Ein Bild vom alten Gringo. Tilman Weysser

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Название Ein Bild vom alten Gringo
Автор произведения Tilman Weysser
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783738032253



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Er selbst konzentrierte sich aber lieber auf die Musik und auf seine Band. Sein Gott war The Edge, aber Paco de Lucia lehrte ihn, dass er auf der Gitarre noch immer ein Anfänger war.

      Magnus Kumpel Maik mochte Hardrock. Nicht die Musik, aber den Effekt. Böse gucken, den Kopf schütteln, schon blieben ihm die Leute vom Leib. Er stand auf Kriegsfuß mit sich, besonders wenn seine Eltern in der Nähe waren. Das war nicht oft der Fall, meistens arbeiteten sie und rieben sich auf für den albernen Protzpalast, in dem sie wohnten. Maik hasste das sterile Haus. Sein Vater hatte eine Fleischfabrik geerbt. Auch seine Mutter arbeitete in der Firma und lebte ihre Lust am Herumkommandieren aus. Bei den Mitarbeitern waren die Eltern nicht sehr beliebt. Einmal hatte sein Vater ihm ein Praktikum verordnet, von wegen Ernst des Lebens. Am Ende der Schicht hatten sie nach der Dusche noch zusammengesessen – zehn Mann, und Maiks Vater hatte einen SixPack auf den Tisch gestellt. Während er sich feiern ließ für die großzügige Geste, wäre der Sohn des Chefs am liebsten im Boden versunken. Magnus war die einzige echte Bezugsperson in seinem Leben. Sie waren gemeinsam aufs Internat gekommen und teilten das Zimmer. Streit gab es fast nie, Magnus musste man einfach gern haben. Jemand hatte viel Zeit und Liebe in ihn investiert. Seine Mutter Victoria hatte Maik schon gemocht, bevor er sie das erste Mal gesehen hatte, der Stiefvater war auch in Ordnung, Magnus war echt zu beneiden.

      Silke gefiel Maik gut. Natürlich fand sie ihn blöd. Er hatte Metallica so laut aufgedreht, dass sie ihn einfach blöd finden musste. Das war schon OK, mit Ablehnung konnte er umgehen. So eine stand auf schmierige Typen und Popmusik von Duran Duran, auch wenn sie wirklich geil aussah. Am Hals und an den Beinen schwitzte sie, dabei hatte sie kaum etwas an. Die abgeschnittene Jeans war nicht viel mehr als ein breiter Gürtel. Das Testosteron kochte in Maiks Adern. Immer wieder nahm er sich vor, mit Karate oder Boxen anzufangen, um die Energie irgendwo loszuwerden.

      Der Kleine auf dem Rücksitz hatte solche Probleme wohl nicht. Maik konnte nicht anders, er musste Julius ein bisschen provozieren.

       “Gefällt euch die Musik?” brüllte er.

       “Welche Musik?” rief Julius.

       Silke verzog nur verächtlich das Gesicht.

       Maik war zufrieden. Sie sollten ruhig wissen, dass er nicht auf ihre Sympathie angewiesen war.

       “Was hörst du denn so.” fragte er nach hinten, nachdem er die Musik etwas leiser gedreht hatte.

       Julius roch den Braten sofort. Er hatte nicht die geringste Lust, sich von dem Bauernlümmel aufziehen zu lassen.

       “Bach.”

       “Wie, Bach?”

       “Bach. Klassik.” erläuterte Julius.

       Silke schüttelte unmerklich den Kopf.

       Ungewollt sorgte sie so dafür, dass Julius und Maik sich zum ersten Mal fast einig waren. Maik hielt sie für arrogant, Julius hielt sie für blöd.

      Magnus wurde langsamer, dann hielt er vor einer Einfahrt. Maik parkte den Benz an der Straße. Alle stiegen aus.

       “Ganz schön dunkel hier. Irgendwie cool.” fand Maik und klopfte Magnus auf die Schulter.

       Julius fragte sich, was hier cool sei. Das sind die großen Bäume, die Aura des alten Geldes. Klar, dass ein Erbsenhirn wie du das bedrohlich findet. Kein Geschmack, keine Ahnung – Maik war schon ein erbärmlicher Vogel. Julius urteilte schnell und hart. Besonders die Arbeiterklasse war ihm suspekt. Er selbst hatte im Leben noch keinen Finger krumm gemacht und vermied Arbeit, wo immer möglich. Er träumte von einem Leben als Bohemien, seit er den Begriff irgendwo im Zusammenhang mit Oscar Wilde gelesen hatte. “Das ist es also.” stellte Magnus fest. Eva kramte den großen Schlüsselbund hervor, den sie von ihrer Großmutter bekommen hatte. Das Eisentor war mit einer alten Kette verschlossen, das scheinbar nagelneue Vorhängeschloss öffnete problemlos. Eva fasste die Kette mit spitzen Fingern an. Als sie sah, dass Maik und Magnus sie skeptisch beobachteten, packte sie erst recht der Ehrgeiz. Sie griff richtig zu und hatte sofort schwarze Hände. Zu spät sah sie, dass Magnus schon Handschuhe angezogen hatte. Mit schuldbewusstem Grinsen nahm er ihr die Kette ab. “Echte Gentlemen.” stellte Eva fest. Zusammen mit Maik schob sie die Torflügel auf. Magnus setzte sich wieder ans Steuer des Transporters und ließ den Motor an. Langsam rollte er hinter Eva her, die die kurze Auffahrt bis zum Haus zu Fuß hinauf ging. Julius und Silke folgten ihr, Maik fuhr den Mercedes hinein.

