Gefühlslooping. Heidi Dahlsen

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Название Gefühlslooping
Автор произведения Heidi Dahlsen
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783742743770



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Bella-Shirin endlich mal die Windel wechseln soll, weil sie bereits seit einer Stunde streng riechen würde.

      Plötzlich passierte das, was ich nie für möglich gehalten hätte. Mein ganzer Körper verkrampfte sich. Ich stand einfach mitten im Raum und konnte mich nicht mehr rühren. Nach einer Weile hatte ich das Bedürfnis, einfach ins Bett zu gehen. Also legte ich mich hin, zog die Decke über den Kopf und nahm mir fest vor, erst wieder aufzustehen, nachdem die ganze Meute die Wohnung verlassen hat. In mir breitete sich eine unheimliche Leere aus. Ich lag ganz still da und hoffte bloß noch, allein sein zu können. Als mein Sohn ins Schlafzimmer kam und mich ungehalten fragte, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte, bin ich ausgerastet und habe ihn angeschrien, dass er endlich verschwinden und seine unerzogene Brut gleich mitnehmen soll. Noch nie hatte ich so über meine Enkel gedacht und verstand selbst nicht, wie ich so etwas überhaupt aussprechen konnte. Mein Mann hat dann dafür gesorgt, dass alle umgehend nach Hause fahren. Als er zu mir kam und mich in die Arme nahm, haben sich der ganze Frust und die Anspannung gelöst. Ich war dermaßen traurig und verzweifelt und habe geheult, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Da ich mich noch nach Stunden einfach nicht beruhigen konnte, hat er den Notarzt gerufen, der mich unverzüglich hier abgeladen hat.“

      „Das tut mir leid“, sagt Lydia leise.

      „Ich bin doch selbst schuld“, antwortet Elfi. „In diesen Zustand möchte ich nie wieder verfallen. Das kannst du mir glauben. Als ich Weihnachten nach Hause durfte, hat uns mein Sohn nur mitgeteilt, dass sie nicht zu uns kommen, denn mein Verhalten wäre für die Familie eine Zumutung. Dazu hat auch ein Vorkommnis am zweiten Advent, als er mich hier besucht hat, beigetragen. Aber lassen wir das jetzt.“ Sie schaut traurig vor sich hin, holt tief Luft und erzählt weiter: „Mein Sohn meinte nur, falls ich irgendwann mal wieder normal sein sollte, kann ich mich ja melden. Sie haben dann bei seiner Schwiegermutter gefeiert, zu der wir natürlich nicht eingeladen wurden, weil sie sich mit so vielen Gästen nicht belasten wollte. Darüber habe ich lange nachgedacht, und auch diese Situation hat mir geholfen, meinen Selbstschutz aufzubauen. Denn, wenn die einfach NEIN sagen können, warum sollte ich das nicht auch endlich mal tun dürfen? Habe ich etwa kein Recht dazu? Bis zu dieser Erkenntnis war es ein langer holpriger Weg.“

      Lydia sieht Elfi mitleidig an.

      Nachdem sie sich eine Weile schweigend gegenübergesessen haben, fragt Lydia: „Weißt du so ungefähr, wie es nach deiner Entlassung für dich weitergeht?“

      Elfi atmet tief ein. „Wenn ich ehrlich bin, würde ich am liebsten mit meinem Mann in eine klitzekleine Wohnung ziehen. Aber dann würde ich mich nur verkriechen. Ich muss mich meinen Problemen stellen und endlich zum Gegenangriff übergehen. Auch das habe ich in mühevoller Kleinarbeit gelernt. Außenstehende haben öfter zu mir gesagt, dass ich blöd wäre, weil ich es zulasse, dass mein Sohn mich so unterbuttert, denn das würde schon an Missbrauch grenzen.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Ich arbeite noch an der Lösung, die für alle erträglich ist.“

      „Hast du mit deinem Sohn überhaupt schon mal darüber gesprochen?“, fragt Lydia.

      „Ich habe früher einmal versucht, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass mir alles zu viel wird.“

      „Und?“

      „Seine Reaktion willst du nicht wissen.“

      Lydia nickt kräftig und sagt: „Doch, würde ich gern.“

      Elfi verzieht ihr Gesicht. „Er hat mich mitleidig angegrinst und gesagt, dass es doch sicher nicht schwer ist, kleine Kinder zu beschäftigen, wo ich doch den ganzen Tag sowieso nur zu Hause rumsitze und nicht viel zu tun hätte. Dankbar müsste ich ihm eigentlich sein, weil er mir so viel Kontakt mit meinen Enkeln ermöglicht. Es hatte also nicht viel Sinn, mit ihm zu reden.“

      „Wer kümmert sich denn jetzt um die Kleinen?“

      „Eine Tagesmutter, aber nur solange ich mich hier erhole. Die kostet nämlich Geld. Außerdem würden die Kinder sie gar nicht mögen und ständig nach mir fragen.“

