Kein Buch. Ulrich Dehn

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Название Kein Buch
Автор произведения Ulrich Dehn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742733122



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      Ulrich Dehn

      Kein Buch

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Kein Satz, nichts

       Spaziergang

       So etwas wie ein Erlebnis

       Der Abend

       Ein neuer Tag

       Reisen

       Ein erster ganzer Tag in Florenz

       Noch so ein Tag in Florenz: erste Hälfte

       Zweite Hälfte

       Meine Idee

       Die andere Seite

       Rückkehr

       Zum zweiten Mal Rückkehr

       Beratung

       Der Brief

       Wohin jetzt

       Der Tag nach dem Tag nach dem Tag

       Was bedeutet es für ein Wort, zu einem Satz zu werden

       Epilog

       Wo sind wir hier

       Und so fing alles an

       Impressum neobooks

      Kein Satz, nichts

      Ich, Markus Fabius, sitze da und es geht nicht. Ich sitze vor dem Laptop, sinniere, lasse die Finger über die Tastatur gleiten, schreibe einen unbeholfenen Anfangssatz, lösche ihn wieder, schreibe einen anderen Satz, lösche ihn wieder, schaue zum Fenster hinaus und schreibe noch einmal einen Anfangssatz und lösche ihn wieder. Seit Wochen ist das so. Ich stehe auf, gehe in die Küche, setze Wasser auf, bereite eine Teekanne vor und hänge den Teebeutel hinein, dann noch einen. Ich warte eine Weile, bis das Wasser sprudelnd kocht, lasse es sich beruhigen, fülle die Kanne, warte ein paar Minuten, fülle meinen Teekrug und gehe zurück an den Schreibtisch. Ich nippe am noch viel zu heißen Tee und hoffe, dass dadurch Impulse in meinem Gehirn freigesetzt werden. Impulse zu einer Geschichte, zu einer Story, zu einem Plot. Aber es werden keine Impulse freigesetzt zu einer Geschichte. Meine Zunge verbrennt sich an dem viel zu heißen Impuls des Tees. Mehr nicht. Ein neuer Anfangssatz, auch er wird gelöscht. Ein Schluck heißer Tee, immer noch sehr heiß, aber nicht mehr viel zu heiß. Ich komme auf die Idee, Zucker in den Tee zu tun, zur Abkühlung des Tees und zur Hebung des Blutzuckerspiegels, was sich positiv auf die Gehirnströme auswirken könnte. Aufgestanden, in die Küche gegangen, Zuckerdose aus dem Schrank, zurück an den Schreibtisch, Zuckerdose geöffnet. Es fehlt ein Löffel, sowohl für die Zuckerdose als auch zum Umrühren. Ich gehe zurück in die Küche, hole zwei Teelöffel, gehe zurück an den Schreibtisch, tauche einen Löffel in die offene Zuckerdose und das in ihr enthaltene Meer von Zucker. Der Löffel wandert mit Zuckerladung langsam und behutsam von der Zuckerdose zum Teekrug, taucht in den Tee ein und lässt sich von mir umrührend bewegen. Der zweite Löffel liegt neben dem Laptop und wartet vergeblich auf seinen Einsatz, ich habe ihn vergessen. Den eingesetzten Löffel im Krug stecken lassend führe ich diesen zum Mund und trinke wieder einen Schluck, immer noch heiß, aber trinkbar. Etwas zu süß. Ich bilde mir ein, dass dieser süße Tee nun schnell den Blutzuckerspiegel steigen lässt, ins Gehirn steigt und zu Inspirationen beiträgt. Ich schreibe einen neuen Anfangssatz, der mir deutlich besser gefällt als die vorherigen. Aber er hat keine Geschichte, es ist einfach nur ein Satz, eine Aneinanderreihung von Buchstaben und Wörtern, die aus der Tastatur gesprudelt sind. Ich lösche ihn. Ich sitze da und denke, warum sitze ich nur da und denke, und es kommt nichts, einfach nichts. Andere, Tolstoi, Goethe, Nabokov, Kafka, Murakami, Llosa, sie alle haben dagesessen und gedacht, und es kam, und sie haben geschrieben, viel. Nicht so ich. Warum nicht. Vielleicht stimmte die Theorie mit dem Zucker nicht. Oder ich brauche doch erst die ganze Geschichte, bevor ich den ersten Satz schreibe. Oder das Fenster, aus dem ich gelegentlich schaue, um mich von den Dächern der umliegenden Häuser inspirieren zu lassen, müsste erst noch einmal geputzt werden. Aber eigentlich kann ich genug sehen. Mein Blick stimmt nicht, meine Erwartung an den Blick ist falsch, die Richtung ist falsch, das Fenster ist falsch. Ich versuche es jetzt mit Kaffee. Kaffee ist anregend und macht gute Laune. Ich war schon immer der Meinung, dass Kaffee unter die Psychopharmaka zu rechnen sei. Also wieder ein Gang in die Küche, ich suche das Filterpapier, das Kaffeepulver, fülle die Menge für etwa zwei Tassen ein, das entsprechende Wasser, und schalte die Kaffeemaschine ein. Auf dem Weg zurück an den Schreibtisch kommt mir erneut ein Anfangssatz in den Sinn, ich kann es nicht lassen, Anfangssätze für den Schlüssel zu einer gelungenen Geschichte zu halten. Ich setze mich und schreibe ihn. Irgendwann vor vielen Jahren, an einem wunderbaren Ort geschah es. Das ist der Satz. Ich frage mich, was das soll. Natürlich habe ich mich, wenn ich über diesen Anfangssatz jetzt einmal etwas länger nachdenke, noch auf nichts Bestimmtes eingelassen. Die Handlung ist immer noch völlig frei, der Ort, die Personen, alles. Aber genau so frei, wie alles immer noch ist, so wertlos ist auch dieser Satz eigentlich, denn er ist dann doch kein echter Anfangssatz. Nichts fängt wirklich mit diesem Satz an. Mit einem Anfangssatz aber fängt etwas an. Es ist schon so, dass ich mit einem Anfangssatz etwas festlege, ein wenig jedenfalls. Eine Weiche stelle, Andeutungen mache, den Hauch einer Richtung, Vorfreude auf mehr erzeuge. Das ist sogar hier so. Ich sitze da und es geht nicht. Das ist ein geradezu unglaublicher Anfangssatz. Sozusagen schon das ganze Buch. Wenn man so will. Gut, das soll an Überlegungen erst einmal reichen, immerhin so viel, dass ich den Satz nicht sofort wieder lösche, obwohl ich ihn mindestens von der Tendenz her eigentlich durchfallen lassen will. Erst mal der Kaffee. Vielleicht kann ich nach einer Tasse Kaffee auch mit dem Satz besser leben. Oder weiß genauer, warum ich doch nicht mit ihm leben kann.

      Schon nach dem ersten Schluck Kaffee und umso mehr nach dem zweiten habe ich den Eindruck, dass die Welt sich ändert und sich in meinem Kopfe Wörter sortieren, die der Anfang zu einem Buch werden könnten. Ich liebe Kaffee, wirklich. Ich versuche einen Satz zu formen aus den Elementen, die eher intuitiv und beliebig in einem Raum namens Gehirn herumliegen und auf ihre Zusammensetzung zu einem Mosaik warten. Aber so nach und nach merke ich, dass ich mich im Vertrauen auf den Kaffee in eine