      Vogelgezwitscher war zu hören.

      “Ganz schön schön hier.” sagte Maik.

       Julius fragte sich, ob der Blödmann wirklich so etwas wie ein ästhetisches Empfinden hatte. Ihm selbst gefiel das Haus wirklich. Er bedauerte den Verkauf. Das hier war genau das Ambiente, das einem jungen Feingeist wie ihm angemessen war, auch wenn alle Klischees eines Spukschlosses erfüllt waren. Er schlenderte in den weitläufigen Garten, der sich nach rechts am Haus vorbei erstreckte. Schon als Kind hatte er von südfranzösischen Sommerfesten um den Steintisch unter der großen Eiche geträumt, die in der Mitte der großen Rasenfläche stand. Zu dumm, dass seine Eltern keine Lust hatten, das Anwesen zu bewohnen.

      Eva schloss die Haustür auf und ging vor in die Eingangshalle. Maik, Silke und Magnus folgten ihr. Möbel füllten den Raum. Mit ihrer Verpackung aus Luftpolsterfolie sahen sie aus wie überdimensionale Bauklötze. Evas Eltern hatten eine Weile auf Maria einreden müssen, bevor sie eingewilligt hatte, die teilweise wertvollen Stücke als Gesamtposten an ein Antiquariat zu verkaufen. Die Kommoden und Schränke waren zu groß für zeitgenössische Behausungen. Alles sollte in den nächsten Tagen abgeholt werden. Evas Großmutter würde nach dem Krankenhaus in ein Altersheim ziehen. Maria Bornwart hatte selbst gemerkt, wie es bergab ging. Sie war gerade sechzig geworden, da fielen ihr die einfachsten Dinge nicht mehr ein. Irgendwann war sogar der Name ihres Sohnes weg. Ein Schock für Evas Vater, von der eigenen Mutter nicht erkannt zu werden.

       “Ziemlich …” Silke sah entschuldigend zu Eva “… pompöser Kasten”.

       Eva nickte.

       “Ich habe mich hier noch nie wohl gefühlt. Wir haben mal Geburtstag gefeiert, da war ich noch klein. Unten war die Toilette kaputt, dann habe ich mich oben verlaufen und den Weg zurück nicht mehr gefunden. Ich muss geschrien haben wie am Spieß.”

       “Weil du so dringend musstest?” spöttelte Maik.

       “Weil ich Angst hatte, du …” Trottel, dachte Eva. Maik hob fragend die Augenbrauen. “Ich was?” “Nichts.” An alle gewandt fuhr sie fort. “Wo rote Punkte drauf kleben, das kommt auf den Sperrmüll. Grüner Punkt heißt einpacken, blauer Punkt wird von dem Antiquitätentyp abgeholt.” Julius kam und sah sich ebenfalls in der Halle um. “Ich war lange nicht hier, stelle ich fest.” “Zuletzt … die Hochzeit von Tante Gertrud. Weiß ich noch genau, du hattest diesen schicken blauen Samtanzug an, das sah so süß aus.” Julius verzog das Gesicht. “Das peinliche Foto, stimmt. Danke, dass du mich erinnerst, Schwesterherz.” Julius liebte seine große Schwester. Für ihn stellte sie die perfekte Kombination aus Intelligenz und Schönheit dar. Wenn sie nicht seine Schwester wäre, wenn er sich für Mädchen interessieren würde … er mochte nicht, wie Maik sie ansah. Julius würde keine Sekunde zögern, Eva vor diesem Typen zu verteidigen. Mutig würde er sich auf Maik stürzen. Und ihn ins Ohr kneifen.

      Eva hielt eine Liste vor sich. Hundert Mark sollte jeder bekommen, wenn alles erledigt war. Oma ließ sich nicht lumpen. Bald hatte sie genug Geld zusammen für Nepal.

       “Jemand müsste im ersten Stock den Schrank zerlegen, wer hat Lust?”

       Maik meldete sich sofort.

       “Zerlegen klingt gut. Mach ich. Wo ist das Werkzeug?”

       Na, da bin ich aber überrascht, dachte Julius. “In der Garage. Hier durch die Küche, dann da vorne links.” erklärte Eva. Maik marschierte los. “Weg da, Gitarrengott.” Magnus wich zur Seite. “Die Manschetten brauchst du ja nicht mehr auf zu knöpfen.” murmelte Julius in Anspielung auf Maiks ärmelloses Holzfällerhemd. Magnus grinste. “Maik ist ein netter Kerl. Echt.” Julius ertappte sich dabei, Magnus gutaussehend zu finden. “Wie war das nochmal, deine