Die Verdammte vom Ikenwald. Vanessa S. Morolt

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Название Die Verdammte vom Ikenwald
Автор произведения Vanessa S. Morolt
Жанр Языкознание
Серия Die Wiedergängerin
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738065145



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mir die erfahreneren Weiber, dass nun die gefährlichste Phase für eine Fehlgeburt hinter mir läge. Wenn sie mich sahen, nahmen sie mir den Wassereimer hilfreich ab. Sie boten mir an, die Wäsche für mich zu walken und obwohl mir diese Aufmerksamkeit ein wenig peinlich war, ließ ich sie doch gewähren und nähte ihnen zum Dank diesen und jenen Rock, bestickte die Säume oder flickte die Hemden ihrer Männer und Söhne.

      Wilm trat von hinten an mich heran – ich sah sein dunkles Gesicht in der spiegelnden Pfanne – und umschlang meinen Körper.

      „Du willst dir diesen Menschenauflauf wirklich zumuten?“, flüsterte er an meinem Ohr und fuhr mit den Lippen über meinen Hals.

      „Den Tanz in den Mai lasse ich mir sicher nicht entgehen. Mir geht es so gut.“ Ich strahlte ihn fröhlich an und schlang die Arme um seinen Nacken. Wilm überragte mich um gut einen Fuß und ich musste mich immer auf die Zehenspitzen stellen, um ihn küssen zu können.

      „Nun gut“, er trat einen Schritt zurück und musterte mich mit Wohlwollen, „machen wir uns auf den Weg.“ Aus seinem dunklen Gesicht konnte ich den Besitzerstolz herauslesen. Im Dorf hatte ich immer als das hübscheste Mädchen von allen gegolten und viele hatten Wilm beneidet, als mein Vater Alfons ihm meine Hand und damit die örtliche Tischlerei übergab. Ich galt als guter Fang. Über die Jahre hinweg verloren die Blicke der anderen Frauen an Neid und stattdessen wurden sie immer mitleidiger. Was war schon eine Frau, die kein lebendes Kind zur Welt bringen konnte? Wilm war ein herausragender Tischler und hatte einen gewissen Reichtum angehäuft. Er war ein beliebter und angesehener Mann von schneidigem Aussehen und ruhigem Charakter, immer hilfsbereit und keinem Menschen ein Dorn im Auge. Ich liebte ihn auf eine beständige, liebevolle Art und war sehr dankbar, dass er mir niemals meine Unfähigkeit vorwarf. Denn wie jeder weiß, liegt die Fruchtbarkeit einer Ehe an der Frau und nicht am Mann.

      Aber nun sollte sich alles ändern und es gab andere, die ein schlimmeres Los lebten. Meine liebe Freundin Annamaria hatte wie ich das dreißigste Jahr schon überschritten und keinen Mann gefunden. Als alte Jungfer fristete sie ihr Dasein als Haushälterin ihres verwitweten Onkels Anton und seiner beiden halbwüchsigen Söhne, die arge Raufbolde waren. Ich beneidete sie nicht.

       

      Hand in Hand durchquerten mein Gatte und ich die Straßen und gingen mit den anderen Nachbarn aus dem Dorf hinaus und zur Anhöhe nahe des Waldes, von dessen Fichten ein betörender harziger Duft zu uns strömte. Hinter den Baumkronen ging eine rotgoldene Sonne unter, deren letzte Strahlen den Himmel in warmes Rot tauchten. Einige junge Burschen stellten ausgehöhlte Baumstümpfe auf, in denen brennende Dochte in Öl schwammen und die Tanzfläche wurde von brennenden Fackeln umsäumt.

      Die älteren Frauen verteilten eine dicke Suppe in Tonkrügen und es gab auch Met und Bier. Ich lieferte die beiden Brote ab, die ich als Spende für das Fest gebacken hatte.

      Und dann spielten die Musiker endlich auf. Mit Flöte und Fidel.

      Manches Mal musste Wilm mich bremsen, weil ich mich beim Tanz so verausgabte. Aber das Kleine schien sich wohl zu fühlen und schwang seine Tanzbeine zum Takt der Musik in meinem Körper.

       

       Panisch sah ich mich nach einer Fluchtmöglichkeit um, doch der Nebel war auf allen Seiten gleichmäßig dick und undurchdringlich und es gab nichts, auf das ich hätte klettern können, um mich zu retten …

       

      Als der Abend schon fast in die Nacht übergegangen war, fand ich mich plötzlich mutterseelenallein am Waldrand wieder. Der Klang der Musik hallte noch leise an meinem Ohr und ich wusste gar nicht, wie ich mich so weit vom Festplatz hatte entfernen können. Nicht einmal die Geräusche der Liebenden, die sich in jedem Jahr nach und nach absonderten und sich in den Büschen liebkosten, waren zu vernehmen. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht als ich an die Nacht dachte, als Wilm mich zwischen die Bäume und hinunter zur Schlucht gezogen hatte um mich unter Küssen und Versprechungen zu seiner Frau zu machen. Keines seiner Versprechen hatte er jemals gebrochen.

