Monstratorem. Anja Gust

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Название Monstratorem
Автор произведения Anja Gust
Жанр Языкознание
Серия Die Geschichte der Sina Brodersen
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753185286



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ehelichen Pflichten sehr schleppend nachkam? Sie wusste doch, dass der Grund dafür in einer Anomalie seines Gemüts lag. Er war eben, wie er war, impulsiv, cholerisch und für Sinnlichkeit nur schwer empfänglich. Entweder ganz oder gar nicht, war seine Devise. Alles dazwischen war nicht sein Ding. Und nun vermasselte sie ihm dieses letzte Vergnügen noch durch ihre zunehmend abweisende Art, so dass nicht mal mehr ein kleines ‚kille, kille‘ drin war.

      Hinzu kam eine weitere, noch weitaus schlimmere Angst. Obwohl das Vieh schon lange auf Spalten stand und die Säuberung ein Kinderspiel war, bot das noch lange keine Garantie vor epidemischen Seuchen. Selbst die antibiotischen Substanzen im Futter waren für ihn nur Drops, womit sich die Pharmaindustrie eine goldene Nase lutschte.

      Er würde es nicht überleben, sollte sein Hof deswegen zu Grunde gehen, denn dafür hatte er zu viel investiert. Und wie klein hatte er doch angefangen, so klein, dass ihn die Dorfältesten zu Beginn gar nicht sahen. Selbst am Stammtisch im Dorfkrug beim Stiefeltrinken wurde er nur geduldet und man amüsierte sich oftmals auf seine Kosten. Mittlerweile hatte sich das geändert. Nun machte er die Witze.

      Gehörte er doch längst zu jenen Newcomern, der in Ranzel einen Betrieb mit 300 Hektar Ackerland und rund 20000 Geflügelvögeln, wie Hühner, Gänse, Puten und Enten bewirtschaftete und kleinere Höfe gnadenlos an die Wand drückte. So was nannte man ‚New Age Generation‘. Oder anders ausgedrückt: Aus Laptop-Landwirten bestehende Lumpenhunde, die den Markt abzockten und anderen gegenüber stets den besseren Schnitt machten. Denn in der modernen Landwirtschaft wurde Muskelkraft längst durch Roboter ersetzt und Peilsender erstellten Daten über die Bodenbeschaffenheit von Agrarflächen. Ebenso gaben Computer einen Überblick über den Gesundheitszustand der Tierbestände. Programme schrieben Futterpläne. Es folgte die filigrane Steuerung der Antibiotikagabe; sowie der suboptimale Einsatz von Desinfektionsmitteln. Sensoren steuerten die Aussaat und maßen die Feuchte der Ernte und so weiter.

      Per Smartphone hatte Reimers jederzeit Zugriff auf das Netzwerk, wo er Temperatur, Licht und Wärme korrigieren konnte. Diese Digitalisierung war der aktuelle Höhepunkt einer jahrzehntelangen Entwicklung in der Landwirtschaft. Darüber hätte er mittlerweile promovieren können. Das hatte mit dem herkömmlichen Bild von dampfenden Misthaufen, grunzenden Schweinen, herumpickenden Hühnern und einem Kälbchen bei seiner Mutter nichts mehr zu tun. Derzeit bezeugten die hochspezialisierten Leistungsbetriebe das Ergebnis eines massiven Strukturwandels, welches eine anhaltende Landflucht seit Jahren verursachte.

      Inzwischen hatte sich Arko heiß aufgespult. Genervt angelte Peter Reimers den Feldstecher aus der Ablage heraus. Während sein 225 PSler weiterhin autark über den Acker rollte, fixierte der Bauer den gegenüberliegenden Knick. Plötzlich durchfuhr ihn ein Schreck. Unweit des Knicküberhanges entdeckte er einen toten Storch. ‚Die Vogelgrippe‘, durchzuckte es ihn. Sofort trat er auf die Eisen und schoss mit seinem Smartphone eine Serie von Bildern. Zuerst fotografierte er den Kadaver. Danach zwei weitere Störche, die auf dem benachbarten Brachland nach Nahrung suchten.

      Angewidert spie er aus. In diesem Zusammenhang verfluchte er den großmäuligen und dilettantischen Nachbarn Georg Sündermann, der es nicht einmal für nötig erachtete, seine Felder zu kontrollieren. Anstatt diese vernünftig zu bestellen, kassierte der Lump gesponserte Euromoneten. Mit einer ordentlichen Drainage und sinnvoller Flächennutzung hätten die Vögel sich kaum hier niedergelassen. Doch nun hatte Peter den Salat! Oh, wie gönnte er diesem Müßiggänger, dass seine Alte erst vor kurzem mit einem Jüngeren durchgebrannt war. Leider ergab sich daraus plötzlich eine andere Konstellation.

      Da Georg Sündermann seine Kaschemme mit den glotzenden Milchkühen nicht mehr alleine schmeißen konnte und sein Sohn Rolf wegen notorischer Unfähigkeit keine zukunftssichere Perspektive bot, hielt Sündermann Senior nach neuen Partnern und Pfründen Ausschau. Die neuartige Offenstallhaltung konnte das beileibe geldlich nicht rausreißen. Sündermann würde schon bald in Insolvenz gehen. Dafür verwettete Reimers seinen Arsch.

