Название | Der dritte Versuch Die Drachenjägerin |
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Автор произведения | Norbert Wibben |
Жанр | Языкознание |
Серия | Der dritte Versuch |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742713339 |
Es ist Mittag, als Cloe ihre Augen öffnet. Wider besseres Wissen hofft sie, dass sie den Tod der Mutter nur geträumt hat. Doch der erste Blick auf den reglosen Körper Junas zeigt ihr die bittere Realität. Langsam richtet sich die Elfe auf, streicht zuerst zögernd, dann ganz vorsichtig und sacht über das liebe Gesicht ihrer Mutter. Sie befürchtet, ihr Schmerzen zuzufügen, da die Haut immer noch die großflächigen Verbrennungen aufweist. In der Nacht meinte sie, erste Zeichen eines Heilungsprozesses gesehen zu haben, den sie mit »Salvus« erreicht hätte. Aber das war ein Irrtum, wie sie jetzt erkennt. Der Widerstand des stark verbrannten Körpers war trotz der Übertragung von Lebensenergie nicht groß genug gewesen, um sich zu regenerieren. Wenn sie daran denkt, dass nicht nur das Gesicht, sondern auch Arme und Beine verbrannt wurden, wäre es vermutlich ein Wunder gewesen, wenn Juna hätte gerettet werden können. Doch Cloes Kopf ist leer, sie sinkt erschöpft auf den Stuhl und streichelt immer wieder die Hand ihrer Mutter.
Sie weiß nicht, was sie als Nächstes beginnen soll, also bleibt sie einfach da, wo sie jetzt ist. Welchen Sinn sollte es auch machen, etwas Essen herzurichten, wo sie keinen Hunger verspürt, oder jemandem vom Tod ihrer Mom zu berichten? Das würde nichts ändern. GAR NICHTS! Dunkelheit und Verzweiflung hüllen Cloe ein.
Die letzten Sonnenstrahlen färben den Abendhimmel rot. Dessen Widerschein leuchtet in das Zimmer und scheint Wärme zu verbreiten, obwohl das nur eine Täuschung ist. Cloe spürt die Kälte, die sich im Leichnam, aber auch in ihr selbst ausbreitet. Welchen Sinn macht das Leben noch, jetzt, wo ihre nächste Verwandte, ihre Mutter, von ihr gegangen ist. Sie wird nun bei denen sein, die ihr vorausgegangen sind, bei Dad und ihren Eltern. Am liebsten wäre es der jungen Elfe, wenn sie einfach hätte mitgehen können. Dann wären sie jetzt vereint und glücklich.
»Nein, das wären wir nicht!«, wispert es in ihrem Kopf. Es dauert einige Zeit, bis der Satz in Cloes Bewusstsein dringt. Sie hebt langsam den Kopf und meint nachträglich eine Ähnlichkeit dieser Stimme zu erkennen. Das war doch ihre Mutter, aber wie sollte das möglich sein? Ihre Augen schwimmen in Tränen, verhindern einen klaren Blick auf die Gesichtszüge Junas. Da sie immer noch deren Hand umschlossen hält, bemerkt sie keine Bewegung, wohl aber die Kälte. Sie lässt den Kopf hängen und Tränen fallen auf ihre Hände. »Warum wären wir das nicht?«, fragt sie sich.
»Weil der Drache immer noch tötet.«
»Mom?« Obwohl sich das erneut nach Juna anhörte, bekommt sie keine Antwort. »Werde ich jetzt verrückt?«, überlegt Cloe. »Das wäre vielleicht nicht schlecht. Dann könnte ich die Einsamkeit vermutlich besser ertragen.«
»Könntest und wirst du nicht! Du hast eine Aufgabe: Töte dieses Ungeheuer, verbanne es aus deiner Welt!«
Die Elfe schüttelt sich. Woher kommen diese Gedanken? Ihre Mom vermag sich doch nicht mehr mit ihr zu unterhalten!
»Ist das ihr Geist, der zu mir spricht?« Ein kleiner Hoffnungsfunke glimmt in Cloe auf. Falls das möglich sein sollte, wäre sie doch nicht so allein und eine Aufgabe hätte sie außerdem. Durch ihre Trauer hindurch dringt langsam die Frage, wie sie diesen Drachengeist besiegen könnte. Wenn ihre Mutter dabei versagt hatte, lediglich eine magische Variante, sozusagen ein Spiegelbild der wahren Drachenkreatur zu bezwingen, wie sollte sie dann gegen den Drachen bestehen, der ihren Vater und ihre Großeltern tötete? Plötzlich drängt sich ein flüchtiger Einfall in den Vordergrund.
»Es gibt etwas, dass dir helfen kann.« Doch im nächsten Moment, noch bevor sie den Gedanken richtig zu fassen vermag, ist diese Zuversicht verschwunden. Cloe weiß, sie sollte wissen, was ihr gegen einen Drachen helfen kann. Es müsste sozusagen auf der Hand liegen. Aber, nein. Es hat keinen Zweck. Sie bekommt die sich eben noch andeutende Idee nicht aufs Neue aufgerufen.
