Das Lächeln von Kleopatra. Albert Morava

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Название Das Lächeln von Kleopatra
Автор произведения Albert Morava
Жанр Языкознание
Серия Die Flucht
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742798725



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als wäre etwas passiert, was sie nicht erwartet hätte. Sie liefen nebeneinander her, ohne sich anzufassen.

      "Wo sollen wir hin?" fragte er.

      "Egal. Irgendwohin. Quer hinüber durch die Altstadt, zum Pulvertor."

      Das war ein schöner, kleiner Spaziergang in den schmalen, romantischen Gassen der Altstadt, an den barocken Fassaden und unter den Giebeln von alten Patrizierhäusern vorbei, dort, wo einst auf dem Kopfsteinpflaster Pferdekutschen rollten. In einem der nahezu menschenleeren Gässchen blieben sie stehen und umarmten sich.

      Er küsste sie kurz auf den Mund und sie erwiderte den Kuss, ohne mit ihren Lippen auf seinen Lippen zu verweilen.

      "War vorhin etwas Schlimmes passiert?" fragte er und drückte sie fester an sich. Sie war zierlich und selbst in Stiefeln mit hohen Absätzen war sie um einen guten Kopf kleiner als er.

      " Nein...eigentlich nicht. Ich wusste ja, dass Ivana mich ersetzen wird. Nur die Art und Weise, wie mir gezeigt wurde, dass sie besser ist als ich, hat mich verletzt."

      "Hat Jerry dir gesagt, dass sie singen wird?"

      Ella biss sich verlegen auf die Unterlippe und schwieg. Er strich ihr mit der Hand über die Wange.

      "Er hat gesagt, sie würde auch dabei sein. Aber nicht, dass sie vor mir singen wird."

      Jan schaute ihr in die Augen, die zwei kleinen, blauen, von Morgentau umspülten Feldblümchen glichen. Ein zartes Tränchen lief ihr die Wange hinunter.

      "Ja, die Reaktion der Leute war umwerfend.." meinte er. "Hatte Jerry einen besonderen Grund, dich so zu behandeln?"

      "Er liebt mich", sagte Ella mit einem Hauch von Ironie in der Stimme. "Aber ich ihn nicht!"

      Sie nahm Jan fest bei der Hand und sie liefen weiter. Jan schwieg. "Nie war etwas zwischen uns", fügte sie ungefragt hinzu. Fast lässig wischte sie sich die Tränen vom Gesicht ab, mit einer Handbewegung, die etwas Stolzes an sich hatte.

      "Wer waren die anderen Jungs?" fragte er nach einer Weile.

      "Ach, die...", winkte sie ab. "Das sind meine Beschützer..die Gang aus meinem Viertel."

      "Wo wohnst du eigentlich?"

      "In Smíchov, bei der Oma, aber bald werde ich woanders hinziehen."

      Diesen Stadtteil Prags kannte Jan nur vom Namen her. Es war ein reines Wohnviertel, erbaut vor fast Hundert Jahren auf dem linken Moldauufer. Ziemlich zentral, bestand es hauptsächlich aus großen, heruntergekommenen Mietshäusern und besaß sogar einen kleinen Bahnhof für den örtlichen Nahverkehr mit Dampflokomotiven. Daher war die Luft in der Bahnhofgegend verrußt und unsauber, obwohl der Straßenverkehr sich in Grenzen hielt.

      Ursprünglich - als die Bahn noch unter österreichischer Regie fuhr, wohnten hier viele Bahnbedienstete des österreichischen Kaiserreichs. Jan hatte noch nie einen Weg dahin, seitdem er in Prag war.

      "Und wieso wohnst du bei der Oma?"

      Sie schaute ihn ernst an.

      "Weil ich woanders nicht wohnen kann."

      Sie standen jetzt am Altstädter Ring vor dem Altstädter Rathaus, an der Stelle, wo die historische Tafel daran erinnerte, dass hier im Jahre 1620 der gesamte tschechische Adel von den siegreichen Österreichern öffentlich enthauptet wurde.

      Die spektakulären Hinrichtungen zogen sich über mehrere Stunden hin und besiegelten den Anschluss Böhmens und Mährens an das österreichische Kaiserreich - bis zu seiner Zerschlagung und endgültigem Zerfall im Herbst 1918, was auch das Ende des ersten Weltkriegs bedeutete..

      Sie liefen weiter Hand in Hand, doch nicht zum Pulvertor, sondern durch die mondäne Pariser Straße bis zur übergroßen Stalinstatue am Stromovka-Park und setzten sich dort im Schatten eines üppigen, roten Rhododendron-Strauchs auf eine entlegene Steinbank. Hier war die Luft gut und wohlriechendend, Büsche und Bäume waren in voller Blüte und die Luft roch nach Jasmin.

