Sinnvoll zu betrachten. Geshe Kelsang Gyatso

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Название Sinnvoll zu betrachten
Автор произведения Geshe Kelsang Gyatso
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783752999372



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werden große Verdienste entstehen. [27] Wenn, wie es heißt, die bloße reine Absicht, einem einzelnen fühlenden Wesen zu helfen, verdienstvoller ist, als zahllosen Buddhas reichliche Gaben darzubringen, muß dann noch über die gute Absicht eines Bodhisattvas gesprochen werden? Denn, wie schon erwähnt wurde, wünscht er (oder sie) mit reiner Bodhichitta-Motivation, alle fühlenden Wesen von ihren Leiden zu befreien und alle zur unveränderlichen Glückseligkeit der unübertroffenen Erleuchtung zu führen.

      Um den Umfang der Handlungen eines Bodhisattvas und die Macht der Ergebnisse seiner Motivation zu verstehen, können wir folgendes betrachten: Wenn wir gegenüber einhundert Wesen eine gute Absicht haben, so entstehen einhundert Verdienste. Genauso entstehen eintausend Verdienste, wenn die Absicht auf eintausend Wesen gerichtet ist. Und wenn diese gute Absicht auf zahllose Wesen gerichtet ist, werden auch die Verdienste zahllos sein. Deshalb sind die Früchte, die durch die Bodhichitta-Motivation reifen, grenzenlos. Warum? Weil das Objekt des Bodhichittas die zahllosen fühlenden Wesen des Universums sind.

      [28] Man könnte behaupten, daß ein Bodhisattva die Leiden der fühlenden Wesen nicht beseitigen und sie nicht zum Glück führen muß, da sie dies selbst tun werden. Tatsächlich aber wissen gewöhnliche Wesen überhaupt nichts vom karmischen Gesetz von Handlung und Wirkungen. Deshalb eilen sie direkt auf das Leiden zu, obwohl sie alle frei davon sein wollen. Das geschieht durch das eigene ständige und unwissende Erschaffen von Nichttugend, der eigentlichen Ursache ihres Leidens. Ebenso zerstören sie systematisch alles Tugendhafte, die Ursache von Glück, als ob es ihr schlimmster Feind wäre, obwohl sie sich einzig und allein nach Glück sehnen.

      [29] Kurz gesagt, kennen fühlende Wesen die Methode nicht, wie Freiheit von Leiden erlangt wird. Sie sind ohne Glück und immer von Leid und Sorgen geplagt. Es ist der Bodhisattva, der durch die Kraft des kostbaren Bodhichittas ihre Leiden vertreibt und sie zum Glück führt. [30] Wo gibt es deshalb eine Tugend, die mit Bodhichitta, dem Erleuchtungsgeist, zu vergleichen ist, der die Verwirrung aller Wesen vertreibt, ihr Leiden ausmerzt und ihnen grenzenlose Freude gewährt? Wo gibt es einen Freund, der gleich dem kostbaren Bodhichitta alles Gute erreicht und alles Schädliche verhindert? Wo gibt es Verdienste, die dem Erleuchtungsgeist ähnlich sind?

      LOBPREISUNG AN DIEJENIGEN, DIE BODHICHITTA ERZEUGT HABEN

      [31] In dieser Welt loben und respektieren wir im allgemeinen einen Menschen, der die Güte, die er von jemand anders empfangen hat, erwidert. Wenn dem so ist, wie können wir auch nur anfangen, von der großen Güte eines Bodhisattvas zu reden, diesem unendlich mitfühlenden Wesen, der anderen bedingungslos hilft, ganz gleich, ob auch sie ihm geholfen haben oder nicht? Von Großem Mitgefühl getragen, hilft er allen fühlenden Wesen vorbehaltlos, indem er sie auf zahllose Weise aus dem Leiden zum Glück führt. Ist es da noch notwendig, daß man vom Lob und der Verehrung spricht, die einem solch glorreichen Wesen gebührt?

      [32] Jemand gibt vielleicht ein paar Bettlern etwas zu essen, genug für einen halben Tag. Selbst wenn er diese Wohltätigkeit ärgerlich und mit schlechten Gefühlen ausübt, was ist die allgemeine Reaktion auf diese Handlung? Die Bettler sind dankbar, und der Mann wird von anderen Menschen gelobt. Sie sagen: «Er ist ein großer Wohltäter und hat viel Tugend angesammelt.» [33] Wenn dem so ist, ist es noch notwendig das Lob und die Ehrerbietung zu erwähnen, die einem Bodhisattva gebührt? Solange Samsara besteht, strebt dieser unvergleichliche Wohltäter danach, nicht nur die vorübergehenden Wünsche der zahllosen fühlenden Wesen zu erfüllen, sondern ihnen auch die einzigartigen Freuden der Erleuchteten zu gewähren. Wenn wir diese Begründung richtig verstanden haben, sollten wir immer den größten Respekt für die Bodhisattvas empfinden. Allein indem wir uns an ihren tugendhaften Handlungen erfreuen, empfangen wir unermeßliche Verdienste.

