Elduria - Die Entscheidung. Norbert Wibben

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Название Elduria - Die Entscheidung
Автор произведения Norbert Wibben
Жанр Языкознание
Серия Elduria
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754170670



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      Atropaias Augenlider hoben sich zitternd, jedoch nur für einen kurzen Moment. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Ihre schwachen Worte waren kaum zu verstehen.

      »Danke, meine Kleine. Ich fühle mich zwar matt, bin aber glücklich, wieder bei dir zu sein.«

      »Kann ich etwas für dich tun, soll ich dir erneut Lebensenergie übertragen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, breitete sie die Hände aus. »Beatha!«

      Sofort floss ein goldenes Glitzern zur Elfe hinüber. Schon nach wenigen Momenten straffte sich die Westelfe.

      »Das ist genug!«, forderte Atropaia. »Es ist wichtig, dass du darauf achtest, nicht zu viel deiner Energie abzugeben.«

      Runa folgte der Aufforderung sofort. Sie wollte sich keineswegs verausgaben. Voller Erstaunen, dass sie noch Magie anwenden konnte, hatte sie lediglich nicht darauf geachtet. Sie atmete erleichtert auf, dass für sie als Halbelfe gilt, was laut Atropaias Aussage auf Elfen zutrifft. Sie kann und darf den magischen Sprung nutzen, obwohl sie noch jung ist. Hätte sie das vorher gewusst, wären Dragon und sie bestimmt schneller nach Grimgard gekommen. Doch das war schließlich nicht mehr wichtig.

      Sie dachte sofort an Danrya. Warum hatte die ihr nichts davon gesagt? Weil auf dem Gebiet der Triqueta und vermutlich noch etwas darüber hinaus, Ortswechsel mittels Zauber nur über eine kurze Strecke nutzbar sind? Bei diesem Gedanken schrillten Alarmglocken, die sie jedoch vorerst ignorierte.

      Wichtiger schien ihr, dass die Westelfe inzwischen voller Sorge auf eine Nachricht von ihr warten würde. Das Mädchen meinte, manchmal in dem Gangsystem unterhalb Grimgards den drängenden Ruf der Elfe gehört zu haben, konnte aber nicht darauf eingehen. Deshalb versuchte sie das nun ihrerseits. Die Verbindung gelang fast auf Anhieb. Danrya hatte jedoch wenig Zeit, da sie ihre Aufmerksamkeit auf Aidan und die aktuell stattfindende Versammlung richten musste.

      »Wir sind erfolgreich gewesen«, sendete Runa hastig. »Details später.« Sie wartete keine Rückfrage ab, sondern unterbrach den Kontakt sofort wieder. Sie konzentrierte sich auf ihre Umgebung, da sie mit einer möglichen Verfolgung durch Creulon rechnen musste. Dass ihre Nachricht an die Elfe nicht präzise aussagte, ob es gelungen war, ihre Amme zu befreien, hatte sie nicht bemerkt. Deshalb grübelte Danrya in der Ferne darüber, ob das Mädchen lediglich ihr Eindringen in die Verliese Grimgards gemeint haben konnte.

      Runa fühlte ihrerseits ein undefinierbares Unbehagen. Sie konzentrierte sich auf die Umgebung, um Atropaia sicher in ihr Heim zurückzubringen. Sofort schoss ihr der warnende Gedanke von vorhin durch den Kopf. Auf dem Gebiet der Triqueta sind Ortswechsel mittels Zauber nur über eine kurze Strecke möglich. Genau das wird Creulon wissen und sich beeilen, den engeren Umkreis um die Festung abzusuchen.

      »Dragon, sind inzwischen Soldaten nahe der Burg zu erkennen? Nein? – Das ist äußerst verdächtig! Welche Alternativen gibt es sonst noch, um hinter uns her zu spionieren?«

      »Ich sehe mehrere Vogelschwärme. Genauer gesagt sind es Krähen. Sie fliegen fächerförmig von Grimgard los, allerdings nicht aufs Meer hinaus. Einige bewegen sich auf uns zu.«

      »Komm sofort herunter, wir müssen schnellstens hier weg!«

      Der Kolkrabe fühlte sich automatisch versucht, herausfordernd in Richtung des nahenden Krähenschwarms zu krächzen. Er wusste, dass er dadurch Creulon auf ihre Spur führen könnte und schaffte es mit Mühe, das zu unterdrücken. Indem er stumm blieb, verhinderte der Junge, dem dunklen Zauberer einen Hinweis zu liefern. Womöglich befanden sich sogar verwandelte Magier unter den Vögeln. Solange Drakonias oberstem Hexer der erste Ort der Flucht unbekannt blieb, fehlte ihm jeder Anhaltspunkt, wohin die Verfolgten fliehen würden.

      Runa nutzte den magischen Sprung erneut. Dieses Mal gelangten sie zu der Stelle auf der geraden Straße, wo ein Abzweig Richtung Kastell Drachenstein führt. Dragon zögerte, sich in den Jungen zu verwandeln. Er behielt vorläufig das Aussehen eines Kolkraben. Auch wenn nirgends Soldaten zu sehen waren, wollte er dadurch der Gefahr entgehen, erneut als Rekrut dorthin gebracht zu werden.