Die Dämmerung ist vorüber und Dunkelheit herrscht im Zimmer. Erneut leuchtet eine Lichtkugel auf. Die Elfe betrachtet das Gesicht ihrer Mutter und fragt sich, ob sie die Aufgabe, die sie von ihr übernommen hat, erfüllen kann. Ihre Gedanken wandern Tage zurück. Sie erinnert sich daran, wie zuversichtlich Juna gewesen war, als sie eine Haselmaus hierherbrachte, von der sie annahm, dass sie ein magisches Wesen sei. Was mag wohl aus dem Tier geworden sein, ob die Katze es damals doch gefressen hat? Aber nicht deshalb denkt sie daran zurück. Das war der Zeitpunkt gewesen, als ihre Mutter ihr zum ersten Mal ausführlich davon berichtete, weshalb sie die Dubharan und besonders das Drachenwesen so hasst. Plötzlich verdrängt ein neuer Gedanke die anderen: Wo ist das Buch geblieben, mit dem die magischen Kreaturen heraufbeschworen werden können? Cloe versucht, sich zu erinnern. Hat sie es möglicherweise im Keller übersehen? Sie war zu sehr um ihre Mutter besorgt gewesen, als dass sie sich dort gründlich umgesehen hätte. Und anschließend suchte sie zwar in den Überresten der Kleidung danach, aber nicht erneut dort unten.
»Ich bin gleich wieder zurück, Mom«, wendet sich die Elfe mit Tränen in den Augen an die Tote. Dann blinzelt sie diese entschlossen weg und steht im nächsten Moment im Keller. Die Lichtkugel erhellt das Chaos, das ihr gestern Abend nicht so schlimm vorgekommen war. Ihre Augen ruhten da nur auf der reglosen Gestalt Junas. Wie soll sie das Buch in diesem Durcheinander finden? Sie versucht es zuerst mit einem Aufrufzauber, obwohl sie nicht sicher ist, dass der auf das Artefakt wirkt.
»Evoco »Magische Wesen und ihre Macht«. Evoco!« Doch das Buch erscheint nicht. Obwohl es immer noch nach Verbranntem riecht, beginnt die Elfe systematisch zu suchen. Es ist mittlerweile Mitternacht, als sie enttäuscht wieder neben dem Bett ihrer Mutter erscheint. »Leider finde ich das Buch nicht. Sollte es verbrannt und dadurch unrettbar verloren sein?« Noch immer verspürt sie keinen Hunger und sinkt niedergeschlagen auf den Stuhl. Eine Antwort bekommt sie nicht, trotzdem grübelt sie, als ihr Blick jetzt auf der Gestalt ihrer Mutter ruht. Etwas war gestern anders als sonst, irgendwie sonderbar. Es ist nicht die ungewohnte Stille gewesen, und es hat auch nichts mit dem Durcheinander im Keller zu tun, ist sich die junge Elfe sicher. Hat es mit der verbrannten Kleidung zu tun? Erneut durchsucht Cloe diese, untersucht jedes kleine Stückchen davon. Nein. Das ist es nicht. Die Elfe hockt deprimiert auf dem Boden und versucht die Augen offen zu halten, die ihr immer öfter zufallen. Sie sieht ein, dass sie etwas Schlaf braucht. Vielleicht sind danach ihre Gedanken klarer. Sie erhebt sich ächzend und will das Tuch über der Mutter glattziehen, das sie in der Nacht so zerwühlt hat. Sie legt beide Arme Junas auf die Decke, so dass es aussieht, als ob sie schlafen würde. Dabei fällt ihr ein Armreif auf, der locker am linken Handgelenk der Mutter sitzt. Das ist es, was ihr im Unterbewusstsein so eigenartig vorgekommen war. Juna trägt sonst nie Schmuck, weshalb also jetzt?
Der Armreif ist aus Bronze und stellt ein Flechtwerk aus Zweigen dar, das ansonsten nicht verziert ist. Cloe erinnert sich, dass es ein Andenken Junas an ihre Mutter ist, von der sie es als junge Elfe bekommen hatte. Irgendeinen magischen Zweck erfüllt der Reif nicht, er besitzt auch keine verstärkende Wirkung auf Zaubersprüche, wie sie weiß. Das hatte ihre Mom gesagt, als sie ihn sich vor langer Zeit gemeinsam angesehen hatten. Aber warum sollte Juna den Schmuck bei ihrem Versuch mit dem Drachengeist tragen?
Cloe bestaunt die ausgefallene Machart des Reifs. Er kommt ihr ungewöhnlich dick vor, anders, als in ihrer Erinnerung. Sie zieht ihn vorsichtig vom Handgelenk der Mutter und betrachtet ihn genauer. Jetzt erkennt sie, dass der Armreif in einem Bereich tatsächlich dicker ist. Sollte er dort einen Hohlraum besitzen? Aufgeregt drückt sie an dem Reif herum und sucht einen Mechanismus, mit dem das Versteck geöffnet werden könnte. Die Zweige lassen sich weder verschieben noch zusammendrücken, das Material ist fest und unnachgiebig. Der Armreif gibt sein Geheimnis auf diese Weise nicht preis. Cloe überlegt und versucht es schließlich mit einem Zauber.
»Aperio«, flüstert sie und hält sofort den Atem an. Der Reif scheint lebendig geworden zu sein. Die einzelnen, schmalen Zweige bewegen sich, lösen das Flechtmuster auf und geben schließlich das verkleinerte Buch frei, das sie umhüllt hatten. Cloe staunt. Das war wirklich eine raffinierte Idee ihrer Mutter. Der Armreif stellt nicht nur ein gutes Versteck, sondern gleichzeitig einen physischen Schutz für das wertvolle Buch dar, denn durch den Feueratem hat es nicht gelitten.