Im Himmel gibt es keine Tränen. Yvonne Tschipke

Читать онлайн.
Название Im Himmel gibt es keine Tränen
Автор произведения Yvonne Tschipke
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783738087789



Скачать книгу

gewesen wäre, nur das Bettlaken zu wechseln. Doch ich hatte mich entschieden, alles zu tauschen. Ich fand, dass mein ganzes Bettzeug irgendwie nach Sex gerochen hatte. Oder zumindest nicht nur nach mir.

      „Ähm, ja, hab meine Tage bekommen“, log ich und spürte, wie mir das Blut ins Gesicht stieg.

      Mama nickte. Ich atmete erleichtert aus.

      „Schon wieder?“, stellte sie allerdings noch fest, während sie das Zimmer verließ.

      Warum wussten Mütter immer über alles Bescheid? Ich meine, immerhin redete ich nicht mit ihr darüber, ob und wann ich meine Periode hatte. Zählte sie allen Ernstes die Tampons in der Packung nach, oder was?

      Aber dann war sie weg.

      Und ich suchte auf einmal hektisch meinen Fußboden ab. Denn in diesem Augenblick war mir eingefallen, was ebenfalls plötzlich weg war. Das Kondomtütchen! Wo zum Geier war es abgeblieben? Ich kniete mich auf den flauschigen Teppich und sah unters Bett. Scheiße! Da lag die Packung auch nicht. Ratlos lehnte ich mich gegen das kleine Schränkchen und dachte nach.

      Wahrscheinlich hatte ich es zusammen mit der Bettwäsche in den Waschkorb im Bad geschmissen. Ich sprang auf und rannte ins Bad. Ich zerrte das Bettzeug aufgeregt aus dem Korb und schüttelte es aus. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, was passieren würde, wenn meine Mutter die Bettwäsche in die Waschmaschine stopfte und ihr das Tütchen entgegen fiel.

      „Was machst du denn?“ Plötzlich stand Papa im Bad und sah meinem Treiben zu.

      „Ich suche die Kondompackung, die ich vielleicht aus Versehen in das mit meinem Blut besudelte und nach Sex stinkende Bettzeug gewickelt habe, weil ihr nicht merken sollt, dass ich heute Nacht in meinem Bett von einem euch fremdem Jungen entjungfert wurde!“, hätte ich ihm am liebsten entgegen geschleudert. Aber ich konnte mich gerade noch so beherrschen.

      „Ähm, ich … suche …“, ich grübelte, wonach ich suchen könnte. Was war harmlos und zugleich wertvoll genug, um meinen Aufstand zu erklären? „ … einen der Ohrringe, die Emma mir zum Geburtstag geschenkt hat. Ich muss ihn im Bett verloren haben“, sagte ich schließlich. Papa sah mich mit einem seltsamen Blick an. Wahrscheinlich wusste er nicht, welche Ohrringe ich meinte, denn ich trug sie so gut wie nie, aus Angst sie zu verlieren.

      „Ist alles in Ordnung mit dir, Mila?“, fragte er sanft.

      „Was soll denn nicht in Ordnung sein? Ich bin keine Jungfrau mehr und irgendwo hier liegt ein Kondomtütchen herum“, dachte ich. „Ja, alles in Ordnung. Was soll denn sein?“, entgegnete ich, sichtlich darum bemüht, völlig normal zu klingen. Die hektischen Tonsprünge in meiner Stimme überhörte ich großzügig und hoffte, Papa würde das auch tun.

      Papa zeigte auf meinen Kopf. „Du hast die Ohrringe an deinen Ohren. Beide.“

      Verwirrt fasste ich nach meinen Ohrläppchen. Ich Idiot hatte vergessen, dass ich die kleinen glitzernden Schmetterlinge gestern Abend ja tatsächlich angelegt hatte, weil Emma und ich uns einen schönen Abend machen wollten.

      „Ähm, ja, hab ich gar nicht bemerkt“, stammelte ich.

      „Wir essen gleich“, sagte Papa noch und ging kopfschüttelnd davon.

      Okay, Mila, denk nach. Wo könnte diese kleine verfluchte Tüte noch sein? Hatte ich sie schon in den Müll geworfen? Ganz sicher nicht, denn ich wollte sie ja gleich nach unten bringen.

      Vielleicht hatte ich sie in meinem Papierkorb entsorgt.

      Aber auch da fand ich sie nicht. Das kleine bunte verflixte Ding war wie vom Erdboden verschwunden.

      Beim Abendbrot erzählten Mama und Papa vom Besuch bei Tante Annie.

