Grün ist das Leben. Wolfgang Bendick

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Название Grün ist das Leben
Автор произведения Wolfgang Bendick
Жанр Языкознание
Серия Zu Wasser und zu Lande
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742744012



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er bedachte all die langhaarigen Hilfswilligen und unsere Freunde, die auf den Hof kamen, mit bösen Blicken. Einer seiner Söhne half auch oft auf dem Hof mit, vor allem, wenn es um Arbeit mit Maschinen ging. Dann wollte der eine Lehre auf dem Hof des Onkels machen. Doch dieser weigerte sich, ihn zu nehmen, mit der Begründung, dass Lehrlinge zu viel Material kaputt machten. Also machte er seine Lehre bei einem anderen Biobauern in der Gegend. Doch dieser ließ sich den Lehrlingslohn für den Buben von dessen Vater zurückerstatten! Weil in der Landwirtschaft nichts verdient wird und weil man früher ein Lehrgeld hatte zahlen müssen! „Wenn ich einmal Bio-Bauer sein werde, werde ich so manches anders machen!“, nahm ich mir oft genug vor.

      Nebenher machten wir uns an das Überholen der Maschinen. Ich sah, dass das etwas war, was der Bauer nur ungern tat. Mich störte es nicht und ich fand es außerdem interessant, den Mechanismus auszutüfteln und zu überlegen, wie man ihn verbessern könnte. Was ich hier schon an Maschinen repariert habe, die der Bauer kaputt gemacht hatte! Das passiert einfach! Es ist zu einfach, alles immer auf die Aushilfskräfte zu schieben… Ein paar Ölwechsel waren schon lange überfällig, abgebrochene Messer der Fräse mussten gewechselt, der Mähbalken abgeschmiert und Messerklingen und -finger ersetzt werden. Der Kratzboden des Mistbreiters war ebenfalls durchgefault. Ich nahm Maß und ließ in der Sägerei die Bretter schneiden und einseitig hobeln. Als der Bauer das verrostete Gerippe des Gerätes sah, verzweifelte er und meinte, jetzt müsse er einen neuen kaufen! Und diesen ‚neuen‘ hatte er 14 Tage und zwei Töpfe Rostschutzfarbe später! Ich musste schon sehr genau hinhören, um so etwas wie ein Lob in seinen Worten zu finden…

      Klar, dass ich in dieser Zeit viel lernte, auch wenn mir vieles etwas abstrus erschien, fehlte mir doch der anthroposophische Hintergrund. Was mich am meisten störte, war das dauernde Klagen, wie schlecht es den Bio-Bauern ging und dass sie von der Welt verkannt würden, obwohl sie doch das Heil der Welt seien! Für mich wurde langsam klar, dass Nahrungsanbau auf saubere Weise geschehen muss! Aber ob ich mich mal später dieser märtyrerhaften Sichtweise anpassen würde, bezweifelte ich.

      Doris arbeitete meistens zusammen mit der Bäuerin auf dem Feld oder bei der Gemüsevorbereitung. Ich mit dem Bauern oder alleine. Wir begannen, den Dachboden der ans Haus angrenzenden Scheune aufzuräumen. Hier sollte eine Decke eingezogen werden, um mehr Lagerraum zu gewinnen. Seit einer Generation wohl war hier oben nichts mehr gemacht worden! Wir entdeckten einen Stapel Birnenholzbretter. Der Bauer war ganz gerührt, als er sie sah. Er hatte den Stamm damals sägen lassen, um ihn seiner Braut in Form eines Kleiderschrankes zur Hochzeit zu schenken! Ja, und dann war die viele Arbeit dazwischengekommen, die Zeit und das Vergessen… Und Vergessenes gab es massenweise hier oben: ein alter Holzpflug, die Schar mit Eisen beschlagen, Joche zum Ochsen einspannen, abgebrochene Sensen, die man mal hatte schweißen wollen, Rechen, Milchkannen, Küchenkästen, Kinderwiegen, Kuhglocken und vieles mehr. Einmal der Staub abgekehrt, kamen oft wunderschöne Dinge zu Tage. Das Räumen zog sich hin, denn mit jedem Gegenstand kamen auch Erinnerungen, und der Haufen dessen, was verbrannt werden sollte, blieb dementsprechend klein. Einmal die Zwischendecke eingebaut, wanderten die meisten Dinge wieder hinauf. „Das kann man wieder brauchen, wenn sich die Zeiten ändern! Man könnte sogar ein Museum damit ausrüsten…. Wir zwei bekamen eines der Birnbaum-Bretter geschenkt, woraus ich zwei niedrige Tischchen baute und eine runde Holzscheibe, um Brot darauf zu schneiden. Das heißt, Doris entwendete sie von dem zum Verbrennen vorgesehenen Haufen.

      Ich hatte es so eingerichtet, dass ich samstags frei hatte. Diesen Tag fuhr ich mit dem Radl zu einem Heilpraktiker an der Schweizer Grenze. Das war eine gute Stunde Weg, meist auf Radwegen am See entlang. Das einzige Problem war immer auf der Rückfahrt der deutsche Zoll an der Grenze. Obwohl die mich inzwischen kannten, ließen sie es sich nicht nehmen, ihre kleinen Schikanen-Tricks anzuwenden. Zumindest den Ausweis abnehmen und für zehn Minuten auf einen Schreibtisch legen, zwecks Nachforschung. Am ärgsten war das am Bahnhof, wenn ich wegen schlechten Wetters den Zug genommen hatte. Dort hielt man in der Regel meinen Ausweis so lange ein, bis der Anschlussbus weggefahren war und ich also heimlaufen musste. Doch zum Glück konnte ich oft trampen!

