Название | Schattenchance |
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Автор произведения | Maya Shepherd |
Жанр | Языкознание |
Серия | Dear Sister |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738082470 |
Sie drehte sich von der Wand zu mir herum. Noch waren ihre Augen geschlossen, aber es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie aufwachen würde. Was würde ich denken, wenn sie mir so eine verrückte Geschichte erzählen würde? Würde ich ihr glauben? Konnte ich etwas glauben, an das ich mich nicht erinnern konnte und für das es keinerlei Beweise gab? Es war schwierig.
Ich ging vor ihrem Bett auf die Knie und betrachtete eindringlich ihr Gesicht. Sie war mir inzwischen so vertraut, dass ich den Gedanken, sie zu verlieren, kaum ertragen konnte. Zuerst waren wir nur eine Zweckgemeinschaft gewesen, dann war Freundschaft daraus geworden und die Geheimnisse rund um die Schattenwandler hatten uns endgültig aneinander geschweißt. Meist verstand sie mich besser als jeder andere und selbst wenn nicht, hielt sie trotzdem zu mir.
Urplötzlich schlug sie die Augen auf. Erschrocken wich ich zurück und fühlte mich ertappt, obwohl ich nichts verbrochen hatte. Mein Herzschlag beschleunigte sich.
„Was machst du da?“, fragte sie verständnislos und stützte sich auf ihrem Ellbogen ab. „Hast du mich etwa beim Schlafen beobachtet?“
„Nein“, gab ich sofort zurück. „Ich …“
„Du?“
„Doch, habe ich, aber …“ Mir fehlten die Worte.
„Aber?“, echote sie und musterte mich schon jetzt, als hätte ich den Verstand verloren. Sie strich sich ihr Haar hinters Ohr. „Hör mal, es ist völlig ok, wenn du auf mich stehst“, sagte sie todernst. Als sie meinen entsetzten Gesichtsausdruck sah, brach sie jedoch in Gelächter aus.
Ich atmete erleichtert auf und wusste immer noch nicht, wie ich anfangen sollte.
Sie setzte sich auf und drehte sich verwirrt zum Fenster herum. „Was für ein Tag ist heute überhaupt?“
„Sonntag.“
Auch meine Antwort schien ihr nicht weiterzuhelfen. „Waren wir verabredet und ich bin einfach eingeschlafen?“
Scheinbar erinnerte sie sich nicht einmal mehr daran, überhaupt zu ihren neuen Nachbarn gegangen zu sein. Ihre Erinnerung an die vergangenen Stunden war wie ausradiert.
„Nein, ich habe dich eher zufällig bei der Einweihungsfeier getroffen“, antwortete ich ihr. Ihre Verwirrtheit nahm noch weiter zu und sie runzelte die Stirn. „Ich war nebenan?“
Zumindest schien sie sich noch daran zu erinnern, eingeladen worden zu sein. Sie schlug die Bettdecke zurück und wollte aufstehen, doch ich hielt es für besser, wenn sie sitzen blieb. Deshalb ließ ich mich neben ihr nieder und legte meine Hand auf ihre.
„Dir ging es nicht gut.“
Irritiert sah sie von meiner Hand auf ihrer zu meinem Gesicht. „Was hatte ich denn?“
Als ich nicht sofort etwas sagte, beschlich sie ein mulmiges Gefühl. „Winter, jetzt sag schon! Was war los? Ich kann mich an überhaupt nichts mehr erinnern.“ Ich konnte ihr ansehen, dass sie verzweifelt versuchte, eine Erinnerung heraufzubeschwören.
„Dairine, was ich dir jetzt erzähle, hört sich total verrückt an und wahrscheinlich wirst du mir kein Wort glauben, aber ich schwöre dir, es ist die Wahrheit.“
Ihre Augen weiteten sich und bereits jetzt starrte sie mich voller Unglauben an. „Du machst mir Angst!“
„Du solltest auch Angst haben, denn eure neuen Nachbarn sind wirklich gefährlich. Es sind nicht nur Schattenwandler, sondern auch noch Fomori. Charles Crawford ist ihr Oberhaupt und er ist unsterblich, weil er seinen eigenen Sohn in einem Ritual geopfert hat.“
Sie kniff die Augen zusammen. „Woher weißt du das? Von Eliza?“ Ich konnte nicht sagen, ob sie mir glaubte. Vielleicht wusste sie es selbst noch nicht so genau.
„Nein, ich weiß es, weil ich dabei war, als er versucht hat, dasselbe mit Eliza zu machen.“
Dairine schüttelte verständnislos den Kopf. „Was?“
Ich drückte ihre Hand etwas fester, um sie spüren zu lassen, wie wichtig mir das war und dass es definitiv kein Scherz war. „Du warst auch dabei, aber du kannst dich nicht daran erinnern. Genauso wenig wie Eliza und jeder andere, der dabei war. Mit Ausnahme von Evan und mir. Er ist ein Zeitmaler.“
Sie verstand kein Wort.