      Dort blieben sie sitzen und küssten sich zum ersten Mal wirklich und lange, während die Vögel an den Bäumen um sie herum lustig zwitscherten. Ein Rotkehlchen kam hüpfend auf die Bank zu und sprang herum um sie, auf der Suche nach Brotkrumen.

      Nach einer Weile flog es fort mit sonorem, hohen Getzwitscher.

      "Glaubst du, dass eine Vogelsprache gibt", fragte Jan.

      "Ja, aber sie ist nicht für alle Vögel gleich."

      Später als die Sinnesfreude abgeflaut und ein leichter Wind aufgekommen war, wurde es von der Moldau her kühler und Ella erzählte ihm einiges über sich.

      Es stellte sich heraus, dass sie genau um ein Jahr älter war als er und am gleichen Tag wie er im Tierkreiszeichen der Waage in Prag geboren.

      "Sind wir uns deswegen ähnlich?"

      Im Mittelalter galt Prag als die Hochburg von Astrologen und Alchymisten und der berühmte König Karl I, dessen Namen die Moldaubrücke trägt, tat keinen Schritt, ohne seinen Hofsterndeuter Tycho de Brahe zu befragen. Doch von der Astrologie hatte Jan keine Ahnung.

      "Ich glaube, wir sind uns ähnlich", sagte er," aber warum, weiß ich nicht".

      Ella hatte ihren leiblichen Vater nie gekannt. Ihre Mutter, die in zweiter Ehe mit einem primitiven, ehemaligen Prager Ladenbesitzer verheiratet war, sprach wenig über ihre Vergangenheit. Jetzt bestimmte der Laden ihr Leben, der freilich jetzt nicht mehr ihm, sondern der staatlichen Lebensmittelkette Pramen gehörte. Immerhin war er nach wie vor Geschäftsleiter des Ladens. Dies gewährte der Familie eine gewisse Absicherung und bevorzugten Zugang zu Grundnahrungsmitteln jener Zeit - nach dem Krieg - auch ohne Bezugsscheine. Ella hasste diesen Mann.

      Wer ihr Vater war, erfuhr sie später von ihrer Großmutter, bei der sie zeitweise leben musste und die sie großgezogen hatte. Er war ein einfacher Soldat der deutschen Kriegsmacht, kurz in Prag stationiert, und später in Russland gefallen.

      Somit hatte Ella Verwandte im Rheinland - in der Gegend von Bonn. Als kleines Kind wurde sie von ihnen nach Westdeutschland eingeladen und blieb dort einige Wochen, einmal und nie wieder.

      Sie sprach kein Deutsch, das einzige Wort, das sie je gelernt hatte, war " ekelhaft ".

      Ihre Mutter, eine erotische Brünette mit Augen, die grün wie Efeu waren, und sehr temperamentvoll, heiratete einen Tschechen, der Ella adoptiert hatte und für sie einen kleinen Bruder zeugte. Die Ehe wurde nach drei Jahren wegen fortgeschrittenem Alkoholismus des Mannes geschieden, die Kinder blieben bei der Mutter. Ellas Stiefbruder Vladimir war um fünf Jahre jünger als sie selbst.

      Nach einiger Zeit heiratete die Mutter, die noch keine Dreißig war, zum zweiten Mal - den ehemaligen Ladenbesitzer mit despotischen Manieren. Sie arbeitete fleißig in seinem Laden mit. In der kleinen Wohnung wurde es eng und Ella zog zur Großmutter, wo es ebenfalls eng war. Doch die Oma war Witwe und ohne Interesse an männlichen Bekanntschaften.

      Sie - überzeugte Kommunistin - lebte mit ihrer jüngsten Tochter zusammen, die jünger war als Ella. Sie bewohnten zusammen eine Einzimmer-Wohnung mit großer Küche in einem der verkommenen Mietshäuser in der Bahnhofsgegend von Smíchov.

      Dort war Ellas Zuhause. Jan, der aus einer ganz anderen Welt kam, fand ihre Geschichte eher interessant als tragisch.

      Er erzählte über sich, aber Ella schien nur mit einem Ohr zuzuhören. Ein Leben weit weg von Prag, in der Provinz war ihr ebenso fremd, wie Jan ihre Lebensgeschichte. Doch der erste Schritt war jetzt getan und es galt, sich noch besser kennenzulernen.

      Als es dunkel wurde, begleitete er sie zur nächsten Straßenbahnhaltestelle und sie verabredeten sich für den nächsten Sonntag am Nationalmuseum vor der Statue des berittenen Heiligen Wenzels - direkt am Wenzelsplatz.

      "Ich komme mit meinem Hund!", sagte sie zum Abschied.

      "Mit einem kleinen Schoßhund?" Er konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Großmutter auch noch einen Hund, der diesen Namen verdient, bei sich beherbergen könnte.