      Normalerweise würde ihn das nicht weiter tangieren, denn bei ihm brauchte er nicht anzuklopfen. Doch ausgerechnet Sündermanns Sohn Rolf schickte sich neuerdings an, Peters einzige Tochter Viktoria zu umschmeicheln, und diese zeigte sich nicht mal abgeneigt. Ja, war sie von allen guten Geistern verlassen? Dieser Typ besaß nichts, was einen Mann auszeichnete. Zudem war er ein launischer Dummschwätzer und ewiger Besserwisser, der sogar schon gewagt hatte, ihm Vorschriften zu machen. Man stelle sich nur vor!

      Dabei lebte dieser Kerl aus unerfindlichen Gründen in der irrigen Annahme, irgendwann einmal ein Vermögen zu übernehmen, und spielte sich auch so auf. Und dieses bornierte Geschwafel vom Hochseeangeln, welches er an den Wochenenden pflegte. Dem müsste man dringend den Weidezaun zurückstellen. Mit anderen Worten, man konnte sich keinen größeren Lackaffen vorstellen als diesen prolligen Baggy Pants-Träger mit absurden Ohrtunneln.

      Was musste Peter noch ertragen? Wütend ballte er die Faust. Dabei hätte sein Liebling wahrlich Besseres verdient, wie zum Beispiel den jungen Max-Tarde Mommsen. Zwar war er manchmal etwas begriffsstutzig. Auch verkörperte er mit seinen abstehenden Ohren und den vielen Sommersprossen nicht gerade einen Dressman. Dafür besaß seine Familie den größten Milchhof der Umgebung, der eine gute Partie versprach. Hinzu kam, dass er an einem Tag ein ganzes Feld mähen konnte, ohne gleich schlapp zu machen. Wiederholt hatte Peter eine Vermittlung angestrebt und einmal sogar ein Treffen arrangiert. Doch irgendwie wollte der Funke nicht überspringen. Nicht dass Max-Tarde zu dusselig war, er stellte sich vielleicht nur etwas ungeschickt an.

      Das versuchte er seiner Viki im Anschluss zu erklären. Aber sie wollte davon nichts hören. Ihr einziger Kommentar dazu lautete: „Ich lasse mich nicht verkuppeln!“. Das musste erst mal verdaut werden. Als ihm daraufhin der Kragen platzte und er ihr aufzählte, was ihm an diesem Heißsporn Sündermann Junior missfiel, nannte sie ihn einen Spießer. Schließlich würde sie bald dreißig und könne in solchen Dingen allein entscheiden. Rolf wäre der Mann ihres Lebens, gefolgt von weiterem Unsinn wie Liebe und so ’n Zeug.

      Offenbar wusste sie nicht, was sie da schwatzte. Liebe war etwas Edles und Gutes, das nur jemandem zustand, der sie auch verdiente. Doch davon konnte bei diesem Vogel keine Rede sein. Er hatte sich doch nur in ihr Herz geschmeichelt, weil ihr elterlicher Hof ihm eine gute Option versprach. Nur erkannte sie das nicht. Daher war es seine väterliche Aufgabe, Viktoria vor diesem Unglück zu bewahren. Natürlich waren schon deshalb kleineren Reibereien zwischen Rolf und ihm programmiert.

      Entnervt rieb er sich die Augen. „Braver Hund“, murmelte er und tätschelte Arko, allerdings, um sich in erster Linie selbst zu beruhigen. Dann nahm er das Fernglas wieder auf und fixierte erneut den Knick. Doch was war das?

      Am dortigen Straßenrand parkte ein dunkelblauer Audi. „Da wollen wir doch mal sehen, du Möchtegern, was du dort treibst!“, raunte er aufgebracht, als er einen gelackten Mantelträger erblickte. „Na, offenbar ein neunmalkluger Städter, der uns erklären will, dass Möhren nicht auf Bäumen wachsen.“ Arko spitzte derweil seine Ohren. „Das darf doch nicht wahr sein! Besitzt dieser Kerl tatsächlich die Frechheit, irgendwelchen Müll ins Unterholz zu werfen. Verdammtes Umweltschwein! Dafür wirst du blechen.“ Sofort zoomte Peter mit seinem Smartphone alles beweiskräftig heran und drückte auf den Auslöser.

      „Das war’s, mein Freund“, frohlockte er in boshafter Freude. „Aus dieser Nummer kommst du nicht mehr raus. Die Preise für solche Sauereien sind bekanntlich gepfeffert.“ Eine Nachschau im Viewer ergab eine gelungene Aufnahme. Selbst das Kennzeichen war zu erkennen. Doch was zum Teufel tat dieser Kerl jetzt? Nachdem sich dieser Bursche seelenruhig zum Wagen zurückbegeben hatte, zog er plötzlich etwas aus dem Mantel, das wie eine Pistole aussah, und zielte auf den Trecker. Fast war Peter geneigt, den Kopf einzuziehen, denn das sah verdammt entschlossen aus. Gott sei Dank blieb es bei dieser Trockenübung. Kurz darauf stieg der Typ ins Auto und fuhr los.

      Reimers Gesicht war eine einzige Frage. Der Bursche konnte unmöglich bemerkt haben, dass er gefilmt wurde. Dafür war der Bauer zu weit weg. Und doch stellte es sich so dar. Es war eine Pistole und er glaubte nicht, dass die nur Wasser verspritzte. Dieser Bursche schien überhaupt ein komischer Vogel gewesen zu sein. Wie albern der über den Feldweg gestakst war, nur um sich die Schuhe nicht zu beschmutzen. Der stammte garantiert nicht von hier und das HH-Kennzeichen musste auch