Todgeweiht im Odenwald. Werner Kellner

Читать онлайн.
Название Todgeweiht im Odenwald
Автор произведения Werner Kellner
Жанр Языкознание
Серия Mordskrimigeschichten im Odenwald
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754182093



Скачать книгу

war extrem nervös und ängstlich, den Abflug zu verpassen. Andauernd war er zum Briefkasten gerannt, um nachzusehen, ob die erwarteten Unterlagen schon eingeworfen worden waren, als er mit dem Erpresserbrief wild fuchtelnd vor ihr auftauchte.

      „Um Himmels willen Maria, was ist denn das jetzt?“

      Maria hatte den geöffneten Brief mit zitternden Händen entgegengenommen und sofort das Erpressungsmuster erkannt.

      Nur dass dieses Mal ihrer Familie und insbesondere Julia schmerzhafte Konsequenzen angedroht wurden, wenn sie nicht einlenken würde.

      Maria konnte genauso stur sein und nach Nachgeben stand ihr definitiv nicht der Sinn.

      In ihrer Angst trichterte sie Julia ein, sich ständig in ihrer Nähe aufzuhalten. Oder bei Oma bleiben, wenn sie bei ihr wäre.

      „Wer schreibt denn sowas“, schrie Karsten lauter werdend und setzte Maria damit nur weiter unter Druck.

      Sie zuckte die Schultern und sagte frustriert, „du weißt doch genauso gut wie ich, wer hinter diesen Drohungen steckt. Ich halte das nicht mehr lange aus, das kannst du mir glauben. Und ich habe keine Ahnung, wie ich diesen Horror stoppen kann.“

      Die Verzweiflung war ihr anzusehen, aber ihr Göttergatte ließ nicht locker, „das geht uns alle etwas an, und wenn du dich nicht endlich zu einer Abtreibung aufraffst und einen Schlussstrich für uns alle ziehst, wird es nicht besser werden.“

      Tief in ihrem Inneren wusste Maria, dass sie das Kind unter diesen Umständen niemals behalten würde.

      Und ebenso natürlich war ihre erste Überlegung gewesen, diese Schwangerschaft sofort abzubrechen.

      Es waren weniger moralischen Bedenken, die sie davon abhielten, diesen Gedanken weiterzuverfolgen.

      Es war die Sorge, ob sie sich damit nicht die Zukunft für künftige Wunschkinder verbauen würde.

      Sie war sich absolut nicht im Klaren darüber, wie sie eine Abtreibung gesundheitlich überstehen würde. Nach Julia hatte sie zwei Fehlgeburten, sodass sie ernsthaft befürchtete, in der Folge eines künstlichen Abbruchs kein zweites Kind mehr austragen zu können.

      Sie hatte ärztlichen Rat eingeholt, ohne ihre Familie darüber zu informieren, und das Ergebnis war ernüchternd. Wenn sie jetzt abtrieb, war niemand bereit, ihr die Möglichkeit eines zweiten Kindes zu garantieren.

      Vor allem deswegen und weniger wegen Karstens Vorstellung eines normalen Lebens verursachte ihr allein der Gedanke an Abtreibung seelische Schmerzen.

      Für Karsten hingegen wäre das der sauberste Weg und das Problem verschwunden. Sie stürzte dieser Vorschlag in eine depressive Phase, die sie kaum mehr aushielt.

      In ihrer Verzweiflung und ausgelöst von dem Drang, mit jemandem zu reden, hatte sie Steffi Schwaiger angerufen, die sie bei dieser ominösen Heiminspektion und der polizeilichen Aufarbeitung kennen und schätzen gelernt hatte. Entgegen ihren Befürchtungen fühlte sie sich nach dem Telefonat erleichtert. Sie redete sich sowohl die aktuellen Geschehnisse als auch die Vorgeschichte von der Seele.

      „Du darfst diese Ereignisse und die Vergewaltigung nicht verdrängen. Du musst dich der Situation stellen. Wenn du willst, können wir uns gerne treffen, und ich helfe dir, so weit ich es vermag“, hatte Steffi ihr angeboten.

      Die Ereignisse dieses Schlusstages ihrer Inspektion in der Seniorenoase ‚Jungbrunnen‘, die sie gemeinsam mit ihrem Kollegen Tobias Klein bei ihrem ersten Außentermin im Auftrag der Heimaufsicht durchführte, hatten sich tief in ihrem Unterbewusstsein eingegraben. Und trotz aller mentalen Anstrengungen ließ er sich seither nicht mehr aus dem Speicher löschen. Einzig aus Sorge um Julia verwarf sie die Selbstmordgedanken so schnell, wie sie gekommen waren.