      Sobald die Nacht hereinbrach, nahm er aber wieder die Gestalt eines Drachen an. Auf seinem Rücken legten Runa und Atropaia eine beachtliche Strecke zurück. Gegen Mitternacht landeten sie nahe einem Schafstall, um dort eine längere Pause einzulegen. Auch die scheinbar unerschöpflichen Kräfte eines Jungdrachen müssen schließlich einmal aufgefrischt werden.

      Sie schliefen bis weit in den Morgen hinein. Genau genommen war es bereits kurz vor Mittag, als Atropaia vom Blöken einiger Schafe geweckt wurde. Sie blickte erstaunt um sich und benötigte geraume Zeit, um sicher zu sein, nicht zu träumen. Sie beugte sich über Runa, die sich im Heu neben sie gekuschelt hatte. Das schlafende Mädchen wirkte so erwachsen, dass sie sich fast nicht traute, ihre Wangen zu streicheln. Bei der ersten, sachten Berührung sprang dieses auf und hielt im gleichen Moment einen gespannten Elfenbogen in der Hand.

      »Scht, scht. Ich bin’s nur, mein Winterkind!« Die Stimme und die oft gehörten Worte versetzten Runa kurzzeitig in die Kindheit zurück. Sie blickte verwirrt auf den Bogen und ließ ihn sinken. Im nächsten Augenblick steckte sie ihn in eine Tasche zurück, nachdem er vorher mittels Magie wieder verkleinert worden war. Ihre Augen betrachteten forschend das Antlitz der Elfe, die erholt wirkte. Die Ruhepause hatte ihr offenkundig gutgetan.

      »Wie lange haben wir geschlafen?«

      Die Westelfe erhob sich und warf einen Blick nach draußen.

      »Ich glaube, die Sonne müsste fast den höchsten Punkt erreicht haben. Somit ist es gleich Mittagszeit.«

      Trotz der leisen Worte wachte nun auch Dragon auf. Er erhob sich, um sich ausgiebig zu recken. Dass er dabei sein Schwert in der Hand hielt, wirkte theatralisch. Er hatte es vorsorglich bereitgelegt, um gewappnet zu sein, falls sie unerwünschten Besuch bekommen sollten.

      Für eine Mahlzeit zauberte das Mädchen Brot, Wurst und Äpfel herbei. Zu trinken gab es Wasser. Der Junge strich sich schon bald über den Bauch. Er hatte im Gegensatz zu Atropaia Unmengen gegessen. Er reckte seine Gestalt erneut und trat mit der Waffe in der Hand vor den Schafstall. Nach einer länger dauernden Rundumsicht kam er zurück.

      »Es ist gut, dass wir unwillkürlich der Route auf unserem Hinweg Richtung Grimgard gefolgt sind, nur in umgekehrter Reihenfolge. Dadurch können wir einen Stopp in Herzhagen einlegen. Ich möchte mein Versprechen einlösen.«

      »Willst du zu dem versteckten Drachengrab?« Atropaia blickte ihn fragend an. »Kennst du den bestatteten Drachen?«

      Dragon berichtete ihr von seiner Lehrerin, und dass es sich um einen ihrer Brüder handelt, der dort vielen Elfen und Menschen das Leben rettete. Dass der Westelfe die Hintergrundgeschichte bekannt sein musste, entging dem Jungen. Er wiederholte, was er dem Mädchen beschrieben hatte. Atropaia schmunzelte verstohlen über seinen Eifer. Sie spürte, dass er als Beschützer gerne genauso berühmt wie dieser Drache sein möchte, vorzugsweise aber ohne dessen tragisches Ende.

      Bevor sie aufbrachen, veränderte Runa mit Magie ihr aller Aussehen. Dieses Mal wurden sie zu älteren Frauen, wodurch sie nicht Gefahr liefen, zwangsrekrutiert zu werden. Das hatte außerdem den Vorteil, dass ihre Geschwindigkeit zu der immer noch schnell ermüdenden Atropaia passte. Trotz der Übertragung von Lebensenergie mussten sie viele Pausen einlegen.

      »Ich wundere mich, dass du inzwischen derart gewachsen bist«, wendete sich die Elfe an das Mädchen. »Ich durfte nur in unregelmäßigen Abständen nach draußen, um unter schwerster Bewachung wenige Runden im Innenhof der Festung zu laufen. In den Kerkerraum gelangte nur geringe Helligkeit durch einen Lichtschacht, so dass ich kaum Tage von Nächten unterscheiden konnte. Trotzdem schätze ich die verflossene Zeit auf einige Jahre. Ich meine, es müssen etwa vier bis fünf sein.«

      Runa schüttelte den Kopf.

      »Es sind tatsächlich mehr als sieben. Ich bin inzwischen zwölf!«

      »Was? Nein, das glaube ich nicht! So lange soll ich eingekerkert gewesen sein? – In der ersten Zeit wurde ich täglich von diesem Owain verhört, manches Mal auch mit Folterwerkzeugen.« Sie erschauerte bei der Erinnerung daran. Sie folgten schweigend