      Nun hielt sich niemand in meiner Nähe auf, nicht einmal die Spechte oder die Eichhörnchen, die sich sonst in den Baumkronen tummelten. Die Stille hätte mich stutzig machen können, doch obwohl ich keine berauschenden Getränke genossen hatte, war ich trunken vor Übermut.

      Angst verspürte ich nicht. Ich liebte den Wald und hatte mich immer gern ins Gehölz geschlichen. Schon als kleines Mädchen hatte ich Pilze gesammelt und Kräuter und Blumen. Oft hatte ich nicht gewusst, was ich da überhaupt in meinen Korb legte und musste eine Nachbarin nach den Eigenschaften der Pflanzen fragen. Es ging mir auch nicht darum, eine Heilkundige zu werden. Ich genoss es einfach, die Ruhe des Waldes in meinen Geist eindringen zu lassen und das Kräutersammeln war ein Vorwand, um mich fortschleichen zu dürfen. Auch jetzt liebte ich den harzigen Geruch, der in meine Nase stieg. Ich schloss die Augen, breitete die Arme aus und drehte mich langsam im Kreis.

      ‚Ist es nicht wunderschön hier, mein Kind?‘ Ich dachte den Satz nur, weil ich mir sicher war, dass es meine Gedanken hören konnte.

      Und so drehte und drehte und drehte ich mich, bis ich stolperte und erschrocken die Augen aufriss. Zwei starke, kalte Hände fingen mich auf und ich sah in die blassgrünen Augen eines fremden Mannes. Vor Schreck schrie ich kurz auf, doch der Mann ließ mich sofort los, als meine Füße wieder Halt fanden.

      „Ich danke Euch, mein Herr.“

      Ich machte einen kleinen Knicks, denn offensichtlich war dieser Mann von edler Herkunft.

      Er erwiderte nichts. Sein Blick war traurig und er schüttelte den Kopf wie ein Vater, den die Dummheit seines Kindes wundert. Das Kind in meinem Bauch strampelte aufgeregt und plötzlich schlug mir das Herz bis zum Hals.

      Der Mann stand einfach nur da in seinen Kniehosen und dem altmodischen Wams mit dem viereckigen Hemdkragen. Das rötliche Haar war lang und fiel ihm seidig über die Schultern. Er sah aus, als wolle er einen Ball besuchen und die Spangenschuhe waren weder für einen Spaziergang durch den Wald, noch für einen Ausritt geeignet. Zumal sich auch kein Pferd in Sichtweite befand.

      „Habt Ihr Euch verlaufen, Herr? Der Hof des Grafen von Blausee liegt 5 Meilen gen Süden.“

      Ich zeigte in die entsprechende Richtung und machte einen Schritt auf den jungen Mann – er war sicherlich einige Jahre jünger als ich – zu. Er dagegen machte bei jedem meiner Schritte nach vorn einen zurück. Er sah bleich aus. Nicht nur seine Haut, sondern auch sein Haar und seine Kleidung wirkten wie mit einem Grauschleier überzogen, als stehe er im Nebel.

      „Herr, kann ich Euch helfen?“

      Da plötzlich näherte er sich mir, trat ganz nah und je näher er kam, desto durchscheinender wirkte er. Als seine Lippen nur eine Spur von meinem Mund entfernt waren, flüsterte er rau und heiser – als habe er seit Jahren nicht mehr gesprochen: „Erlöse mich.“

      Und dann spürte ich den Kuss des Todes. Zart und kalt. Mir wurde schwindlig, doch ich genoss dieses Gefühl und drückte meine Lippen fester auf diesen schönen Mund.

      Von weitem hörte ich Wilms Stimme, die meinen Namen rief. Der Fremde war verschwunden. Mein Kind hatte sich beruhigt und bewegte sich nur noch wenig in mir.

      „Ich komme, Wilm! Ich komme!“

      Wilm schalt mich auf seine zaghafte Art, dass es sehr verantwortungslos von mir gewesen sei, bei Nacht in einen Wald zu gehen, in dem es Wildschweine gab und sich durchaus auch einmal eine Räuberbande verbergen könne. ‚Und schöne, junge Männer mit zarten Lippen,‘ dachte ich bei mir und verbarg ein Lächeln. Annamaria dagegen schimpfte laut und unnachgiebig.

      Ich ließ alles ruhig über mich ergehen, schon ein wenig gelöst von der Menschenwelt, was ich damals noch nicht ahnte. Alles war unwirklich und fern mit einem Mal. Den leisen Schmerz, der in dieser Nacht in meinen Unterleib kroch, bemerkte ich kaum.

      Meine Gedanken weilten bei dem jungen Mann. Er war so wunderschön gewesen, hatte die gleichmäßigen Züge eines Engels gehabt. Das Grün seiner Augen war hell wie