      Sie hatte sich inzwischen nach all den Tiefs und Hochs, die sie durchlebte, dazu durchgerungen, das Neugeborene zur Adoption freizugeben. Sie redete sich ein, es wäre nicht verkraftbar das Ungeborene in ihrem Schoß zu töten, selbst wenn einer aus der Riege der Mafiamitglieder gegen ihren Willen und gewaltsam das Kind gezeugt hätte.

      Leider und insgeheim war sie sicher, dass Tobias Klein der tatsächliche Vater des Ungeborenen war. Sie benötigte keinen Pränataltest für die Vaterschaft angesichts der Spermienüberzahl von Tobias in ihrer Vagina, die seine Teilnahme an der Vergewaltigung bestätigt hatte. Und wegen der fehlenden Samenspuren der anderen drei. Von denen nur das Geständnis des Frank Koch eine Schulderkenntnis und Anklage der Mafiosi ermöglicht hatte.

      Sie fühlte sich leer und ausgelaugt und hätte am liebsten bei Martin Köberl angerufen, um den Job der provisorischen Pflegedienstleitung hinzuschmeißen, und um sich krankzumelden.

      

       Steffis Albtraum

       Erbach, Mittwoch 2. Dezember 2020

      Nach ihrem Telefonat mit Maria schlief Steffi die ganze Nacht beschissen und träumte von ihrem Womanizer, der sie in einem Albtraum vergewaltigte bis sie schweißgebadet aufwachte. Sie holte sich ein Glas Wasser aus der Küche und versank dann nochmals in tiefem Schlaf.

      Hans hingegen schnarchte wie ein Murmeltier und bekam nichts von Steffis Albtraum mit.

      Er saß schon beim zweiten Teil seines Frühstücks und verschlang ein mit Marmelade beschmiertes Croissant, derweil Steffi verstört und im Nachthemd auftauchte und sich den Wuschelkopf mit den Händen bearbeitete.

      „Was für eine Nacht“, stöhnte sie.

      „Was ist los, du siehst aus, wie einmal durch den Wolf gedreht?“

      „So fühle ich mich auch.“

      „Trink erst einmal einen Kaffee. Ich setze ihn dir auf“.

      „Bloß nicht, allein bei dem Gedanken an das Gebräu wird mir schon schlecht. Ich brüh mir lieber einen Kamillentee oder besser noch einen sylter Strandtee auf.“

      „Seit wann trinkst du denn Tee?“

      „Papa, du bekommst aber auch gar nichts mit“, mischte sich unerwartet Emina ein, die ebenfalls früh aufgestanden war, um Steffi auf ihrer morgendlichen Gassirunde mit Django zu begleiten. Der stand schon schwanzwedelnd neben seinem Napf und rührte mit der Schnauze in der leeren Schüssel.

      „Du bekommst gleich etwas“, lenkte Steffi vom Thema ab und füllte den Fressnapf halb voll mit Trockenfutter, das er gierig und mit lautem Knacken verschlang.

      „Vermutlich hat mich das Telefonat mit Maria so aufgeregt, dass ich schrecklich geträumt habe. Ich will es euch gar nicht erzählen, so grässlich war es.“

      „Was hat die Maria denn erzählt, dass du davon wie in einem dramatischen Film träumst?“, hakte Hans nach.

      „Stell dir vor, nicht nur, dass sie damals vergewaltigt wurde, jetzt stellt sich heraus, dass sie zu allem Überdruss schwanger ist.“

      Steffi pausierte kurz, bevor sie den für sie wichtigen Teil der Unterhaltung auf den Abend verschob.

      Es ging ihr um eine Information, die exakt zum Thema passte, und für die sie sich Zeit nehmen wollte. Morgens herrschte zu viel Unruhe am Frühstückstisch für ein ausführliches Gespräch. Da hatten alle nur das tägliche Hamsterrad im Kopf, bevor sie zu ihren Tagesgeschäften aufbrachen. Aus diesem Grund vermied sie es, sich beim Frühstück zu exponieren. Sie bevorzugte es, Hans bei einem Glas Wein entspannt auf die neue Situation einzustimmen.

      Stattdessen setzte sie Hans über die Erpressung von Maria ins Bild.

      „Und jetzt haltet euch fest. Vor zwei Wochen hat sie nach diversen SMS-Nachrichten den ersten Drohbrief bekommen, um sie zu bewegen, die Anzeige gegen die Vergewaltiger zurückzuziehen.“

      „Außer der Tatsache, dass der Brief im Postamt Frankfurt-Sachsenhausen am 15. November abgestempelt wurde, gibt es keine Hinweise auf den Absender“, bedauerte Steffi.