      Sie war meine Patentante und normalerweise fuhr ich gerne zu ihr. Am liebsten allerdings allein. Dann saßen wir stundenlang in ihrem kleinen gemütlichen Garten hinter ihrem kleinen gemütlichen Haus und quatschten über Gott und die Welt. Tante Annie war Mamas beste Freundin und genauso alt wie meine Mutter. Aber irgendwie kam sie mir gar nicht wie 40 vor, sondern viel jünger. Sie kleidete sich anders, sie redete anders und sie verstand die Dinge, die ich ihr anvertraute auch ganz anders als meine Mutter. Mama versuchte immer, die Dinge zu erklären oder zu ergründen. Sie versuchte ständig, mir gute Ratschläge zu geben und wusste immer alles besser als ich. Aber Tante Annie hörte zu, nickte nur hin und wieder. Bei ihr hatte ich das Gefühl, dass sie mich nicht immer verbessern und belehren wollte. Sie nahm mich ernst. Mich und meine Gefühle, mich und meine Ängste.

      „Mütter müssen so sein“, sagte sie mir immer. Ja, Mütter waren zum Erziehen da, zum Beschützen vor großen Fehlern, zum Belehren. Und Tante Annie war einfach da, um eine gute Freundin zu sein.

      „Annie fragt, wann du mal wieder zu ihr kommst. Du warst schon lange nicht mehr da“, sagte Mama.

      „Vielleicht nächstes Wochenende. Ich kann mit dem Zug fahren“, meinte ich. Vorausgesetzt, ich habe Zeit. Könnte ja auch sein, dass ich dann mit Tom unterwegs bin, dachte ich.

      „Mama, hast du noch welche von den Erdbeerbonbons?“, quasselte Pia in unser Gespräch.

      „Welche Bonbons meinst du denn, Schatz?“, fragte Mama.

      „Die, die du Mila gegeben hast“, antwortete meine kleine Schwester. „Die will ich auch haben“, schob sie trotzig hinterher. In ihrer Stimme schwang der berühmt-berüchtigte „Ich-könnte-was-verpassen-Ton“ mit.

      „Pia-Schatz, ich weiß nicht, was du meinst.“ Mama sah meine Schwester mit einem leicht verständnislosen Blick an.

      Pia kramte mit einem genervten Augenrollen in ihrer Hosentasche und knallte nach ein paar Sekunden mit den Worten „Die hier!“ eine kleine bunte Folienverpackung mit der Aufschrift „Erdbeergeschmack“ auf den Tisch.

      Kapitel 5

      „Wie kommt das hier in dein Zimmer?“

      Mama hielt mir die Kondomverpackung mit spitzen Fingern vor die Nase.

      Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie keine plausible Antwort von mir wollte, sondern nur die absolute Wahrheit.

      „Was war gestern Abend hier los?“, pfefferte mir Mama die nächste Frage um die Ohren.

      Ich knabberte an meinem rechten Daumennagel und schwieg.

      Ich war echt froh, dass Tom wenigstens das benutzte Kondom irgendwie hatte verschwinden lassen. Ich überlegte kurz, ob Mama mir das auch vor die Nase gehalten hätte.

      „Mila! Ich rede mit dir!“ Die Stimme meiner Mutter wurde noch etwas lauter. Papa stand da und sagte kein Wort. Doch an seinen Blicken glaubte ich zu erkennen, was er dachte. In seinem Kopf schien er sich die Szenen, die sich vergangene Nacht hier in meinem Zimmer abgespielt haben könnten, vorzustellen. Verwirrendes Kopfkino! Mit entsetzten Augen sah ich in seine Richtung.

      „Biologieunterricht“, stammelte ich und war sichtlich froh über meinen spontanen Einfall.

      Mama zog fragend die Augenbrauen hoch.

      „Wir hatten … im Biologieunterricht … Aufklärung …“. Ich wusste nicht, ob meine Eltern mir das abnehmen würden. Immerhin war ich schon in der 11. Klasse. Den Aufklärungsunterricht hatten wir schon in der 7.

      „Aufklärungsunterricht, soso.“ Okay, Mama glaubte mir nicht. „Und was habt ihr da so gelernt?“

      „Och, Mama. Das was man da eben so lernt. Wie man sowas“, ich zeigte auf die kleine Packung, die sie noch immer zwischen den Fingern hielt, „benutzt.“ An ihrem Gesicht sah ich, dass sie mir noch immer nicht glaubte.

      „Du weißt doch, in der Zehnten sind zwei Mädels schwanger geworden“, fiel mir plötzlich ein. Das stimmte tatsächlich. Die Story war in der ganzen Stadt Gesprächsthema Nummer 1. „Und nun wollen die Lehrer, dass das nicht noch mehr Mädchen passiert. Sicher ist sicher“, flunkerte ich weiter.

      „Und du hast die Verpackung