Название | Trümmerprinzessin |
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Автор произведения | Ruth Broucq |
Жанр | Языкознание |
Серия | Familiensaga |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742744777 |
Sehr früh fuhr ich oft alleine meine Tanten besuchen, die älteren Schwestern meiner Mutter. Von Mutters vier Geschwistern, drei Schwestern und ein Bruder, wohnten zwei nah beieinander. Die stabile, burschikose Tante Jule und die zarte, sanfte Tante Hilde wohnten in dem gleichen, von uns 5 km entfernten ländlichen Ortsteil Aufderhöhe, in dem es überwiegend Bauern gab.
Wenn ich an dem abfahrbereit stehenden Bus der Linie 24 vorbei kam stieg ich manchmal ohne lange Überlegung ein, aber ebenfalls ohne Geld. Weil sich das Busdepot kaum 100 Meter gegenüber von unserem Haus befand, meine Mutter während des Krieges Straßenbahn – Schaffnerin gewesen war, kannten mich die Busfahrer fast alle. Schmunzelnd fragten sie mich dann: >Na Ruthchen, willst du zur Tante Jule?< Aber nach dem Fahrpreis fragte keiner.
Auch wenn ich eigentlich zu meiner Lieblingstante Hilde wollte, nickte ich nur, denn ich wollte schließlich ungestört die Fahrt genießen und selbst die Kontrolleure belästigten mich dabei nicht.
Während Jule zur Miete in der Gesinde- Hofschaft des Bauern Ley, gleich gegenüber der Haltestelle wohnte, lebte Hilde auf dem Gehöft des Bauern Scherf, einen langen Fußweg entfernt, der von der befestigten Straße mitten durch die Felder führte.
Manchmal erwischte ich den 24ziger nicht rechtzeitig, so dass ich mit der Linie 1 fuhr dann und eine Viertelstunde durch den Merscheider Busch laufen musste. Das kam einer Mutprobe gleich, denn dieser dunkle Wald war mir unheimlich.
Dann nahm ich allen Mut zusammen und versuchte meine Furcht mit hüpfen, singen und trällern zu übertünchen. So erkundete ich schon früh die Umgebung und machte häufig selbständige Spazierfahrten als erste und bekannteste Schwarzfahrerin unserer Stadt.
Ich war ein selbstbewusstes Persönchen. Denn weder meine kleine zierliche Gestalt noch der kindliche Sprachfehler (das K bereitete mir Schwierigkeiten) hinderten mich daran, mit zarten fünf Jahren die Führung unserer kleinen Clique zu übernehmen. Niemand meiner Spielgefährten hatte mich darum gebeten, es hatte sich wie selbstverständlich ergeben als die Kinder vom Nordbahnhof-Viertel in unser Revier einzudringen versuchten.
Unser Revier war ein Bauhof. Ein großes eingemauertes Gelände das dem Vater meiner Freunde Uschi und Wolf Buntenbach gehörte. Trotz des Baumaterials, den Steinen, Sand, Holz, Betonsäcken, Leitern und Spaten, bot der Hof noch reichlich Platz zum Spielen für unseren 5köpfigen Freundeskreis. Gerade wegen der verschiedenen Werkzeug- und Baumaterialien war das wahrhaft ein Abenteuer- Spielplatz, den wir heiß und innig liebten.
Das große Grundstück, an der Kuller- Ecke Schlachthofstraße, lag in dem zentralen Kreuzungsbereich Schlagbaum, am Rande der City unserer bergischen Heimatstadt. Es war keine vornehme Gegend sondern eher ein Arbeiterviertel. Denn die Bus-Halle der städtischen Verkehrsbetriebe 50 Meter weiter, die Straße zum Schlachthof gleich nebenan, sowie einige Fabriken in der näheren Umgebung bestimmten das Landschaftsbild, sowie dessen Bewohner.
Auf der rechten Seite des Platzes schützte eine hohe Mauer vor einem steilen Abhang der zum tief unten gelegenen Nordbahnhof führte.
Das friedliche Spiel unserer Fünfköpfigen Rasselbande, bestehend aus 4 Mädels zwischen 5 und 7 Jahren und dem achtjährigen Wolf, wurde jäh durch den Angriff der Nordbahnhof- Horde gestört.
Als plötzlich Köpfe über den Rand der Nordmauer ragten und Steine auf uns zuflogen, standen meine Freunde vor Überraschung wie erstarrt hilflos auf einem Fleck.
Das war der Moment an dem ich geistesgegenwärtig die Führung ergriff, indem ich ebenfalls zu kleinen Steinen griff und während ich die Gegner bewarf laut schrie: >Auf sie- feuert auf sie- die Nordbahnhof - Banditen greifen an. Vertreibt sie von unserem Hof. Los Leute- mir nach! Hört auf mein Kommando! Vernichtet sie!< Dabei griff ich immer wieder neue Steine vom Boden, ungeachtet der Größe, und während ich die Geschosse in Richtung der Eindringlinge warf lief ich, mit Indianergeheule, immer weiter auf die Mauer zu.
