Mülldeponie geparkt.
Dort blieben sie stehen.
Anke hoffte, dass Schnur sie nicht auf die Dienststelle bat, denn es war bereits spät. Sie sehnte sich nach ihrer Tochter Lisa. Außerdem war Freitagabend. Wer würde nun das Wochenende opfern müssen, weil sie durch ihren Sturz auf ein Skelett gestoßen war?
Erwartungsvoll schaute sie Schnur an, bis er endlich sagte: »Unsere Leiche ist schon länger tot. Deshalb brauchen wir nicht in Panik zu geraten.«
Erleichtert atmete Anke durch. Sie wollte sich gerade auf den Weg zu ihrem Auto machen, als Erik ihr nachrief: »Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist.«
Überrascht drehte Anke sich um und schaute ihm ins Gesicht. Die Sorge, die er aussprach, stand auch in seinen Augen. Es tat ihr gut, ihn so fürsorglich zu erleben. Bis jetzt war kein einziges Wort darüber gefallen, dass sie sich bei diesem Sturz hätte verletzen können. Umso mehr freute sie sich, dass es gerade von Erik kam.
»Danke!«
»Sei bitte in Zukunft vorsichtiger mit dem Pferd. Die Wege hier sind hart und steinig. Außerdem gibt es überall stark befahrene Straßen, was das Reiten noch gefährlicher macht. Ich möchte nicht bereuen, dir zu dem Kauf von Rondo geraten zu haben.«
»Das wirst du nicht«, versicherte Anke sofort. »Ich werde gut auf mich aufpassen.«
Kapitel 4
Anke stellte ihren Wagen auf dem kleinen Parkplatz vor dem Appartementhaus ab, in dem sie wohnte. Sie durchquerte das Parterre, verließ es durch die Hintertür wieder und steuerte den schmalen Pfad an, der sie zur Rückseite von Kullmanns Haus führte. Jedes Mal, wenn sie diesen Weg zu ihrem ehemaligen Chef und Mentor zurücklegte, erfreute sie sich daran, wie geschickt sie ihre Lebenssituation hatte einrichten können. Als alleinerziehende Mutter, die ihrer Arbeit als Kriminalbeamtin nachgehen wollte, war Kinderbetreuung unumgänglich. Und wer war dafür besser geeignet, als der ehemalige Chef, dem sie mehr vertraute als jedem anderen Menschen in ihrem Leben.
Schon von weitem hörte sie Lisas Lachen. Es ging ihr gut. Was gab es schöneres für Anke, als ihre Tochter glücklich zu wissen.
Als Lisa ihre Mutter sah, kam sie so schnell sie konnte auf sie zugelaufen. Überglücklich nahm Anke ihre Tochter in die Arme und trug sie zur Terrasse, wo Kullmann und seine Frau Martha beim Abendbrot saßen.
»Warst du bei Rondo?«, fragte Lisa immer wieder.
»Ja, ich war bei Rondo«, erklärte Anke und hüpfte mit ihrem Kind im Arm durch den Garten, als sei sie ein Pferd.
»Ich will Rondo reiten«, stellte Lisa ihre Forderung klar.
Als Anke nicht reagierte, wurde sie ungeduldig.
»Reiten! Reiten! Reiten!«, rief Lisa. »Wann darf ich auch mal?«
»Morgen«, überlegte Anke, ein Entschluss, den sie schon bereute, kaum dass sie ihn ausgesprochen hatte.
»Ist das nicht zu gefährlich?«, fragte Martha besorgt.
»Ach was! Lisa kann doch schon auf dem Pony ihrer Freundin reiten. Und Rondo ist viel braver als das Pony.« Anke bemühte sich um ein entspanntes Lächeln.
»Aber auch viel größer!«, sprach Martha genau das aus, was Anke beschäftigte.
Sie setzte ihre Tochter auf dem Boden ab.
Froh gelaunt hüpfte die Kleine durch den Garten. Inmitten der Grünanlage stand die große Schaukel, die Kullmann im Schweiße seines
Angesichts aufgebaut hatte, als Lisa noch in den Windeln gelegen hatte. Sie setzte sich auf einen der Hängesitze und wippte mit Schwung hin und her. Das war ein wirksames Mittel für Lisa, ihren Übermut zu bändigen. Kullmanns Wunderwerk war anfangs auf größte Skepsis gestoßen; heute verging kein Tag, ohne dass Lisa daran schaukelte.
Anke schaute ihrer Tochter zu, wie sie die Schaukel verließ und sich eine neue Beschäftigung suchte. Mit ihrer neuen Jeans, die den Schnitt einer Caprihose hatte, stolzierte sie zwischen ihren Spielsachen umher, die überall verstreut im Garten herumlagen. In ihrer neuen Garderobe sah sie geradezu perfekt aus. Stramme Beinchen lugten heraus. Ihr Gesicht war gerötet vor Aufregung, weil sie es genoss im Mittelpunkt zu stehen. Immer wieder schaute sie zurück, um sich zu vergewissern, dass ihr auch alle zusahen.
»Wie war dein erster Ausritt mit deinem eigenen Pferd?«, fragte Kullmann nach dem Abendbrot. Er war gerade dabei, jedem eine Flasche Bier zu öffnen.
Anke freute sich schon auf das kühle Gebräu. Doch mit seiner Frage riss er sie aus ihren Träumereien.
Kaum hatte Kullmann ihr die geöffnete Flasche vor die Nase gestellt, bemerkte er schon, dass sie etwas bedrückte. »Bist du runtergefallen?«
Martha schnappte nach Luft.
Anke zögerte eine Weile, bis sie antwortete: »Nicht nur das.«
»Was ist passiert? Hast du dich verletzt?«
»Nein!