      „Dann gehen deine Probleme ja wieder von vorn los, wenn du zu Hause bist.“

      Elfi schüttelt den Kopf. „Wie gesagt, ich suche noch nach den richtigen Worten.“

      Lydia überlegt, ob sie ihr eventuell einen klugen Rat geben kann, der diese Angelegenheit einfach in Luft auflöst. Es fällt ihr jedoch nichts weiter ein, als anzumerken: „Und wenn du nun den Vorschlag machst, dass die Kinder weiterhin bei der Tagesmutter bleiben und du sie nur dann betreust, wenn es dir gut geht.“

      „Lydia, das habe ich vor längerer Zeit bereits versucht. Sowie mein Sohn verstanden hat, worauf das Gespräch hinauslaufen soll, hat er die Kinder geschnappt und ist wutentbrannt mit ihnen abgefahren. Ich hörte dann tagelang nichts mehr von ihnen. Du glaubst gar nicht, wie viele Sorgen ich mir gemacht habe, denn ich habe oft genug miterlebt, wie ungehalten meine Schwiegertochter mit ihren Kindern umgeht.“ Sie schaut traurig vor sich hin und ergänzt leise, „ich möchte doch bloß, dass die Kleinen glücklich sind.“

      „Das kannst du doch nicht bis zur Selbstaufgabe bewältigen. Daran gehst du kaputt.“

      „Eben“, sagt Elfi. „Deshalb bin ich ja hier.“

      „Oh“, macht Lydia. „Entschuldige. Ich muss erst noch lernen zuzuhören … nachzudenken … und eventuell nicht so kluge Ratschläge zu geben. Ich kann deine Situation wirklich nicht einschätzen. Mir sind Kinder und Enkel bisher erspart geblieben.“

      Schlagartig wird ihr ihr eigenes Problem bewusst, das ihr jedoch auf einmal etwas unbedeutend vorkommt. Sie schaut nachdenklich vor sich hin.

      „Jeder muss zusehen, sich sein Leben etwas angenehm zu gestalten“, unterbricht Elfi das Schweigen. „Andere sind nur bemüht, sich ungefragt einzumischen und dir ihre eigenen Lasten aufzubürden.“

      „Es kommt doch darauf an, wie viel du von allem zulässt“, sagt Lydia. „Du hast es irgendwann nicht mehr geschafft, dich um dich selbst zu kümmern.“

      „Genau“, antwortet Elfi und seufzt. „Wenn ich nur wüsste …“

      „Kann dir LF dabei nicht helfen?“

      „Sie kann mir nur Anregungen geben. Das klärende Gespräch mit meinem Sohn muss ich schon selbst führen. Dass das nicht leicht wird, weiß LF. Sie hat nämlich gleich zu Beginn meines Aufenthaltes meinen Sohn persönlich kennengelernt.“

      „Er war zu einem Gespräch mit LF bereit?“, fragt Lydia erstaunt. „Das ist doch ein guter Anfang.“

      Elfi grinst. „Das wäre zu schön gewesen. Nein. Er hat mich gleich am ersten Wochenende, an besagtem zweiten Advent, mit seiner Familie besucht.“

      „Das ist doch nett … oder?“, fragt Lydia vorsichtig, denn sie ist sich absolut nicht mehr sicher, das Richtige oder Falsche zu sagen.

      „Du kennst den Grund seines Besuches nicht“, antwortet Elfi. „Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn nach meinem Zusammenbruch am ersten Advent so bald wiedersehe und war froh, endlich meine Ruhe zu haben, da sehe ich doch die ganze Meute unmittelbar nach dem Mittagessen hier ankommen. Am liebsten hätte ich mich versteckt. Mein Sohn brachte sein Anliegen auch schnell vor und fragte mich, ob es möglich wäre, dass die Kinder bis zum Abend bei mir bleiben.“

      Lydia ist entsetzt und schüttelt den Kopf. „Das kann doch nicht wahr sein?!?“

      „Und ob. Aber der Höhepunkt kommt noch. Er verriet mir auch umgehend und mit leuchtenden Augen den Grund. Sie wollten gern noch ein viertes Kind und bräuchten dazu mal etwas Zweisamkeit. Deshalb hatten sie in einer Pension hier in der Nähe ein Zimmer gemietet. Kaum hatte er das ausgesprochen, sah mich meine Schwiegertochter triumphierend an. In mir brodelte es. Ich dachte, dass ich überschnappe und versuchte, ihnen so ruhig wie möglich zu sagen, dass ich erst mal meine Ärztin um Erlaubnis fragen müsse. LF habe ich eindringlich angefleht, mir eine Isolationsbehandlung zu verordnen oder wenigstens Besuchsverbot für meinen Sohn und seine Familie zu verhängen. Ich konnte einfach nicht mehr und muss ziemlich verzweifelt gewirkt haben, denn LF hat es selbst übernommen, meinen Sohn aufzufordern,