Nur Minuten brauchten meine Mitstreiter um sich aus der Erstarrung zu lösen und es mir gleich zu tun. Nach wenigen Minuten hatten wir den Angriff abgewehrt, die Eindringlinge vertrieben und waren wieder Herr der Lage und unseres Reviers.
Meine Freunde lobten mich und erkoren mich zu ihrer Anführerin.
>Gut! Leute, wir werden unseren Platz verteidigen! Die Nordbahnhof- Banditen haben hier nichts zu suchen. Ab heute zeigen wir denen wer hier zu sagen hat. Wir sind jetzt die Förmchenbande vom Schlagbaum. Einverstanden?< posaunte ich mit stolz geschwellter Brust, denn mein Blick auf den Sandhügel hatte mir gleichzeitig den Namen unserer neu gegründeten Bande eingegeben. Und ausgerechnet das jüngste Bandenmitglied, hatten meine Kameraden zur Führerin ernannt. Mich! Ich war die Chefin. Und das wollte ich auch mein Leben lang bleiben.
Das war die Geburt meiner Führungskraft.
Unverletzbar
Meine liebste Freundin kam aus >gutem Hause<, hieß ausgerechnet Elke, was diesen eklig schwierigen Buchstaben K beinhaltete. Wenn ich sie zum Spielen abholen wollte und meine Zunge mir mal wieder den korrekten Dienst verweigerte, amüsierte es Elkes Oma köstlich wenn ich fragte: >Tommt de Elte?<
Oma Schnitzler mochte mich, Elkes Mutter dagegen nicht, ja sie behandelte mich mit deutlicher Verachtung. Sie war eine große, stabile dunkelhaarige Frau, die durch ihren dunklen Damenbart sehr dominant und dadurch auf mich recht beklemmend wirkte. In ihrer Hochnäsigkeit war sie gegen die Freundschaft ihrer Tochter mit mir, dem sprachbehinderten Kind einer alleinstehenden Arbeiterin. Dabei hatte auch Elke eine sogar deutlich sichtbare Behinderung, sie humpelte weil sie ein kürzeres Bein hatte. Aber als Ehefrau eines selbständigen Graveurs hielt sich Frau Schnitzler für etwas Besseres und ich war eben nur armer Leute Kind.
Auch ihre große Wohnung in dem schönen Zweifamilienhaus der Großmutter zeigte deutlich den krassen Unterschied zu unserer schlichten Behausung in einer ärmlichen abrissreifen Holz-Baracke, in der von 6 Zimmern nur drei benutzbar waren. Weil es durch das undichte Dach in die Anderen rein regnete war dort der Bretter-Boden morsch. Zudem wimmelte es in den anderen 3 baufälligen Zimmern nur so von Ratten, Mäusen und anderem Ungeziefer.
Außerdem gab es in unserer Behausung weder Elektrizität noch fließendes Wasser. Eine Petroleumlampe und Kerzen dienten zur Beleuchtung. Das nötige Wasser schleppte Mutter mühsam von der Bushalle zu uns rüber. Draußen im Hof stand unser WC, das Plumpsklo.
Dieser Unterschied zeugte von dem krassen sozialen Abstand, obwohl unsere Wohnhäuser in der Sudetenstraße nur wenige Hausnummern auseinander lagen.
Elke hatte sogar ein eigenes Zimmer und zu deren Haus gehörte ein Vorgarten mit Blumen und dahinter gab es viele Obstbäume. Ich musste mein Schlafzimmer mit meiner Oma und Schwester teilen, mit meiner Schwester sogar das Bett.
Als habe sie Angst umzufallen stand unsere Windschiefe Baracke rücklings an ein großes Fabrikgebäude aus roten Backsteinen gelehnt.
Vor unserer Hütte gab es zwar eine eingezäunte Wiese, in der uns aber eine einsame alte Trauerweide die Sonne wegnahm, so dass es im Haus immer kalt und schattig war.
Obwohl mir der soziale Unterschied schon durch die Art der Behausung deutlich vor Augen stand, lag mir jeder Neid fern. Denn die große Nachkriegs-Wohnungsnot blieb selbst einem naiven Kleinkind nicht verborgen, weil sie durch die vielen Ruinen überall präsent war. Die Zerstörung sahen wir Kinder aber auch als abenteuerlichen Vorteil, weil meine Schwester und ich oft wertvolles Altmetall in den Ruinen fanden, was uns beim Schrotthändler bare Münze einbrachte.
Auch dass die Schnitzlers ein Auto hatten, und Elke feine Kaufhauskleider trug während ich nur die, aus geschenkter Altkleidung, von meiner Mutter selbst genähten bekam, sah ich als normale Lebenslage an. Unserer Freundschaft tat die kontroverse Lebenssituation keinen Abbruch.
Gerne hätte Frau Schnitzler mich vertrieben, aber weder gegen die kindliche naive Freundschaft, noch gegen die Sympathie der Oma kam die Dame aus besserem Hause an.
So