      Einige mögen sich fragen, was der Bodhisattva unternimmt, um anderen Lebewesen vorübergehendes und endgültiges Glück zu gewähren. Es gibt eine, große Vielfalt möglicher Handlungen, weil der Bodhisattva immer entsprechend den verschiedenen Veranlagungen der einzelnen Wesen handelt. Manchmal wird er anderen durch Unterweisungen helfen, manchmal wird er materielle Hilfe geben und manchmal wird er diejenigen beschützen, die sich in Not befinden oder große Angst haben. Sehr fortgeschrittene Bodhisattvas können sich entsprechend den Bedürfnissen der Wesen in verschiedenen Formen manifestieren. Je nach Situation und Notwendigkeit ist es für sie möglich, als Freund, Helfer oder sogar als unbelebter Gegenstand zu erscheinen. Der hauptsächliche Weg aber, wie ein Bodhisattva anderen Lebewesen hilft, ist durch das Lehren des Dharmas, der eigentlichen Methode, die fühlende Wesen aus den Leiden Samsaras zum Zustand der höchsten Erleuchtung führen kann. Wenn die Lebewesen aber kein Interesse am Dharma haben, ist es ihm nicht möglich, sie zu lehren. Deshalb manifestiert er sich für solche Wesen entsprechend ihren vorübergehenden Bedürfnissen.

      Diese Darstellung der Handlungen eines Bodhisattvas mag unglaubhaft erscheinen, und es fällt uns gegenwärtig vielleicht schwer, all dies zu akzeptieren. Wenn wir aber mit dem gewaltigen Mahayana-Dharma vertraut werden und ihn schließlich verstehen, dann werden wir erkennen, daß die Handlungen eines Bodhisattvas tatsächlich so sind. Deshalb sollten wir zuerst einmal zuhören und Dharma-Unterweisungen empfangen, und dann werden wir die Qualitäten der Lehre Buddhas verstehen und schätzen lernen.

      In Tibet gab es einen Lama namens Purchok Jhampa Rinpoche, der einen Schüler namens Kachen Yeshe Gyaltsen hatte. Der Schüler lebte unterhalb der Höhle seines Lehrers und hatte oft nicht ausreichend Nahrung und Kleidung. Eines Tages kam ein Edelmann zu Besuch und brachte Yeshe Gyaltsen einen Sack voll Gerstenmehl, sogenanntes Tsampa, sowie etwas Butter. Da dachte der Schüler: «Ich muß wohl ein ganz besonderer Mensch sein, daß mir ein Aristokrat solche Gaben darbringt.»

      Am folgenden Tag gab Jhampa Rinpoche wieder Unterweisungen. Mitten im Vortrag sagte er: «Einer meiner Schüler weiß nicht, daß sich ein Lama sogar als Tsampa und Butter manifestieren kann.» Dann schaute er Yeshe Gyaltsen direkt an und fuhr fort: «Dieser Schüler denkt, daß er diese Nahrung nur aufgrund seiner eigenen Verdienste erhielt.» Plötzlich erkannte Yeshe Gyaltsen, daß sowohl der Edelmann als auch dessen Geschenke eine Manifestation seines Meisters waren, und ein Gefühl von großem Vertrauen und starker Hingabe entstand in seinem Geist.

      Wenn der Dharma neu für uns ist, reagieren wir aber vielleicht eher mit Skepsis auf solche Geschichten. Es mag deshalb schwierig sein, diese Dinge zu glauben und zu akzeptieren. Wenn wir wissen wollen, ob eine bestimmte Speise wohlschmeckend ist oder nicht, können wir das nur feststellen, indem wir davon kosten. Genauso können wir die Qualitäten des Dharmas nur dann erkennen, wenn wir die Lehre Buddhas auch praktizieren. Im Moment sind wir noch nicht auf den Geschmack des Mahayana-Dharmas gekommen, deshalb ist es natürlich schwierig, ihn zu akzeptieren. Wenn wir aber diese Speise zu uns nehmen, dann werden wir ihren Geschmack kennenlernen.

      Das endgültige Ziel eines Bodhisattvas besteht darin, alle fühlenden Wesen zur Erlangung der Erleuchtung zu führen. Dazu sind Vorbereitungen notwendig. Wenn wir einen König oder irgendeinen hohen Würdenträger in unser Haus einladen, würden wir sicher ausgiebige Vorbereitungen treffen. Auf die gleiche Weise möchte der Bodhisattva alle seine Gäste, die zahllosen fühlenden Mutterwesen, zum Festessen der erhabenen Buddhaschaft einladen. Er bereitet sich jetzt darauf vor, indem er selbst Buddhaschaft anstrebt. Wenn er diesen erhabenen Zustand erreicht hat, kann er alle fühlenden Wesen aus ihrem leidvollen Dasein befreien und zur Glückseligkeit der Erleuchtung führen. Deshalb ist der Bodhisattva unser gütigster Wohltäter, der alle unsere zeitweiligen und endgültigen Wünsche erfüllt.

      An dieser Stelle könnten Zweifel entstehen. Wenn, wie es hieß, ein Buddha die Fähigkeit besitzt, das Leiden aller Wesen zu beseitigen, wieso haben dann die zahllosen Buddhas der Vergangenheit noch nicht alle Lebewesen zur Erleuchtung geführt? Die Antwort ist, daß die Buddhas alle Behinderungen und Begrenzungen überwunden haben und deshalb die volle Weisheit, das Mitgefühl und die geschickten Mittel besitzen, die notwendig sind, um andere Wesen zur Buddhaschaft zu führen. Wenn aber die fühlenden Wesen ihrerseits nicht das notwendige Bemühen aufbringen, d.h. wenn sie sich nicht bemühen, dem Pfad zu folgen, den die Buddhas gezeigt haben, werden sie in Samsara gefangen bleiben. Wie schon oft erwähnt wurde, kann ein Buddha das Leiden und die Verblendungen anderer Wesen nicht entfernen, so wie man einen Dorn aus dem Fleisch zieht. Ohne gemeinsames Bemühen kann nichts