      Der Heilpraktiker war ein alter Mann, der Kaufmann gewesen war und während der Rente seine Liebe zu den Kräutern entdeckt hatte. Er war von einem Kreis älterer Frauen umschwärmt, die nichts lieber hatten, als sich von ihm auf unseren Kräuterwanderungen im Moos die Krampfadern massieren zu lassen. Bei schlechtem Wetter trafen wir uns bei ihm zuhause. Seine Theorie war einfach: gelbe Pflanzen halfen hauptsächlich bei Leberleiden, rote fürs Blut, weiße bei ‚Frauenleiden‘. Wir setzten mit Schweineschmalz Salben an, mit Schnaps Tinkturen und trockneten Kräuter, um sie als Tee zu verwenden. Er brachte mir auch die Grundzüge der ‚Lymphdrainage‘, einer einfachen Massageart bei. Ich sah, dass nicht das Wissen eines Doktors wichtig ist, sondern seine ‚Aura‘. Hinkende Frauen wurden zu flinken Grashüpfern, wenn er fünf Minuten ihre Beine massiert hatte! Glaube und Vertrauen können Wunder bewirken! Das hat auch die Kirche schon lange begriffen und ausgenutzt!

      Wir waren mitten in einer Sitzung, als ein Citroen-Kastenwagen, den man auch ‚Wellblechgarage‘ nannte, vor unserem Versammlungsraum hielt. Er gehörte Geoff, einem Engländer, der in Lindau für ein paar Monate in einem Architektenbüro arbeitete. Er und Doris stiegen aus und fragten nach mir. Sie war ganz aus dem Häuschen, denn der Bauer brauchte mich dringend, weil er eine Aussaat machen wollte, und nur heute wäre der Kalender günstig! Außerdem hatte er angekündigt, uns rauszuschmeißen, da ich nie da sei, wenn man mich mal wirklich bräuchte! „Das hätte er mir ja am Vorabend sagen können, dann wäre ich daheim geblieben!“, dachte ich. Also Fahrrad in den Kastenwagen und zurück! Am Hof angekommen, kein Bauer zu sehen. „Er macht gerade sein Mittagsschläfchen!“, meinte seine Frau. „Ich denke, es ist dringende Saatarbeit angesagt und er braucht mich!“, warf ich ein. „Das kann morgen auch noch gemacht werden, da ist der Kalender sogar noch günstiger!“ So kamen zu den Schikanen der Zöllner noch die Schikanen des Bauern… Geoff meinte, das sei doch nicht schlimm, rollte einen Joint und fuhr dann mit uns in den Wald, unser restliches Brennholz zu holen.

      Die schönsten Augenblicke sind immer, wenn wir abends unser Stübchen einheizen und es uns gemütlich machen. Die Blasen an unseren Händen haben sich in Schwielen verwandelt, unsere Fingernägel sind schwarz und gesprungen, die Fingerkuppen und Nagelansätze eingerissen und schrundig. Jeden Mittag und Abend tauchen wir sie in ‚Atrix‘-Creme, das ist die einzige, die einigermaßen hilft. Sogar unsere selbstgemachte Wund(er)salbe auf Schmalzbasis bleibt wirkungslos.

      Die Tage werden länger. Irgendwie finden wir es absurd, den Tag um Mitternacht beginnen zulassen. Logisch wäre doch, mit Sonnenaufgang… Wir machen uns daran, eine neue Einteilung zu finden und auszuprobieren: Anfang des Tages, der Morgen: 6 Uhr früh = 0 Uhr neue Zeit. Mittag = 6 Uhr. Abend 18 Uhr = 12 Uhr, Nachtbeginn (vorher Mitternacht) = 18 Uhr. 24 Uhr/0 Uhr (Ende der Nacht/Anfang des Tages) trifft wieder auf 6 Uhr alte Zeit. Wir malen ein neues Zifferblatt für unseren Wecker. Das Ideale wäre, eine Uhr zu haben, deren Stundenzeiger nur ein Mal am Tag die Runde macht… Auch machen wir uns Gedanken über den Tagesablauf. Denn die Menschen leben zu unbewusst. Sie rasen, anstatt zu laufen. Welches ist die notwendige Arbeitszeit, um leben zu können? Wir glauben, dass 8 Stunden ausreichen. 8 Stunden Schlaf sind eigentlich auch genug. Bleiben noch 8 Stunden übrig. Diese wären gut verbracht mit Meditation oder anderen nichtlukrativen Tätigkeiten wie Lesen oder Kunst. Doch sehen wir bald, dass gerade in der Landwirtschaft 8 Stunden Arbeitszeit oft nicht ausreichen. Es gibt eben noch andere Imperative, außer der Geldgier, die den Menschen in Trab halten…! „Meditieren?“, sagt unser Bauer, „das kann ich am besten auf dem Traktor!“ Sollte das ein Witz sein, oder war es ernst gemeint?

      Der Frühling näherte sich, die Arbeitstage wurden länger… Zuerst in der Küche des Bauern, dann in den Frühbeeten und einem kleinen Plastikgewächshaus reihten sich Kistchen mit Ausgesätem aneinander. Die Pflanzen sind, nicht nur im biologischen Anbau, in Blatt-, Blüte-, Frucht- und Wurzelpflanzen eingeteilt, je nach dem Teil der Pflanze, der als Nahrung dient. Das Besondere beim biologischen Anbau ist, dass eben diese verschiedenen Pflanzen zu bestimmten Zeiten gesät, verpflanzt und geerntet werden müssen, wenn eben die Konstellationen der Sternzeichen für die Pflanzenart günstig sind. Das klang uns anfangs sehr nach Astrologie. Doch mit der Zeit merkten wir selber, dass da etwas dran war. Hatte Steiner damals die Grundlinien des bio-dynamischen Anbaus vielleicht aus