„Zusammen haben wir einen Punkt in der Vergangenheit neu gemalt und dadurch hat sich alles verändert. Menschen, die unsere Freunde waren, kennen uns nicht einmal mehr.“
Sie starrte mich an, ohne irgendetwas zu sagen oder auch nur eine Miene zu verziehen, fast als würde sie darauf warten, dass ich zu lachen begann und sagte, dass dies alles nur ein Scherz sei. Als es gegen ihre Zimmertür klopfte, zuckten wir beide erschrocken zusammen.
Eine Frau mittleren Alters steckte den Kopf zur Tür herein. Sie trug ihr langes braunes Haar zu vielen schmalen Zöpfen geflochten. Ihre Haut war gebräunt, umso auffälliger stachen daraus ihre eisblauen Augen hervor.
„Mum!“, kreischte Dairine aufgeregt und fiel der Frau um den Hals. Diese drückte ihre Tochter fest an sich und lächelte dabei glücklich.
„Warum hast du nicht gesagt, dass du kommst? Dad und ich hätten dich doch vom Flughafen abholen können“, klagte Dairine, ohne ihre Mutter loszulassen. Es war das erste Mal, dass ich sie sah. Generell hatten Dairines Eltern nur wenig Zeit für sie. Während ihr Vater oft auf Geschäftsreisen oder in irgendwelchen Meetings war, trieb sich ihre Mutter in der Dritten Welt herum und kümmerte sich um die Ärmsten der Armen.
„Ich wusste nicht, ob ihr zu Hause seid“, antwortete ihre Mutter. „Außerdem war alles ganz spontan.“ Sie schaute in meine Richtung und löste sich von ihrer Tochter. Daraufhin streckte sie mir mit freundlichem Lächeln die Hand entgegen. „Hallo. Ich bin Roisin, die Mutter von Dairine.“
Ich erhob mich vom Bett und ergriff die ausgestreckte Hand. „Ich bin Winter.“
„Oh, was für ein schöner, aber ungewöhnlicher Name“, lächelte sie und hielt meine Hand einen Moment länger als nötig fest. Es war jedoch nicht unangenehm, denn Dairine musste die herzliche und offene Ausstrahlung von ihrer Mutter geerbt haben. Roisins Händedruck war fest und warm. Ich bildete mir ein, dass sie nach Sand und Sonne roch. „Möchtest du mit uns essen? Wir könnten etwas vom Italiener bestellen.“
Ehe ich antworten konnte, kam mir Dairine zuvor. „Winter muss jetzt nach Hause.“
Es versetzte mir einen Stich ins Herz. Zwar konnte ich verstehen, dass sie ihre Mutter in der spärlichen Zeit, die sie in Irland sein würde, für sich haben wollte, aber ich schob es mehr auf mein Geständnis, denn zuvor hatte sie meine Gegenwart nie gestört.
„Ja, ich hab meine Hausaufgaben noch nicht gemacht“, stimmte ich ihr zu. „Aber trotzdem vielen Dank für das freundliche Angebot!“
Roisin lächelte und zwinkerte mir zu: „Dann holen wir das wann anders mal nach.“
Ich sah ein letztes Mal zu Dairine, um an ihren Augen ablesen zu können, ob sie meine Geschichte glaubte, doch sie ignorierte meinen Blick, sodass ich mich geknickt und unwissend auf den Heimweg machte.
Dairine fehlte am Montag in der Schule. Es war das erste Mal, seitdem sie aus Colorado nach Irland gezogen war. Das war mittlerweile schon vier Jahre her. Ich glaubte nicht, dass sie krank war, sondern schob es darauf, dass ihre Mutter wieder da war und sie Zeit mit ihr verbringen wollte. Aber insgeheim fürchtete ich, dass es mit mir und meinem Geständnis zu tun hatte. Obwohl ich wusste, dass Dairine keine Person war, die unangenehmen Gesprächen aus dem Weg ging. Sie war direkt und sagte, was sie dachte, anstatt sich zu verstecken und in Ausreden zu üben.
Nach der ersten Unterrichtsstunde schrieb ich ihr eine SMS und fragte sie, was sie hätte und ob sie länger wegbleiben würde. Danach holte ich mir einen Kaffee und setzte mich alleine in der Cafeteria an einen Tisch. Lucas und die anderen Schüler des Abschlussjahrgangs mussten diese Woche nicht mehr in die Schule, damit sie Zeit hatten, sich zu Hause